Klippschliefer: Die Meistersinger

Die Oase Ein Gedi ist ein bekannter Ort biblischer Handlung. Forscher fühlen sich von seiner einmaligen Fauna angezogen. Eine Studie zeigt, wie sich bei männlichen Klippschliefern die Gesangsqualität auf ihren Paarungserfolg auswirkt.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

Ein Gedi ist mit vier Quellen und zwei Bächen die größte Oase in Israel. Starke Regenfälle haben Anfang Mai zu einer Sturzflut im Naturschutzgebiet geführt und erheblichen Schaden angerichtet. Die Oase wird bereits mehrmals in der Bibel erwähnt, so zum Beispiel in Josua 15, 61-62. In dieser Textpassage wird Ein Gedi als ein Teil des Stammesgebiet Juda aufgezählt: In der Wüste: Bet-Araba, Middin, Sechacha, Nibschan und die Salzstadt und En-Gedi: sechs Städte und ⟨dazu noch⟩ ihre Dörfer.

In der Vision des Hesekiel (47,1–12) ist von einer Tempelquelle die Rede, die in Jerusalem beginnt, zu einem großen Strom anschwillt und ins Tote Meer fließt. Dadurch wird dieses süß, ohne dass dort auf die Salzgewinnung verzichtet werden müsste:

„Und er führte mich zurück zum Eingang des Hauses; und siehe, Wasser floss unter der Schwelle des Hauses hervor nach Osten, denn die Vorderseite des Hauses war nach Osten ⟨gerichtet⟩; und das Wasser floss unten herab an der rechten Seite des Hauses, südlich vom Altar.Und er führte mich hinaus durch das Nordtor und ließ mich den Weg außen herumgehen zum äußeren Tor, auf dem Weg, der sich nach Osten wendet; und siehe, Wasser rieselte auf der rechten Seite hervor. Und als der Mann gegen Osten hinausging, die Messschnur in seiner Hand, da maß er tausend Ellen und ließ mich durch das Wasser gehen: Wasser bis an die Knöchel. Und er maß tausend ⟨Ellen⟩ und ließ mich durch das Wasser gehen: Wasser bis an die Knie. Und er maß tausend ⟨Ellen⟩ und ließ mich hindurchgehen: Wasser bis an die Hüften. Und er maß tausend ⟨Ellen⟩: ein Fluss, den ich nicht durchschreiten konnte, denn das Wasser war tief, Wasser zum Schwimmen, ein Fluss, der nicht ⟨mehr⟩ durchschritten werden kann. Und er sprach zu mir: Hast du gesehen, Menschensohn? Und er führte mich wieder zurück am Ufer des Flusses ⟨entlang⟩. Als ich zurückkehrte, siehe, ⟨da standen⟩ am Ufer des Flusses sehr viele Bäume auf dieser und auf jener Seite. Und er sprach zu mir: Dieses Wasser fließt hinaus in den östlichen Bezirk und fließt in die Ebene hinab und gelangt ins Meer, in das salzige Wasser, und das Wasser wird gesund werden. Und es wird geschehen, jedes Lebewesen, das da wimmelt – überall wohin der Fluss kommt –, wird leben. Und es wird sehr viele Fische geben. Wenn dieses Wasser dorthin kommt, dann wird das Salzwasser gesund werden, und alles wird leben, wohin der Fluss kommt. Und es wird geschehen, dass Fischer an ihm stehen werden: von En-Gedi bis En-Eglajim werden Trockenplätze für Netze sein. Fische von jeder Art werden in ihm sein, sehr zahlreich, wie die Fische des großen Meeres. Seine Sümpfe und seine Lachen ⟨aber⟩ werden nicht gesund werden. Zur Salzgewinnung sind sie bestimmt.  An dem Fluss aber, an seinem Ufer, werden auf dieser und auf jener Seite allerlei Bäume wachsen, von denen man isst, deren Blätter nicht welken und deren Früchte nicht ausgehen werden. Monat für Monat werden sie frische Früchte tragen, denn sein Wasser fließt aus dem Heiligtum hervor; und ihre Früchte werden als Speise dienen und ihre Blätter als Heilmittel. (Elberfelder Bibel)

Die Oase spielt auch in den Geschichtsbüchern eine große Rolle. In 1. Samuel 24,1–14 wird Ein Gedi als der Ort genannt, an dem David König Saul verschonte, nachdem dieser ihn verfolgt hatte, um ihn zu töten:

Und David zog von dort hinauf und blieb auf den Bergfesten von En-Gedi. Und es geschah, als Saul von der Verfolgung der Philister zurückgekehrt war, berichtete man ihm: Siehe, David ist in der Wüste En-Gedi. Und Saul nahm dreitausend auserlesene Männer aus ganz Israel und zog hin, um David und seine Männer in Richtung auf die Steinbockfelsen zu suchen. Und er kam zu den Schafhürden am Weg, wo eine Höhle war, und Saul ging hinein, um seine Füße zu bedecken. David aber und seine Männer saßen hinten in der Höhle. Da sagten die Männer Davids zu ihm: Siehe, das ist der Tag, von dem der HERR zu dir gesagt hat: Siehe, ich werde deinen Feind in deine Hand geben, damit du mit ihm tun kannst, wie es gut ist in deinen Augen. Und David stand auf und schnitt heimlich einen Zipfel von dem Oberkleid Sauls ab. Aber danach geschah es, da schlug dem David das Herz, weil er den Zipfel ⟨vom Oberkleid⟩ Sauls abgeschnitten hatte. Und er sagte zu seinen Männern: Das sei vor dem HERRN fern von mir, dass ich so etwas an meinem Herrn, dem Gesalbten des HERRN, tun sollte, meine Hand an ihn zu legen, denn er ist der Gesalbte des HERRN! Und David wehrte seinen Männern mit ⟨diesen⟩ Worten und erlaubte ihnen nicht, sich an Saul zu vergreifen. Und Saul stand auf, ⟨trat⟩ aus der Höhle heraus und zog seines Weges. Danach machte David sich auf, ging aus der Höhle hinaus und rief hinter Saul her: Mein Herr und König! Und Saul sah sich um, und David neigte sein Gesicht zur Erde und warf sich nieder. Da sagte David zu Saul: Warum hörst du auf die Worte von Menschen, die sagen: Siehe, David sucht dein Unglück? Siehe, an diesem Tag haben deine Augen gesehen, dass der HERR dich heute in meine Hand gegeben hat in der Höhle. Und man drängte ⟨mich⟩, dich umzubringen. Aber ich habe dich verschont und dachte: Ich will meine Hand nicht an meinen Herrn legen, denn er ist der Gesalbte des HERRN! Sieh, mein Vater, ja, sieh den Zipfel deines Oberkleides in meiner Hand! Denn dass ich einen Zipfel deines Oberkleides abgeschnitten und dich nicht umgebracht habe, daran erkenne und sieh, dass meine Hand rein ist von Bosheit und Aufruhr! Ich habe mich nicht an dir versündigt. Du aber stellst meinem Leben nach, um es ⟨mir⟩ zu nehmen. Der HERR richte zwischen mir und dir, und möge der HERR mich an dir rächen! Aber meine Hand soll nicht gegen dich sein. Wie das alte Sprichwort sagt: Von den Gottlosen kommt Gottlosigkeit; aber meine Hand soll nicht gegen dich sein. (Elberfelder Bibel)

Reichhaltige Flora und Fauna

Der Name Ein Gedi kann mit „Böckchenquelle“ übersetzt werden. Die Wüstenoase ist seit 1972 als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Sie befindet sich etwa in der Mitte des Westufers des Toten Meeres und zeichnet sich durch eine vielfältige Flora und Fauna aus. So gedeihen hier unter anderem Akazien, Euphrat-Pappel, Christusdorn, Orchideen, Sodomsapfel, Mönchspfeffer, Jochblattgewächs, verschiedene Moose und Farne sowie Riesenschilf und Rohrkolben entlang des Wassers.

Im Naturschutzgebiet werden verschiedene Vogelarten angetroffen, darunter der Tristramstar, der Graudrossling, der Smaragdspint aus der Familie der Bienenfresser sowie verschiedene Geierarten. Auch Zugvögel, wie etwa der Grauschnäpper und der Braunliest, fühlen sich in der Oase wohl. Die Tierwelt umfasst unter anderem Nubische Steinböcke, Rotfüchse, Schakale, Dorkasgazellen und den Klippschliefer (Procavia capensis). Letzterer wird mitunter auch Wüstenschliefer oder Klippdachs genannt. Sein Körperbau erinnert an ein Meerschweinchen.

Bei einer Wanderung durch das Naturschutzgebiet Ein Gedi gibt es gute Chancen, den flinken Klippschliefern zu begegnen. Sie sind tagaktiv und bewegen sich in dem felsigen Habitat behände fort. Ihre Füße sind nicht an das Graben angepasst, dafür an das Klettern an Steilstufen, glatten Felsoberflächen und auf Bäumen. In ihren ledrigen Fußsohlen sitzen Drüsen, die ein Sekret absondern, das die Grifffestigkeit erhöht. In den Felslandschaften nutzt der Klippschliefer Höhlen und Felsspalten als Unterschlupf.

Der Klippschliefer ist ein pflanzenfressendes Säugetier, das in Kolonien von bis zu 80 Tieren lebt. Innerhalb einer Klippschliefer-Population herrscht unter den männlichen Tieren eine strenge Hierarchie. Klippschliefer wirken possierlich – dennoch ist Abstand geboten. Wenn jemand eine gewisse Distanz unterschreitet, greifen sie an und beißen zu. Ihre Bisse sind nicht nur schmerzhaft, sondern können auch Tollwut übertragen. So oder so gebietet es sich, wild lebende Tiere nicht zu berühren, denn die Natur ist kein Streichelzoo. Dies gilt besonders für Jungtiere, denn der menschliche Geruch schreckt die Mütter ab.

Klippschliefer-Gesänge

Die Männchen werben mit wunderschönen Balzliedern um weibliche Klippschliefer, wobei sie eine Besonderheit auszeichnet: Klippschliefer können beim Singen den Rhythmus beibehalten. Dies haben Forscher der Bar-Ilan-Universität (BIU) in Ramat Gan in einer Studie über ihren Fortpflanzungserfolg herausgefunden. Die Zoologin Lee Koren von der Goodman-Fakultät für Lebenswissenschaften der BIU hat gemeinsam mit Eli Geffen, einem Verhaltensökologen von der Universität Tel Aviv, die Studie initiiert. Sie konnten feststellen, dass männliche Klippschliefer, die häufiger singen, tendenziell mehr überlebende Nachkommen erzeugen.

Die Studie wurde im „Journal of Animal Ecology der British Ecological Society“ unter dem Titel veröffentlicht: „Männliche Klippschliefer, die einen isochronen Gesangsrhythmus beibehalten, erzielen einen höheren Fortpflanzungserfolg“. Der Fachbeitrag bespricht, wie Gesangsfrequenz und Rhythmus von potenziellen Partnerinnen als Indikatoren für die individuelle Qualität des werbenden männlichen Klippschliefers angesehen werden.

Zudem gibt die Stimmqualität Aufschluss über den Gesundheitszustand eines Tieres und somit Eignung als Partner. Klippschliefer haben eine achtmonatige Tragzeit. Die Jungen werden im März und April geboren. Ein Weibchen bringt in der Regel ein bis vier Junge zur Welt. Die Gruppe betreibt eingeschränkte gemeinschaftliche Fürsorge, wie etwa „Babysitting“ und Raubtierabwehr. Trotz der Fürsorge überleben durchschnittlich nur 10 Prozent der Jungen das erste Jahr.

Um die Rolle des Rhythmus im Balzgesang von Säugetieren zu untersuchen, beobachteten die Wissenschaftler zwischen 2002 und 2013 die tägliche Morgenaktivität von Klippschliefer-Gemeinschaften im Naturschutzgebiet Ein Gedi. Vlad Demartsev sammelte die Daten für diese Studie während seiner Zeit an der Universität Tel Aviv.

Regionale Dialekte

Dabei machte er eine Entdeckung: die Klippschliefer-Lieder zeigen regionale Dialekte auf. Darüber hinaus neigen die Männchen dazu, im Crescendo zu singen. Somit werden sie lauter, je weiter das Lied fortschreitet. Gegen Ende des Gesangs erreicht er seine höchste Komplexität. Demartsev ist heute Postdoktorand am Fachbereich Biologie der Universität Konstanz und am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Der Nachal Arugot in Ein Gedi: Die Oase bietet Erquickung in der Wüste

Stimmliche Darbietungen von Säugetieren sind im Vergleich zu Vogelgesang meist weniger komplex. Einige Säugetierarten produzieren akustische Darbietungen, die aufgrund ihrer syntaktischen und strukturellen Komplexität als Gesang definiert werden können, so auch der Klippschliefer.

Eine Annahme ist, dass sich bei einigen Tierarten rhythmischer Gesang entwickelt hat, damit sie ihre Gesänge in Gruppen synchronisieren können. Die Studie legt nahe, dass bestimmte physiologische Erkrankungen von Schliefern ihre Fähigkeit beeinträchtigen können, präzise, ​​rhythmische Rufe zu erzeugen. Daher könnte der Balzrhythmus männlicher Klippschliefer ein Indikator für Gesundheit und Paarungstauglichkeit mit potenziellen Partnerinnen sein.

Derzeitiger Forschungsstand ist, dass der Rhythmus bei einigen Arten als Indikator individueller Qualität dient. Indessen trägt er bei anderen Arten dazu bei, Signale einzelner Tiere innerhalb einer Gruppe zu koordinieren. Ob für diese beiden Funktionen unterschiedliche rhythmische Muster verwendet werden, dazu wird noch geforscht. Interessierte dürfen auf weitere Erkenntnisse über die Meistersinger in Ein Gedi gespannt sein.

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7 Antworten

  1. Vielen lieben Dank, Frau Tegtmeyer, über den Artikel meiner Lieblingstiere Israels. Zweimal bin ich dort wandern gewesen, eine sehr eindrucksvolle Oase mit vielen kleinen Wasserfällen, Bächen, Gesteinsformationen, Pflanzen und Tiere. Eine Bibelandacht nahe der Höhle, wo David König Saul einen Zipfel seines Gewandes abschnitt, war am Ort des Geschehens beeindruckend und wird in guter Erinnerung bleiben. Umso mehr war ich besorgt, als die Unwetter im Mai solchen Schaden anrichteten und hoffe, die Vegetation erholt sich bald wieder.
    Ich konnte dort viele Klippdachse beobachten und fotografieren. Aber singen habe ich sie noch nie gehört.

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  2. Das Land Israel hat trotz seiner geographischen Lage, welche in der dortigen Region zu einer starken Wüstenbildung führt, auch Ort mit einer sehr interessanten Flora und Fauna. Wie sich die mitteleuropäische Natur in der nahen und fernen Zukunft sich aufgrund des Klimawandels entwickelt, ist für mich momentan nur sehr schwer vorstellbar. Es freut mich, dass es in Israel so eine reichhaltige Natur gibt.

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