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„Kippur, War Requiem“

In seiner Installation „Kippur, War Requiem“ greift Amos Gitai 50 Jahre später auf persönliche traumatische Erinnerungen an den Krieg zurück. Der umstrittene Filmemacher und Schöpfer von „Kippur“, „Kadosh“ und Dutzenden anderer Werke wurde während der Kampfhandlungen abgeschossen und schwer verletzt.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

Amos Gitai ist Sohn von Munio Weinraub, einem Architekten, der 1929 bis 1932 ein Praktikum am Bauhaus absolvierte und von Efratia Margalit, einer Intellektuellen. Gitai trat zunächst in die Fußstapfen seines Vaters und studierte Architektur am Technion in Haifa, promovierte später in Architektur an der der University of California in Berkeley. Alles deutete auf eine vielversprechende Karriere als Architekt hin.

Doch es sollte anders kommen:  Am 6. Oktober 1973 zerrissen am frühen Nachmittag schrill aufheulende Sirenen die Stille von Jom Kippur, den höchsten jüdischen Feiertag. Eine Koalition arabischer Staaten unter der Führung von Ägypten und Syrien startete gemeinsam einen Überraschungsangriff. Er traf den Staat Israel völlig unerwartet. Gitai musste sein Architekturstudium am Technion in Haifa unterbrechen, auch er wurde als Reservist von der israelischen Armee einberufen.

Amos Gitai war ein Veteran der Einheit 621, auch als Egos bekannt, eine Elite-Kommandoeinheit der Israelischen Verteidigungskräfte, die auf Guerillakrieg, Spezialaufklärung und direkte Aktionen spezialisiert war. Er holte seinen Kameraden Usi Cantoni ab und die beiden jungen Männer machten sich auf den Weg zu den Golanhöhen um, „den Krieg zu finden“.

Sie konnten sich ihrer Einheit nicht anschließen und landeten stattdessen auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramat David, wo sie einer Luftrettungseinheit zugeteilt wurden. Fünf aufeinanderfolgende Tage lang flogen sie Tag und Nacht, um verwundete Kameraden von den Schlachtfeldern im Golan zu evakuieren.

Von einer syrischen Rakete getroffen

Am 11. Oktober und sechsten Kriegstag, es war Gitais 23. Geburtstag, wurden sie losgeschickt, um einen Piloten zu retten, dessen Flugzeug von einer syrischen Rakete getroffen und der auf syrisches Gebiet geschleudert worden war. Während des Fluges des Rettungsteams traf eine syrische Rakete auch Gitais Hubschrauber.

Der Co-Pilot, Kapitän Gadi Klein, wurde sofort getötet, dem Piloten Avner Hacohen gelang es, den Hubschrauber auf israelischem Territorium zu landen. Alle Soldaten des Rettungsteams wurden durch den Einschlag der Rakete und Absturz des Hubschraubers schwer verletzt. Gitai kehrte nach seiner Genesung nicht an die Front zurück. Der Jom-Kippur-Krieg markiert einen Wendepunkt in seinem Leben.

Jahrzehntelang versuchte Amos Gitai, den Krieg von 1973 und die Ereignisse auf den Schlachtfeldern zu verdrängen. Der aufstrebende Architekt wandte sich dem Filmemachen zu und drehte eine Reihe von kontroversen Filmen über die komplexe israelische Realität, die er  – wie er eingesteht – zugleich liebt und hasst.

Vergilbte Aufnahmen als Kern der späteren filmischen Arbeit

Gitai filmte während des Jom-Kippur-Krieges bei seinen Einsätzen mit einer Super-8-Kamera, die ihm seine Mutter zum 23. Geburtstag geschenkt hatte. Diese vergilbten Film-Aufnahmen dokumentieren, was Gitai im Krieg unmittelbar ansehen musste. Sie bilden den Kern seiner späteren filmischen Arbeit.

Nach der Entlassung aus Krankenhaus hatte ihm seine Lebensgefährtin, eine ausgebildete Kunsttherapeutin, Buntstifte in die Hand gedrückt und ihn ermutigt, das Unsagbare zeichnerisch auszudrücken.

Diese Porträtzeichnungen sowie Ausschnitte aus Gitais Super-8-Clips sind nun im Tel Aviver Kunstmuseum zu sehen. Sie führen die Besucher auf zwei Wänden der ersten Galerie in die Schrecken des Jom-Kippur-Krieges ein. Eine dritte Wand zeigt Filmsequenzen aus „Kippur, War Memories“, Gitais „Kanal 2“-Dokumentarfilm von 1997, sowie seine Interviews mit überlebenden Mitgliedern des Hubschrauberrettungsteams.

Fiktionaler Spielfilm über den Krieg

Eine weitere Wand zeigt eine kurze, eindringliche Szene aus „Kippur“ (2000), dem fiktionalen Spielfilm, den Gitai über den 1973er Krieg drehte und der auf den Ereignissen in seinem eigenen Leben basiert. Die eindringliche Szene, sie wiederholt sich fortwährend, zeigt die ersten, schockierenden Momente nach Ausbruch des Krieges auf einer Straße in Tel Aviv.

Eine Szene aus dem Film „Kippur“

Vor dem Betreten der Hauptgalerie gewährt der Filmemacher Einblicke auf Englisch und Hebräisch in seine Gedanken: „Das Ereignis selbst war recht kurz, aber es war nicht weniger als eine Begegnung mit dem Tod“.

Diese Worte noch im Ohr, setzen die Besucher ihren Weg fort und treffen auf vier riesige Leinwände mit Szenen aus „Kippur“, die die Schrecken des Krieges dokumentieren. Weitere Ausschnitte aus Gitais filmisch-dokumentarischen Oeuvre werden auf acht Grabsteinplatten projiziert, zudem Aufnahmen von Gitais Mutter Efratia Margalit, Szenen aus seinem Film „Rabin, The Last Day“ aus dem Jahr 2015 und weiteren seiner Werke.

Die laute Beschallung mit Kriegsgeräuschen jener Tage verstärken in diesem Raum akustisch die Schrecken des Krieges, die sich auf den Golanhöhen zugetragen haben.

Der Jom-Kippur-Krieg endete mit einem Sieg für Israel, aber die Auswirkungen des Überraschungsangriffs und das Versagen der israelischen Führung wurden in der israelischen Gesellschaft zu einem traumatischen Ereignis. Er hat tiefe Narben bei Amos Gitai und in der israelischen Gesellschaft hinterlassen. Narben, die durch den barbarischen terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 wieder aufreißen.

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