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Kein Göring in Yad Vashem

Der Bruder des Reichsmarschalls war Gegner des Regimes, half und solidarisierte sich auch mit jüdischen Verfolgten. Reicht das für eine Ehrung in Israels Holocaustgedenkstätte Yad Vashem?
Von Sandro Serafin

In diesem Jahr ist es zehn Jahre her, dass in der israelischen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem ein eher ungewöhnlicher Antrag auf Verleihung des Ehrentitels „Gerechter unter den Völkern“ einging. Eingereicht hatte ihn Georg Pilzer, Sohn des österreichischen Filmindustriellen Oskar Pilzer mit jüdischen Wurzeln. Angeregt war darin die Vergabe des Titels an einen berühmten Namen: Göring.

Nicht gemeint war damit freilich Hermann Göring, der Reichsmarschall, mitverantwortlich für millionenfachen Massenmord, für das also, dessen Opfer in Yad Vashem gedacht wird. Sondern sein Bruder Albert. Bis heute ist dessen Geschichte kaum bekannt, obwohl sie bereits 1998 in einer BBC-Dokumentation aufbereitet, 2012 durch ein auch in der deutschen Presse viel besprochenes Buch von William Hastings Burke erneut herausgearbeitet und 2016 in einem Dokumentarfilm in der ARD neu dargestellt wurde.

Dabei ist es eine mehr als außergewöhnliche Geschichte. Als gesichert kann – trotz im Einzelnen dünner Quellenlage – gelten: Albert Göring, ausgerechnet, war ein Gegner des Nationalsozialismus. Doch nicht nur das: Er hat sich auch offen mit Verfolgten des NS-Regimes solidarisiert und ihnen geholfen, darunter auch Juden. Dies belegen vor allem die Aussagen von Zeitzeugen oder deren Angehörigen, die nicht zuletzt die BBC-Doku bereits vor über 20 Jahren aufgezeichnet hat.

Zahlreiche Episoden

Da ist zum Beispiel die Geschichte von Oskar Pilzer, für den Albert, der selbst nach Österreich ausgewandert war, zeitweise arbeitete. Nach dem „Anschluss“ hatten die Nazis Pilzer zu Hause abgeholt. Sein Sohn Georg – eben jener Georg Pilzer, der 2012 den Antrag bei Yad Vashem einreichen sollte –, erinnerte sich in der BBC, dass Albert Göring daraufhin die Freilassung seines Vaters erwirkte und zudem die Ausreise der Familie durch Beibringung der nötigen Dokumente ermöglichte.

Besonders spektakulär mutet auch eine Episode an, deren Teil Albert später gewesen sein soll, als er als Exportdirektor der Skoda-Werke in der Tschechoslowakei arbeitete. Demnach wurde er in dieser Funktion im Konzentrationslager Theresienstadt vorstellig, um sich KZ-Insassen übergeben zu lassen – angeblich als Arbeiter für Skoda, tatsächlich – so jedenfalls die Erzählung Jacques Benbassats, des Sohnes eines Weggefährten Alberts – habe er sie umgehend frei gelassen. Es sind nur zwei von vielen Geschichten, die über Albert Göring erzählt werden, der auch ins Visier der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) geriet.

Dennoch wurde er wie sein Bruder mit Kriegsende von den Alliierten inhaftiert. Die Geschichten, die er diesen erzählte, wollten sie ihm nicht abnehmen. Erst nach längerer Zeit und einer Überstellung in die Tschechoslowakei kam er schließlich frei. In der Haft hatte er eine Liste von 34 Namen angefertigt, denen er während der NS-Zeit geholfen haben will – darauf stehen neben der „Familie Pilzer“ etwa auch der österreichische Kanzler Kurt Schuschnigg oder der „Mann von Henny Porten“, einer deutschen Schauspielerin.

In Deutschland erhielt der Fall im Zuge der Buchveröffentlichung 2012 und der Ausstrahlung eines Dokumentarfilms über „den guten Göring“ in der ARD 2016 verstärkt Aufmerksamkeit. In dem ARD-Film spielte auch die Frage eine Rolle, ob Göring als „Gerechter unter den Völkern“ anerkannt werden kann. „War Albert Göring auf seine Art ein zweiter Oskar Schindler?“, hatte schon 1998 die BBC gefragt. Schindler gehört zu den prominentesten „Gerechten unter den Völkern“, an den in Yad Vashem eine Gedenkplatte an prominenter Stelle, nahe des Eingangs, erinnert.

„Keine ausreichenden Beweise“

Israelnetz hat den 55. Todestag Albert Görings, der am 20. Dezember 1966 an Bauchspeicheldrüsenkrebs starb, und das 10. Jahr der Antragsstellung durch Georg Pilzer zum Anlass genommen, bei Yad Vashem nach dem aktuellen Stand des Verfahrens zu fragen, von dem man seit 2016 nichts mehr gehört hat. Das Ergebnis: Albert Göring ist bis heute nicht als „Gerechter unter den Völkern“ anerkannt worden.

„Es muss nachgewiesen werden durch Zeitzeugenaussagen von Überlebenden oder mittels archivalischer Dokumentation aus der Zeit, dass eine Person ihr Leben riskiert hat, um Juden vor Deportation und Mord zu retten“, teilte ein Sprecher mit. Viele Informationen im Internet basierten auf der Aussage, die Göring selbst nach dem Krieg gemacht habe. Zudem gebe es Ungenauigkeiten und Geschichten, die nicht substantiiert werden könnten.

„Bis jetzt haben wir keine Dokumente erhalten, die es uns ermöglichen, den Fall der Kommission[, die über den Titel entscheidet; Anm. d. Red.] vorzulegen“, erklärte der Sprecher. „Um die Situation zusammenzufassen: Es gibt einige Hinweise darauf, dass Albert Göring eine positive Einstellung zu Juden hatte und einigen geholfen hat, aber wir haben keine ausreichenden Beweise, sprich: Primärquellen, die belegen, dass er große Risiken eingegangen ist, um Juden vor der Gefahr der Deportation oder des Todes zu retten.“

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9 Antworten

  1. Und je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger wird es wahrscheinlich auch diese Belege zu zu finden. Der Name Göring ist nun mal mit der Judenvernichtung verbunden, das ist schon ein Erbe. Aber in vielen Familien gab es beides. Die mit der glühenden Hitlerverehrung und die, die sich dagegen stellten. Also würde von dem Hintergrund her nichts dagegen sprechen, dass die Geschichte von Albert Göring stimmen kann. Ich denke, es ist eine schwere Entscheidung, die die Verantwortlichen in Yad Yashem treffen müssen.

    Ich denke allein schon, dass sein Bruder von Hass zerfressen war, war für einen Gegner des Regimes eine große Gefahr, wenn er Juden half. Er wäre ein Verräter in den Augen seines Bruders gewesen.

    Wenn die Geschichte von ihm stimmt, würde ich ihm wünschen, dass sie auch noch belegbar sein wird.

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    1. hi und guten Morgen, anhand der nachlesbaren Familiengeschichte Görings gehe ich davon aus,daß beide
      Görings verschiedene Väter hatten.Beide sind auffällig unähnlich. Sind noch DNA Tests möglich ?

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    2. Keine schwere Entscheidung! Die Fakten müssen ernster genommen werden, als der Name.

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    1. nun, die soll Hitler auch gehabt haben.

      Ob nun gleicher Vater oder nicht, Kinder entwickeln sich unterschiedlich und manchmal auch vollkommen anders (siehe Galinski)

      In Beit Jala gibt es eine christlichen Einrichtung, aufgebaut und geleitet durch einen palästinensischen Christen. Er macht eine wundervolle Arbeit. Kinder werden zu Frieden und nicht zu Hass erzogen. Selbst Muslime schicken ihre Kinder in diese Einrichtung. Aber sein Bruder zeigt ihn immer wieder bei den Behörden an, weil er nicht dem Islam entspricht.

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      1. Yad Vashem hat verständlicherweise klare Regeln und braucht sie auch.
        Andererseits liegt es in der Natur der Sache, dass nicht jede Hilfeleistung während der Nazizeit im Nachhinein zweifelsfrei belegbar ist.
        Spielt es also die entscheidende Rolle, ob jemand seinen Baum in Yad Vashem bekommt? Ich denke, nein.
        Aber vielleicht könnte dort ein Baum (oder Baumgruppe) für alle anonymen Retter gepflanzt werden, die eben nicht ausfindig zu machen sind bzw. ihre Taten nicht beweisen können.

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      2. Sein Bruder gehört zur Orthodoxen Kirche und er kam 2022 ins Gefängnis da ein israelische Politiker dorthin von eine christlichen Gruppe eingeladen wurde.

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  2. Danke für diesen wirklich guten Bericht. Sie zeigen damit eine große Problematik auf. Sehr viele unbekannte Menschen haben zur damaligen Unrechts-Zeit versucht, den jüdischen Menschen, in irgend einer Form zu helfen. Diese Menschen bleiben aber meistens auch unbekannt, aber Adonai kennt sie ALLE. Diese Hilfe war wirklich lebensgefährlich, wenn auch nur der geringste Verdacht aufkam, gab es für die Helfer fürchterliche Konsequenzen aus ihrem guten Tun. Der unendlich brutale Hass dieser Gewaltmenschen, das jüdische Volk auszurotten, ist leider auch heute wieder oft zu lesen, zu erleben und zu spüren. Ja wird duch Spenden, Duldung und Förderung der Antisemiten, leider auch von regierenden, sehr stark unterstützt.
    Einen Wunsch habe ich an die Redaktion: Bitte schickt mit dem Newsletter und/oder anderen Publikationen von euch, keine Bilder von solch bösen Menschen mehr. Mir ist echt schlecht geworden als ich diese Gestalten auf eurem Newsletter sah. Ich selber habe jüdische Wurzel und bin im messianischen Glauben, an meinen Messias Jeshua fest verwurzelt. Die Bezeichnung, jüdische Wurzeln, finde ich so schön, wie unausreissbar, für Allezeit. Mit einem ganz herzlichen Shabbat Shalom W.
    P.S.: Die neue Gestaltung ist seeehr gut gelungen, Kompliment! Ihre Publikationen empfehle ich gerne weiterhin, dankeschön dafür.

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  3. Offensichtlich bekleidete der Bruder Görings Positionen, die er durch die Familienzugehörigkeit innehatte – wie es überhaupt öfter vorkam, Familienangehörige die auch einen grösseren Spielraum – kein grösseres Risiko hatten als andere Menschen. Noch häufiger war es, dass nur Hilfen für spätere Persilscheine zustande kamen als sich längst abzeichnete, das der Krieg nicht gewonnen werden konnte (mit Stalingrad war endgültig Schluss. Die unsägliche Geschichte von Callmeyer gegen die vor Corona viele Professoren aus den Niederlanden eine Eingabe in Yad Vashem gemacht haben, weil dessen „Widerstand“ nicht nachgewiesen wurde – er aber gleichwohl von Yad Vashem anerkannt worden ist, ist ein warnendes Beispiel. Wenn die wissenschaftliche Validität nicht vorliegt und gleichwohl aus faslchverstandenem Wohlwollen für „Helfer“ die Oberhand gewinnt, wird am Ende die Einrichtung fragwürdig.

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