In Israels Gedächtnis eingebrannt

Die Hamas hat mit dem Terrormassaker unfassbares Leid erzeugt. Mit der Familie Bibas fühlte das israelische Volk besonders stark mit.
Von Elisabeth Hausen

Margit Shnaider und Yosef José Luis Silberman lernten sich im von ihm 1981 mitgegründeten Kibbuz Kramim im Norden der Wüste Negev kennen. Sie war aus Peru nach Israel eingewandert, er aus Argentinien. Margits Mutter wiederum stammte aus Osteuropa. Bei einer Deportation war sie von einem Zug abgesprungen und hatte sich mehrere Monate lang im Wald versteckt, bevor sie von hilfsbereiten Menschen aufgenommen wurde. Sie verlor viele Angehörige in der Schoa. In Peru fand sie ein neues Zuhause und gründete eine Familie.

Nach der Geburt ihrer Tochter Dana zogen die Silbermans in den Kibbuz Nir Os, nahe der Grenze zum Gazastreifen. Dort kam am 21. April 1991 die zweite Tochter Schiri auf die Welt. Sie wuchs heran und heiratete einen Juden aus einer jemenitischen Familie: Jarden Bibas. Die beiden bekamen zwei Söhne, Ariel und Kfir. Sie hatten rötliche Haare. Jardens Schwester Ofri scherzte, die beiden Kinder seien die „ersten jemenitischen Rotschöpfe“.

Großvater Yosef Silberman glaubte an Frieden mit den palästinensischen Nachbarn, an „zwei Staaten für zwei Völker“. Diese Haltung teilten viele Bewohner des Kibbuz. Das hinderte Terroristen aus dem Gazastreifen allerdings nicht, am 7. Oktober 2023 Nir Os zu überfallen. Sie metzelten etwa ein Viertel der Bewohner nieder und hinterließen eine Spur der Verwüstung. Auch Yossi und Margit Silberman gehörten zu den Ermordeten, ihre Leichen wurden am 21. Oktober identifiziert.

Familie wollte in Golan ziehen

Die Familie Bibas hatte angesichts des anhaltenden Raketenbeschusses in den Jahren vor dem Großangriff erwogen, in den Golan zu ziehen. Dort lebt Jardens Schwester Ofri. Doch daraus sollte nichts mehr werden. Als Terroristen an jenem Schabbatmorgen in ihr Haus eindrangen, verließ Jarden Bibas den Schutzraum und versuchte, gegen sie zu kämpfen. Er wurde verwundet und in den Gazastreifen verschleppt. Dann entführten Palästinenser auch die drei anderen Familienmitglieder.

Ein Video der Hamas ging um die Welt: Es zeigt, wie Schiri Bibas die Kinder schützend an sich zieht, als ein Mob von Terroristen in Zivilkleidung sie aus ihrem Haus zerrt. Die Bilder erhielten in Israel Symbolkraft: Sie verdeutlichen den Horror des Terrorangriffes. Das Schicksal der Familie hat sich ins nationale Gedächtnis eingebrannt.

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Im November 2023 erklärte die Hamas, die drei seien bei einem israelischen Luftangriff getötet worden. Beweise legte sie nicht vor. Die Armee war skeptisch. Bei den Verhandlungen um die Freilassung von Geiseln und eine Feuerpause wurde Anfang 2025 eine Liste mit 33 Namen von Entführten präsentiert, die in der ersten Phase freikommen sollten. Jarden, Schiri, Ariel und Kfir Bibas gehörten dazu. Die Terrorgruppe teilte nur mit, dass acht der Geiseln nicht mehr am Leben seien – aber nicht, wer.

Grausame Bedingungen in der Geiselhaft

Jarden Bibas indes wurde unter grausamen Bedingungen festgehalten, zeitweise war er in einem schlecht durchlüfteten Tunnel in einen Käfig eingesperrt. Er wurde geschlagen. Manchmal setzten ihm die Terroristen Nahrung vor, um sie ihm wieder wegzunehmen, bevor er essen konnte. Mehrmals erzählte die Hamas den Geiseln, ihre Befreiung stünde unmittelbar bevor – aber es stimmte nicht.

Am 1. Februar wurde Jarden Bibas dann wirklich freigelassen. Danach erfuhr er, dass niemand in Israel wusste, was seiner Frau und den beiden Kindern widerfahren war und wo sie sich befanden. Doch mit ihm hoffte das gesamte Land bis zuletzt auf ein Wunder: dass die drei lebend zurückkehren und sich irgendwann vom Trauma der Geiselhaft erholen würden.

Skulptur auf dem Geiselplatz in Tel Aviv

Als am 20. Februar die Leichen der beiden Jungen an Israel übergeben und identifiziert waren, löste das im jüdischen Staat und bei vielen Menschen im Ausland große Trauer aus. Die Rechtsmediziner stellten fest, dass sie im November 2023 „mit bloßen Händen brutal ermordet“ worden waren. Danach hatten die Terroristen ihre Leichen verunstaltet, um einen Luftangriff als Todesursache vorzutäuschen. Ariel war vier Jahre alt und Kfir, die jüngste Geisel, nur zehn Monate. Auch Schiri war brutal ermordet worden.

Nachdem die Hamas zunächst die Leiche einer unbekannten Palästinenserin präsentiert hatte, wurde dies am 22. Februar traurige Gewissheit. Damit hat die Hamas drei Generationen der Familie ausgelöscht. Ariel und Kfir hatten neben der israelischen auch die argentinische und die deutsche Staatsbürgerschaft. Argentinien rief nach ihrem Tod zwei Tage Staatstrauer aus. Der Berliner Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) ließ am Tag der Beerdigung das Brandenburger Tor abends orange anstrahlen.

Tote Palästinenserin bleibt anonym

Am 20. Februar übergab die Hamas nach einer Propagandazeremonie mit Volksfeststimmung vier Särge an das Internationale Rote Kreuz. Drei Leichen wurden als der 84-jährige Oded Lifschiz sowie die Kinder Ariel und Kfir Bibas identifiziert. Bei der vierten Leiche handelte es sich entgegen der Hamas-Behauptungen nicht um Schiri Bibas, sondern um eine unbekannte Palästinenserin. Die Hamas sprach anschließend von einer „Verwechslung“: Israelis und Palästinenser seien bei einem israelischen Luftangriff getötet worden, die Leichen seien durcheinander geraten. Einen Tag später erhielt Israel die echte Leiche.

Eine Woche danach übergab die israelische Armee die sterblichen Überreste der unbekannten Palästinenserin an das Rote Kreuz. Doch was geschah dann? Und um welche Frau handelte es sich? Dieser Frage ging die Journalistin Scheren Falah Sa’ab in der israelischen Zeitung „Ha’aretz“ nach. Sie zitiert einen Softwareingenieur aus Gaza, Mustafa Osfor, der auf der Plattform X schrieb: „Die Hamas hat noch nicht angeordnet, die Frau aus Gaza zu übergeben.“ Dieses Schweigen sei sehr verdächtig. „Mörder, Verbrecher, wo habt Ihr die Leiche dieser Frau aus Gaza erhalten? Habt Ihr ihr Grab ausgeraubt?“ Von offizieller Stelle erhielt Sa’ab weder in Israel noch im Gazastreifen eine Antwort. Doch sie erfuhr aus einer palästinensischen Quelle, dass der Leichnam insgeheim an zwei Mitarbeiter des Roten Halbmondes zurückgegeben worden sei – ohne Zeremonie, ohne Zuschauer. Angehörige seien nicht dabei gewesen. Arabische Medien erwähnten die Episode demnach nur am Rande.

Sa’ab zitiert einen Journalisten aus dem zentralen Gazastreifen: „Es gibt keine Einzelheiten über die Leiche oder den Ort ihres Begräbnisses.“ Er habe selbst versucht, bei mehreren Offiziellen in Gaza etwas zu erfahren. „Alle Informationen über sie werden von der Hamas geheimgehalten, weil der Ort, wo sie getötet wurde, sich in der Nähe einer Stelle befindet, wo israelische Geiseln festgehalten wurden. Die Hamas gibt solche Informationen nicht preis.“ Eine Palästinenserin erzählte Sa’ab, dass im Gazastreifen Ärger über den Vorfall herrsche: Die Zivilbevölkerung nehme ihn als „Entehrung der Toten und ihrer Familie“ wahr.

Sa’ab sieht in dem Vorfall einen Ausdruck der Repressionen, denen Frauen im Gazastreifen ausgesetzt seien. So hätten Palästinenserinnen, die Opfer häuslicher Gewalt waren, während des Krieges versucht, über den Rafah-Übergang nach Ägypten zu fliehen. Doch bewaffnete Hamas-­Terroristen hätten sie zu ihren Familien zurückgebracht.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud) sagte zu dem Zwischenfall: „Letztlich sind die Leute in Gaza wie Besitz der Hamas, ob lebend oder tot – wie der Leichnam dieser armen Frau.“

Die Trauerzeremonie hielten Angehörige und Freunde unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Nir Os ab. Sie wurde aber live im Internet übertragen. Die 60 Kilometer lange Strecke des Trauerzuges von Rischon LeZion nach Nir Os säumten Zehntausende Menschen, um sich von den drei Terror-Opfern zu verabschieden und still ihre Anteilnahme zu bekunden.

Schiri, Ariel und Kfir wurden in einem gemeinsamen Sarg ­beigesetzt – als Symbol für eine ewige Umarmung. In seiner Grabrede sagte Jarden: „Schiri, ich liebe dich und werde dich immer lieben. Schiri, du bist alles für mich. Du bist die beste Ehefrau und Mutter, die es geben konnte. Schiri, du bist meine beste Freundin.“

Mitte März startete sein Vater Eli Bibas eine Spendenkampagne im Internet. Er bat um umgerechnet 1.371.086 US-Dollar. Bereits nach einem Tag waren mehr als 1,7 Millionen Dollar eingegangen. Das Geld soll Jarden Bibas helfen, „aus der Asche“ ein neues Leben aufzubauen, auch durch Psychotherapie. Eine Gedenkstätte für Schiri, Ariel und Kfir ist ebenfalls Teil der Kampagne. Eli Bibas schrieb: „Ihre Spende ist weit mehr als Geld – sie ist Hoffnung, Glaube und eine Chance auf ein neues Leben.“

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5 Antworten

  1. Jarden Bibas wurde in einem schlecht durchlüfteten Tunnel in einen Käfig eingesperrt. Solange der letzte Tunnel in Gaza nicht gesprengt und vollständig zerstört wird, wird die Hamas nicht zu besiegen sein.

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  2. Alle Israelfreunde in DE, so glaube ich, waren und sind entsetzt über diese grausame Tat der Hamas. Drei Generationen auslöschen ist unfassbar. Die dt. Reaktion, oder vielmehr die weitgehendst politisch ausgebliebene Reaktion, bis auf das orange Brandenburger Tor, hat mich sehr enttäuscht. Aber ich sehe über die Bibas-Familie hinaus all die anderen Opfer des Massakers, es sind ja über 1200 Tote zu beklagen und nicht von jedem kennen wir das Schicksal, dazu die vielen Soldaten. Und um sie alle empfinde ich Trauer und wirkliche Wut über diese blutrünstigen Terroristen, denen Menschenleben nichts gilt. Israel wird des Genozids beschuldigt, obwohl sie die Zivilisten warnt, bevor sie militärisch arbeiten. Israel hätte die Möglichkeit, den Gazastreifen und alle Bewohner komplett in kürzester Zeit zu vernichten. Sie tun es nicht. Sie möchten nur NIE WIEDER einen 7.10.erleben. So leid, wie mir die Geiseln tun, aber Israel muss auch verhindern, dass so etwas nochmal passiert. 🙏🎗🇮🇱

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  3. Vielen Dank Frau Hausen für diesen einfühlsamen Bericht. Ich konnte die Tränen nicht zurückhalten.
    Was soll man von Leuten halten, die die Leichen zweier Frauen vertauschen und wohl davon ausgehenn dass es keiner merkt. Welche Verachtung der Frau steckt dahinter ! Was die palästinensiche Frau wohl erlitten hat ?

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  4. Wir werden euch, ihr lieben Bibas, nie vergessen. Eure Namen sind unendlicher Schmerz. Und die Gesichter, das Leben, aller Geiseln. Es tut so weh. Shalom

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