Suche
Close this search box.

Hoffnungslos optimistisch

Obwohl er fast alle politischen Wahlen verlor, blieb Schimon Peres zeit seines Lebens Optimist. Der vielseitige Politiker hinterlässt Israel ein ungewöhnliches Erbe. Ein Nachruf von Johannes Gerloff
Er war der weltweit beliebteste Israeli: Schimon Peres (1923–2016)

„Keine Sorge, ich werde nicht vergessen zu sterben!“ Sprühend vor Vitalität nahm der damals fast 90-jährige Präsident des Staates Israel die Frage der Journalisten vorweg und betrat den Konferenzraum. Was Schimon Peres vor allen Politikern Israels auszeichnete, war sein starrsinniger Optimismus, der zu allem bereit war – außer dazu, sich den finsteren Realitäten des Nahen Ostens zu beugen.
Die Frage, ob er sich von Palästinenserführer Jasser Arafat hintergangen fühle, dessen Hand er zum Abschluss der Verträge von Oslo geschüttelt hatte – und der im Rückblick bewiesenermaßen gleichzeitig den Terror gegen Israel geschürt hatte –, wischte Peres unwirsch vom Tisch: „Fragen Sie Arafat!“ Die Provokation, wie er angesichts des Hasses auf sein Volk so zuversichtlich in die Zukunft sehen und so ungebrochen auf eine bessere Zukunft zuarbeiten könne, beantwortete er in dunkelster Zeit mit den Worten: „Ich habe keine Alternative!“
Jetzt hat sich Israels Profi-Optimist dem Zwang der Natur gebeugt und sein Versprechen, das Sterben nicht zu vergessen, eingelöst: In der Nacht vom 27. auf den 28. September ist Schimon Peres im Alter von 93 Jahren nach einem Schlaganfall und kurzer, schwerer Krankheit im Scheba-Krankenhaus in Tel HaSchomer verstorben.

Sechs Jahrzehnte in der Politik

Peres war der bekannteste und weltweit beliebteste Israeli. Seit 1959 gehörte er der Legislative des Staates Israel an und war damit der am längsten amtierende Parlamentarier des jüdischen Staates. Die Politkarriere des polnisch-stämmigen Sozialdemokraten erstreckte sich über sechs Jahrzehnte. In dieser Zeit hat er Höhen erlebt und Tiefen durchlitten, gehörte zu den meistgehassten Politikern, wird heute aber von einer überwältigenden Mehrheit seines Volkes verehrt.
In seiner Antrittsrede als 9. Präsident des Staates Israel nannte er David Ben-Gurion, Jitzhak Rabin und Ariel Scharon als Männer, mit denen er sich in besonderer Weise verbunden fühle, mit denen er sich gemeinsam dem Wohl des Staates Israel verpflichtet sehe und die gemeinsam mit ihm als Quartett einzigartig die Geschichte des jüdischen Staates Israel verkörperten. Mit Peres verabschiedet der jüdische Staat den letzten Profipolitiker seiner legendären Gründergeneration.
Am 2. August 1923 wurde Szymon Perski in Wiszniew, das heute in Weißrussland liegt, geboren. Im Alter von elf Jahren wanderte er mit seinen Eltern in das britische Mandatsgebiet Palästina ein. Seitdem er 1948 persönlicher politischer Berater von Staatsgründer David Ben-Gurion war, hatte Peres praktisch alle hohen politischen Ämter des Staates Israel inne. Im Alter von 29 Jahren war er Generaldirektor des Verteidigungsministeriums, zweimal Premierminister, dreimal Außenminister, zuletzt – von 2007 bis 2014 – Staatspräsident.

Meister der Geheimdiplomatie

Peres wird als „Vater des israelischen Atomprogramms“ gehandelt und zog bei einigen der spektakulärsten Militäraktionen Israels, wie etwa der Befreiungsaktion von Entebbe 1976, im Hintergrund die Fäden. Gleichzeitig war er Meister der Geheimdiplomatie, entscheidender Motor des Prozesses von Oslo und erhielt für den Handschlag mit PLO-Chef Jasser Arafat auf dem grünen Rasen vor dem Weißen Haus in Washington im September 1993 gemeinsam mit Arafat und Jitzhak Rabin den Friedensnobelpreis. Allerdings wurde er von seinen eigenen Leuten dafür auch als „Verbrecher von Oslo“ beschimpft.
In Israel war Peres als notorischer Träumer bekannt und wurde für seinen „Neuen Nahen Osten“ oft verhöhnt. Als frisch gewählter Staatspräsident verkündete er, dass er in seinen 48 Jahren in der Knesset „keinen Augenblick die Hoffnung verloren“ habe. Hoffnung zu vermitteln, sah er auch im hohen Alter als eine seiner vornehmsten Aufgaben. So ließ er es sich auch noch als Ex-Präsident mit über 90 Jahren nicht nehmen, mit seiner Enkeltochter auf Job-Suche zu gehen und sich etwa als Tankwart filmen zu lassen.
Dabei war das beharrlichste Urgestein der israelischen Politik vor allem als „Loser“, als Verlierer, bekannt. Schimon Peres hatte bis zu seiner Wahl zum Staatspräsidenten am 13. Juni 2007 nie eine Wahl gewonnen. Journalisten witzelten hinter seinem Rücken: „Wir wissen nicht, was im Jahr 2050 sein wird – außer, dass es Wahlen geben und Schimon Peres verlieren wird“ – was wohl als Beweis dafür gelten muss, dass Journalisten schlechte Propheten sind und Träumer manchmal auch nach langer Zeit noch Erfolge erzielen.

Vertrauen ins Präsidentenamt wiederhergestellt

Eine der beharrlichsten Journalistenfragen, die den hochbetagten Staatsmann in den vergangenen Jahren begleitete, war wohl die, wann er denn endlich in Rente gehen wolle. In Krisenzeiten hatte er darauf mit nachdenklichem Ernst geantwortet: „Solange ich meinem Volk helfen kann, stehe ich zur Verfügung.“ Als frisch gewählter Präsident meinte er: „Wer etwas gegen mein Alter hat, möge sich bitte an meine Urenkel wenden.“
Mit Bravour gelang es Peres, das Vertrauen der israelischen Bevölkerung in das Amt des Präsidenten wiederherzustellen, nachdem sein Vorgänger, Mosche Katzav, wegen Vergewaltigung zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Im letzten Abschnitt seines Lebens erwies er sich als großer Staatsmann, indem er das chronisch zerstrittene Volk seines Landes auf souveräne Weise einte. Außenpolitisch war Peres definitiv der erfolgreichste Repräsentant des so vielfach angefeindeten und verleumdeten Staates Israel.
Doch Peres war nicht nur Politiker. Er war belesen und hat Gedichte verfasst. Nicht zufällig zählten die Schriftstellerin Simone de Beauvoir und andere Literaten zu seinen engsten Freunden. Im äußerst korruptionssensiblen und skandalbewussten Israel konnte ihm, im Gegensatz zu anderen Politikern, nie Geldgier, Korruption, unlautere Nähe zu Millionären oder Wirtschaftsmagnaten vorgeworfen werden. Auch Frauengeschichten werden über Peres nicht erzählt.
Sein Privatleben hat Schimon Peres mit Erfolg vor der Öffentlichkeit versteckt. Seine Frau Sonja, die im Januar 2011 im Alter von 87 Jahren verstarb, hielt sich beharrlich im Hintergrund und verweigerte sich auch dann noch dem Rampenlicht der Öffentlichkeit, als ihr Mann Staatspräsident wurde. Peres hinterlässt eine Tochter namens Zvia, sowie zwei Söhne, Jonathan und Nehemia, und sechs Enkel.

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

Eine Antwort

  1. Wie schade, dass Peres tot ist — in den jetzigen Zeiten braucht Israel dringend einen Mittler der Gesellschaft. Diese Aufgabe wird wohl jemand anderes übernehmen müssen.

    Aber am Ende wird der Gott Israels ohnehin nicht zulassen, dass Israel untergeht oder in zwei Staaten geteilt wird. Israel kann mit Recht sagen: „We are here to stay!“ (Wir sind hier, um zu bleiben.)

    0

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen