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Hans-Jochen Vogel und der Anschlag auf die israelischen Olympioniken

Mit Hans-Jochen Vogel verliert Israel einen großen Freund in Deutschland. Besonders deutlich zeigt sich das an seinem Umgang mit dem Terroranschlag auf die israelische Olympiamannschaft in München. Doch auch freundschaftliche Beziehungen zu israelischen Politikern sprechen dafür.
Hatte freundschaftliche Beziehungen mit Teddy Kollek und Schimon Peres: Hans-Jochen Vogel (1926–2020)

„Eine heitere Stimmung“ prägte München in den ersten Tagen der Olympischen Spiele 1972. Es sei „ein absoluter Gegensatz zu den Spielen von 1936“ gewesen, „und es war einfach eine Zeit der Freude“. Mit diesen Worten erinnerte sich der am Sonntag im Alter von 94 Jahren verstorbene SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel in einem Interview, das zur 2015 eröffneten Wanderausstellung „Israelis und Deutsche“ gehört, an diese besondere Zeit. Doch machte der 5. September mit dem verheerenden palästinensischen Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft der heiteren Stimmung ein Ende.

Vogel hatte als Oberbürgermeister die Olympischen Spiele nach München geholt. Sie sollten bewusst einen Gegensatz zu den Nazi-Spielen in Berlin bilden. Umso größer war die Erschütterung, als ihn die Nachricht von dem Anschlag erreichte: „Es war natürlich furchtbar, dass diese jüdischen Menschen ausgerechnet in der Stadt der Gastgeberin ihr Leben verloren haben“, sagte er in dem Interview. „Aber es war auch ein Zeichen dafür, wie dicht Freude und Trauer, Trost und Heiterkeit beieinander liegen können.“

Särge nach Israel begleitet

Vogel war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Oberbürgermeister, das Amt hatte bereits am 11. Juni sein Parteigenosse Georg Kronawitter übernommen. Dennoch fühlte er sich verantwortlich – und begleitete sogar die Särge der ermordeten Athleten nach Israel. „Es war ein Gefühl der Trauer, es war die Frage: Warum musste das geschehen?“, beschrieb er seine Empfindungen. „Es war natürlich auch die Frage: Haben wir etwas versäumt? Haben wir etwas unterlassen, was den Tod dieser Menschen hätte verhindern können?“

Beeindruckt habe ihn der Umgang der Israelis mit den Deutschen, nachdem sich der Anschlag auf deutschem Boden ereignet hatte: „Die Reaktionen auf israelischer Seite waren nicht der erhobene Finger gegenüber uns, sondern es war die harte Auseinandersetzung mit den Attentätern, von denen glaube ich dann nur noch einer schließlich weitergelebt hat. Das ist ein Tag, den man in seinem Leben nicht vergisst, dieser 5. September 1972.“

Der Anschlag auf die israelischen Olympioniken führte zu einer Diskussion darüber, ob die Spiele unter diesen Umständen überhaupt weitergehen könnten. „Ich habe am Anfang des Tages gedacht: Nein, die Spiele können nicht weitergehen nach diesem Ereignis. Wir müssen sie abbrechen“, erinnerte sich Vogel in dem Interview zur Ausstellung. Doch der Vorsitzende des Internationalen Olympischen Komitees, Avery Brundage, sei der Hauptfürsprecher für die Fortsetzung gewesen – und habe ihn schließlich überzeugt: „Denn sonst wäre die Frage, ob Weltereignisse abgebrochen werden und nicht mehr stattfinden können, in die Hände der Terroristen gelegt worden.“ Es habe ihn dann aber doch erleichtert, dass die israelische Premierministerin Golda Meir derselben Ansicht gewesen sei.

Auf Kolleks Rat: Vor den Bundeskanzler „gedrängelt“

Bereits Vogels Amtsvorgänger Thomas Wimmer, der ebenfalls der SPD angehörte, hatte begonnen, Überlebende der Scho’ah aus Israel nach München einzuladen. Vogel setzte diese Tradition nach dem Amtsamtritt im Jahr 1960 fort. Seinen eigenen ersten Besuch in Israel unternahm er 1964 mit dem Deutschen Städtetag. Ihm sollten viele weitere Reisen in den jüdischen Staat folgen.

Freundschaftliche Beziehungen verbanden den Politiker mit dem langjährigen Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek. Eine Anekdote dazu überlieferte der „Spiegel“ in der Ausgabe vom 25. März 1985: Vogel sei in der vergangenen Woche dem Bundeskanzler zuvorgekommen – allerdings „auf orientalische Weise“. Im Goldenen Buch der Stadt sei der damalige Oppositionsführer im Bundestag auf die Eintragung Helmut Kohls vom Januar 1984 gestoßen. „Als Kollek seinem Gast vorschlug, er könne sich doch gleich auf der noch freien Seite rechts daneben verewigen, zierte sich Vogel. Dann aber fand der Genosse Gefallen an der Idee, da man ja im Hebräischen von rechts nach links lese.“ Kollek habe erwidert: „Ja, so gesehen bist du der Erste.“

In Vogels Amtszeit als Oberbürgermeister fiel der Anschlag auf ein jüdisches Altenheim im Jahr 1970. Dazu äußerte er sich in der ARD-Dokumentation „Geheimmission Tel Aviv“ von 2020. Sie befasst sich mit dem legendären Fußballspiel von Borussia Mönchengladbach in Tel Aviv 50 Jahre zuvor. Vogel sagte: „Die Stadt war sehr betroffen, aber es ist bis heute unklar, wo eigentlich die Täter, die diesen Brandanschlag verursacht, waren. Man hat auch nicht feststellen können, ob sie etwa der linken extremen Szene zuzuordnen sind, oder ob sie ausschließlich antisemitischen Beweggründen zuzuordnen sind.“

Dankbar für demokratische Entwicklung in Deutschland

Hans-Jochen Vogel wurde am 3. Februar 1926 in Göttingen geboren. Nach seiner Amtszeit als Oberbürgermeister war er von 1974 bis 1981 Bundesjustizminister. Den Bundesvorsitz der SPD hatte er zwischen 1987 und 1991 inne, bis 1994 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Nach dem Ende seiner politischen Laufbahn engagierte er sich in dem von ihm gegründeten Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie“. Bei Kollek war er zum 90. Geburtstag eingeladen. Auch mit dem israelischen Politiker Schimon Peres verbanden ihn freundschaftliche Kontakte.

Zu seinem 85. Geburtstag wies die Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“ darauf hin, wie dankbar er für die Entwicklung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg war: „Hätte man uns 1945 gesagt, dass wir vier Jahre später ein Grundgesetz haben würden, dem eine klare Wertordnung zugrunde liegt, dass wir 25 Jahre später einen Bundeskanzler haben würden, der den Friedensnobelpreis erhält, dass schließlich Deutschland friedlich und ohne Blutvergießen wiedervereint sein werde – wir hätten ihn für verrückt erklärt.“

Von: Elisabeth Hausen

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