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„Foxtrot“ schaut Israelis in die Seele

Die israelische Kulturministerin Regev hat dem Film „Foxtrot“ vorgeworfen, sein Land zu verraten. Tatsächlich kümmert sich das preisgekrönte Werk um die Wunden, die der Militärdienst in die Seelen der Israelis schlägt. Eine Filmkritik von Michael Müller
Der israelische Film „Foxtrot“ setzt sich mit der Psyche der Menschen auseinander, die für ihr Land Militärdienst leisten

Es klopft an der Tür. Da stehen Leute in Uniformen. Die reden ganz bedacht. Aber ihre Worte schlagen bei Michael Feldmann (Lior Ashkenazi) ein wie Bomben. Denn sie teilen dem Vater in seiner Tel Aviver Wohnung mit, dass sein Sohn Jonathan (Yonatan Shiray) beim Militärdienst verstorben sei. Der Offizier vom Militärrabbinat hat praktische Tipps parat, zum Beispiel jede Stunde ein Glas Wasser zu trinken. Eltern unter Schock würden das leicht vergessen. Das Militär habe für die Eltern bereits alles durchorganisiert, der Vater brauche sich um nichts zu kümmern. Während seine Ehefrau Dafna (Sarah Adler) ohnmächtig wird, zeigt die Filmkamera nur noch das Gesicht des Vaters. Er hört die auf ihn einredenden Stimmen, die Hilfe anbieten. Und doch ist er mit dem Schmerz nicht nur im Bild völlig allein gelassen.

Der israelische Film „Foxtrot“ von Samuel Maoz schlägt seit seiner Weltpremiere auf dem Festival in Venedig hohe Wellen. Im vergangenen September gewann das Werk dort den Großen Preis der Jury und war umgehend Ziel von Attacken der israelischen Kulturministerin Miri Regev. „Der Film versucht, die größte Feierlichkeit des 20. Jahrhunderts, nämlich den Staat Israel, zu zerstören“, sagte sie, ohne den Film gesehen zu haben. Seine Botschaft spiele auf dem Rücken der Soldaten den Hassern des Staates in die Hände. „Foxtrot“ gewann dann acht israelische Ophir-Filmpreise und repräsentierte das Land im Oscar-Rennen.

Der Film gliedert sich in drei Teile: Im ersten Teil werden die Eltern über den Tod ihres Sohnes informiert. Im Mittelteil sieht der Zuschauer den Sohn Jonathan seinen Militärdienst in einer surreal anmutenden Wüstenlandschaft ableisten. Die Soldaten schauen an ihrem Checkpoint einem Kamel zu, wie es die Schranke passiert. Tagsüber tanzt Jonathan mit seinem Gewehr in der Hand, als wäre es seine Braut. Abends beobachten die Kameraden die vor Hitze tropfenden Elektronikgeräte und das leichte Absacken ihres Schlafcontainers in den nassen Wüstensand. Der abschließende Teil des Films macht einen Zeitsprung und zeigt wieder die Eltern, wie sie das Schicksal des Sohnes verarbeitet haben.

Michael Feldmann (Lior Ashkenazi) und seine Frau Dafna (Sarah Adler) müssen den Tod ihres Sohnes Jonathan verarbeiten Foto: NFP / Giora Bejach
Michael Feldmann (Lior Ashkenazi) und seine Frau Dafna (Sarah Adler) müssen den Tod ihres Sohnes Jonathan verarbeiten
In einer Rückblende erzählt der Film von dem Militärdienst des Sohnes (Yonatan Shiray) Foto: NFP / Giora Bejach
In einer Rückblende erzählt der Film von dem Militärdienst des Sohnes (Yonatan Shiray)
Der Container der jungen Soldaten im Nirgendwo versinkt langsam im nassen Sand Foto: NFP / Giora Bejach
Der Container der jungen Soldaten im Nirgendwo versinkt langsam im nassen Sand
Die Schuldgefühle des Vaters gegenüber seinem Sohn verhandelt „Foxtrot“ auch mit schlichten Schwarzweiß-Zeichnungen Foto: NFP / Giora Bejach
Die Schuldgefühle des Vaters gegenüber seinem Sohn verhandelt „Foxtrot“ auch mit schlichten Schwarzweiß-Zeichnungen
Die in Paris geborene Schauspielerin Sarah Adler, die Dafna in „Foxtrot“ spielt, ist einer der Stars des gegenwärtigen israelischen Kinos. Weitere sehenswerte Filme mit ihr sind „Jellyfish – Vom Meer getragen“ (2007) und „The Cakemaker“ (2017). Foto: NFP / Giora Bejach
Die in Paris geborene Schauspielerin Sarah Adler, die Dafna in „Foxtrot“ spielt, ist einer der Stars des gegenwärtigen israelischen Kinos. Weitere sehenswerte Filme mit ihr sind „Jellyfish – Vom Meer getragen“ (2007) und „The Cakemaker“ (2017).
„Foxtrot“-Regisseur Samuel Maoz wurde 1962 in Tel Aviv geboren. Mit dem Film „Lebanon“ aus dem Jahr 2009, der den Goldenen Löwen von Venedig gewann, verarbeitete er seine eigenen Erfahrungen aus dem Libanonkrieg von 1982. Foto: NFP
„Foxtrot“-Regisseur Samuel Maoz wurde 1962 in Tel Aviv geboren. Mit dem Film „Lebanon“ aus dem Jahr 2009, der den Goldenen Löwen von Venedig gewann, verarbeitete er seine eigenen Erfahrungen aus dem Libanonkrieg von 1982.

Allgegenwärtiges Thema Trauerbewältigung

Es ist kein Zufall, dass gerade ein Film wie „Foxtrot“ in Israel so viel Aufmerksamkeit erhält. Trauerbewältigung ist ein allgegenwärtiges Thema, das die Bürger bewegt. Schon das Meisterwerk „Ein Tag wie kein anderer“ aus dem vergangenen Jahr sezierte den Umgang eines Elternpaares mit dem Verlust seines erwachsenen Sohnes. Israel ist ein kleines Land, das aufgrund der ihm feindlich gesinnten Nachbarn selbst für sein Fortbestehen sorgen muss. Die mehrjährige Wehrpflicht der jungen Israelis garantiert die Existenz. „Foxtrot“ erzählt von dem hohen Preis, den das Land den Eltern in Form von Sorgen und Verlusten abverlangt. „Ich kann es nicht ertragen, wie alles seinen Geruch verliert“, rechtfertigt sich Dafna gegenüber Michael, als sie die Sachen des Sohnes aus dessen Zimmer wegschmeißt.

Ganz oberflächlich betrachtet zeigt der Film in seinem Mittelteil eine Kontrolle am Checkpoint im Nirgendwo, die fürchterlich schief geht. Bei dieser Schilderung setzen die Kritiker mit ihrer moralischen Verurteilung von „Foxtrot“ an. Aber allein schon auf der narrativen Ebene ist die gezeigte Katastrophe, in der ein israelischer Soldat mehrere Palästinenser in einem Wagen erschießt, ein Unfall. Unabsichtlich rollt den Palästinensern eine Lions-Bierbüchse aus der Autotür, die einer der Soldaten in der Nacht fälschlicherweise für eine Granate hält. Als Reflex lösen sich die Schüsse.

„Zufall ist Gottes Weg, anonym zu bleiben“

Häufig wird im Zusammenhang mit „Foxtrot“ ein Albert-Einstein-Zitat bemüht, das der Regisseur Maoz („Lebanon“) selbst als Ausgangspunkt für sein Drehbuch genommen hat: „Der Zufall ist Gottes Weg, anonym zu bleiben.“ Vater Michael machte selbst eine traumatische Erfahrung bei seinem Militärdienst: Er schickte einen Kameraden in einem Manöver vor, der an seiner Stelle an einer Mine starb. „Gott begleicht eine Rechnung mit uns – mit dir“, sagt seine Frau Dafna zu Michael.

„Foxtrot“ ist so sehr ein Film über die Trauerarbeit, wie er ein Film über die verschiedenen jüdischen Generationen ist. Michaels Mutter, die den Holocaust überlebt hatte, vermachte ihm eine wertvolle Torah-Rolle, die seit zehn Generationen im Familienbesitz ist. Michael ist der erste, der diese Tradition durchbricht, indem er seinem Sohn Jonathan anstelle dessen ein Heft mit Pin-up-Girls vermacht. Diese Rückblende ist wie ein Comic-Strip mit schwarzweißen Standbildern erzählt. Michael glaubt, sich seinen Wurzeln entziehen zu können. Das erinnert an die Worte des bislang einzigen israelischen Literaturnobelpreisträger Samuel Agnon über die drei Generationen von Juden in der modernen Welt: Der Repräsentant der ersten Generation schrieb über die Torah, sein Sohn über die Liebe zur Torah und dessen Sohn über die Liebe.

Es hat eine biografische Verschiebung in den israelischen Familien gegeben, die „Foxtrot“ nachzeichnet. Das Elternpaar Feldmann bezeichnet sich als atheistisch. Und doch ist auffällig häufig von Gott die Rede. Es gibt sogar einen Dialog, in dem es um die geplante Abtreibung Jonathans geht. „Ich konnte dich ihn nicht abtreiben lassen. Deine Schwangerschaft war wie ein Zeichen von Gott“, sagt Michael bezugnehmend auf seinen Militärdienst. Da kommt auch der Titel des Films ins Spiel: Foxtrot sei ein Tanz, erklärt Michael, bei dem man immer wieder am gleichen Ausgangspunkt landet. Michael und Dafna tanzen ihn im Gedenken an ihren Sohn. Und der tanzt ihn für sich am einsamen Checkpoint im Nirgendwo. Um diese Reflexion der Generationen geht es Regisseur Maoz – und nicht um platte Schuldzuweisungen.

„Foxtrot“, Regie: Samuel Maoz, 113 Minuten, freigegeben ab 12 Jahren, mit dem Großen Preis der Jury auf dem Filmfestival in Venedig ausgezeichnet, ab 12. Juni in den deutschen Kinos.

Von: Michael Müller

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