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Die Lebensbilder der Fackelanzünder

Im Gedenken an die sechs Millionen Menschen, die während der Scho'ah ermordet wurden, entzünden sechs Überlebende symbolisch sechs Fackeln. Jeder hat seine eigene bewegende Biographie, doch bei allen sind die Ereignisse des Jahres 1941 von besonderer Bedeutung.
Diese sechs Menschen entzünden die Fackeln in Yad Vashem

JERUSALEM (inn) – Der diesjährige „Tag des Gedenkens an Holocaust und Heldentum“ steht unter dem Thema „Bis zum allerletzten Juden – Achtzig Jahre seit Beginn der Massenvernichtung“. Der Titel bezieht sich auf den Juni 1941, der sowohl den Beginn des Deutsch-Sowjetischen Krieges als auch den Beginn der Massenvernichtung markierte. Traditionell beginnt der Holocaust-Gedenktag mit einer Gedenkveranstaltung am Platz des Warschauer Ghettos in der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. An der Zeremonie nehmen Politiker und Künstler teil, gewöhnlich auch Holocaust-Überlebende und deren Angehörige. In diesem Jahr ist die Teilnahme auf wenige Menschen begrenzt. Aber auch am heutigen Mittwochabend entzünden sechs Überlebende im Gedenken an die sechs Millionen Ermordeten in Yad Vashem symbolisch sechs Fackeln. Yad Vashem hat ihre Biografien skizziert.

Halina Friedman wurde 1933 im polnischen Lodz als einzige Tochter ihrer Eltern geboren. Mit der Eroberung Polens nähte ihre Mutter ihr viel Geld an den Saum ihres Kleides. Die Familie floh nach Warschau, wo sie Ende 1940 im Ghetto eingesperrt wurde. Während der „Großen Aktion“ wurden die Kinder im Sommer 1942 außerhalb des Ghettos mit Maschinengewehren erschossen. Halina fiel hin, wurde aber nicht verletzt. Sie lag unter den Leichen und dem Blut von mehreren Dutzend Kindern und wusste, dass sie sich nicht bewegen durfte. Nachts, als die Soldaten gegangen waren, rannte sie zurück zu ihren Eltern. Diese erkannten die Gefahr und versteckten sie im Haus. Die Familie konnte mit anderen Juden fliehen, Halina versteckte sich mit ihrem Großvater in einer nahegelegenen Bäckerei, von wo sie Schreie und Schüsse hörte. Mithilfe des verbliebenen Geldes fanden sie Helfer, die sie aus dem Ghetto schmuggelten, ihre Mutter Anna wurde nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ein polnisches Ehepaar versteckte Halina, sodass sie den Krieg überlebte. 1950 wanderte sie nach Israel aus. Sie heiratete Abraham, mit dem sie drei Kinder, sieben Enkelkinder und fünf Urenkel hat.

Zahava Gealel wurde im 1935 im niederländischen Den Haag als zweites von drei Kindern geboren. 1942, zwei Jahre nach der Besetzung Hollands, kamen von Deutschen begleitete holländische Polizisten, um die Familie zu deportieren. Als Zahavas Vater eine ansteckende Krankheit vortäuschte, begleiteten sie ihn wegen eines Attests zum Arzt. Der Arzt verstand den Ernst der Lage und gab die Bestätigung. So entkamen Zahava, ihre Brüder und Mutter der Deportation, der Vater wurde nach Auschwitz gebracht und dort ermordet. Dank ihres amerikanischen Großvaters erhielt die Familie die rumänische Staatsbürgerschaft. Deshalb wurden sie aber auch zu politischen Gefangenen. Später waren sie in verschiedenen Konzentrationslager inhaftiert. 1948 wanderte Zahava nach Israel aus und wurde die persönliche Krankenschwester des israelischen Präsidenten Jitzhak Ben-Zvi. Sie heiratete Abraham, mit dem sie drei Kinder hat.

Jossi Chen wurde 1936 im polnischen Lachwa als erstes Kind geboren. Nachdem die Nationalsozialisten Lachwa im Juli 1941 eroberten, zwangen sie alle Juden, in das Ghetto zu ziehen. Viele der Bewohner, so auch Jossis Großmutter, verhungerten oder starben an Überfüllung und Epidemien. Aus anderen Ghettos erreichte die Bewohner des Ghettos von Lachwa die Nachricht, dass diese zerstört sowie die Bewohner ermordet wurden. Als auch die Juden von Lachwa abgeholt werden sollten, kam es zu einem Aufstand. Mitglieder des „Judenrats“ forderten die Bewohner auf, zu fliehen. Das war einer der wenigen Aufstände überhaupt, die Ghetto-Bewohner in Zusammenarbeit mit dem „Judenrat“ ausführen konnten. Auch der damals sechsjährige Jossi floh in die umliegenden Wälder. Jossis Mutter und Bruder wurden gefasst und ermordet. Jossi erinnert sich: „Dank dieses Aufstandes bin ich heute am Leben.“ In den Wäldern gab es mehrere Begegnungen mit deutschen Soldaten, doch jedes Mal gelang es ihm, zu fliehen. 1944 wurde Jossi durch die Rote Armee befreit und kam in ein DP-Lager. Mit dem Schiff Exodus wollte er 1947 nach Palästina einreisen, doch die Briten verweigerten die Einreise. 1948 konnte er doch nach Palästina emigrieren. In Israel wurde er Kommandeur der israelischen Armee und arbeitete für den Geheimdienst Mossad. Jossi ist verheiratet mit Nechama. Sie haben drei Töchter und neun Enkelkinder.

Manja Bigunov wurde 1927 im ukrainischen Teplyk als jüngste von drei Kindern geboren. Im Juni 1941 erschossen deutsche Soldaten Hunderttausende Juden und schickten die Juden von Teplyk zur Zwangsarbeit. Darunter waren auch Manja und ihre Mutter. Als auch sie mit einem Lastwagen zur Erschießung gebracht werden sollte, schlug sie ein Soldat solange, bis sie bewusstlos zusammenbrach. Später wurde sie in verschiedene Arbeitslager gebracht. Nach dem Krieg fand sie ihre Geschwister in Teplyk wieder. Sie heiratete Naftoli Bigun, der in der Roten Armee diente und überlebt hatte, weil er seine jüdische Identität versteckt hatte. Manja schrieb die Schicksale der Juden von Teplyk auf. Sie schrieb auch ihre Gespräche mit den anderen Überlebenden auf, die sie teilweise in der russischen Presse veröffentlichen konnte. 1992 wanderte sie mit ihrer Tochter und zwei Enkelinnen nach Israel ein und erzählte ihre Lebensgeschichte in vielen Schulen.

Schmuel Naar wurde 1924 im griechischen Thessaloniki geboren. Er hatte acht Geschwister, sein Vater war Journalist für jüdische Zeitungen. Im Frühjahr 1941 besetzten die Nationalsozialisten Thessaloniki, sodass Schmuel die Schule nicht beenden konnte. 1943 wurde Schmuel mit vielen anderen Juden seiner Heimatstadt nach Auschwitz deportiert. Die Fahrt im überfüllten Güterwagen dauerte acht Tage. Weil er die deutschen Befehle im Lager nicht verstand, wurde er immer wieder zusammengeschlagen. Schmuel erinnert sich: „Als wir die Bomben der Alliierten hörten, versteckten sich die Deutschen. Ich versteckte mich nicht – denn sterben würde ich ja sowieso.“ Im Januar 1945 wurde er zum Todesmarsch nach Bergen-Belsen gezwungen. Als die Briten ihn im April 1945 befreiten, konnte er sich nicht freuen: „Ich fühlte mich doch ohnehin schon tot.“ Als er nach Griechenland zurückkehrte, um Verwandte ausfindig zu machen, stellte er fest, dass alle ermordet waren. Im November 1945 gelangte er mit einem illegalen Schiff nach Eretz Israel, ins damalige Mandatsgebiet Palästina. Als die Briten das Schiff entdeckten, musste er ins Wasser springen und schwamm ans Ufer. Schmuel kämpfte im Unabhängigkeitskrieg, im Sechstagekrieg und Jom-Kippur-Krieg. Er ist verheiratet mit Mirjam und hat drei Kinder, zehn Enkel und elf Urenkel.

Sara Fischman ist 1927 im tschechischen Neresnice in eine zehnköpfige chassidische Familie geboren. Als die Spannungen in der Region wuchsen, wurden Ghettos gebaut und Sarahs Vater wollte sie und ihre Schwestern im April 1944 nach Budapest schicken. Im Zug wurden sie festgenommen und ins Ghetto des ungarischen Nagyszőllős geschickt. Von dort wurden sie nach Auschwitz deportiert. Dort sahen sie den Rauch ihrer verbrannten Eltern aus den Schornsteinen steigen. Sara musste die Duschen putzen und die Wertsachen der Juden sammeln, die in die Gaskammern geschickt wurden. Später wurde sie von ihren Schwestern getrennt. Sie kam in ein Arbeitslager außerhalb von Auschwitz und später nach Bergen-Belsen. Nach einigen Monaten wurde sie in einen Güterzug gesperrt, der ziellos umher fuhr. Nach drei Wochen wurde sie mit den anderen Insassen in die Wälder geschickt. Die deutschen Wächter verschwanden und die Gefangenen begriffen, dass sie nun frei waren. In der Tschechoslowakei hatte Sara gelernt, mit Waffen umzugehen, und 1949 wanderte sie auf einem Schiff, das Waffen transportierte, nach Israel aus. Sie kämpfte im Unabhängigkeitskrieg. Später heiratete sie Joel, mit dem sie zwei Kinder, fünf Enkelkinder und fünf Urenkel hat.

Landesweites Gedenken

Am Donnerstagmorgen um 10 Uhr ertönen im ganzen Land Sirenen. Für zwei Minuten kommt das öffentliche Leben zum Stillstand, um der ermordeten Menschen zu gedenken. Während des Tages gibt es zahlreiche Gedenkveranstaltungen, in Radio und Fernsehen werden Geschichten von Überlebenden erzählt. Am späten Nachmittag gibt es eine zentrale Gedenkveranstaltung im Museum der Ghettokämpfer, bei der ebenfalls sechs Überlebende Fackeln anzünden.

Von: mh

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