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Juden in Indien

Die Geschichte von Juden in Indien reicht weit zurück, doch erst spät nahmen Israel und Indien diplomatische Beziehungen auf. Der Reiselust von Bewohnern in das jeweils andere Land tut das aber keinen Abbruch. Von Iris Völlnagel
Das Chabad-Zentrum in Mumbai war 2008 Ziel pakistanischer Terroristen (höchstes Gebäude rechts)

Für viele Touristen in Indien gehört der Besuch des Einkaufsviertels Chandni Chowk in der Hauptstadt Neu-Delhi zum Pflichtprogramm. In der Haupteinkaufsstraße des Viertels gibt es alles zu kaufen, was Touristen vor oder nach ihrer Reise brauchen: günstige, leichte Baumwollkleider, Sonnenbrillen, Seidenstoffe, Tees, Koffer … In einer Seitengasse der wuseligen Hauptstraße führt Cornelia Bosman zusammen mit ihrem Mann das Café „Open Hands“. Auf dem Speiseplan findet sich auch eine „Hummusplatte mit frischgebackenem Pitabrot“. „Wir haben hier viele israelische Gäste und haben uns essensmäßig auf sie eingestellt“, erklärt Bosman. Seit fast 20 Jahren lebt die südafrikanische Familie hier.

Während Bosman erzählt, kommt ein indischer Soldat herein, grüßt und verschwindet auf der Toilette. Bosman und er kennen sich. Gegenüber von Bosmans Café befindet sich das jüdische Chabadhaus. Es gehört zu Chabad Lubawitsch, einer weltweiten Organisation mit dem Ziel, das Judentum zu fördern. Das Haus ist Anlaufstelle für jüdische Reisende und hier lebende Israelis. Weil sich hier auch eine Synagoge befindet, müssen die Soldaten es bewachen. Wären draußen nicht Schilder mit hebräischen Schriftzeichen angebracht, würde niemand ahnen, dass es hier eine Synagoge gibt.

Das Chabadhaus ist ein beliebter Anlaufpunkt, erzählt Schmulik Scharf. Der Rabbiner wirkt eher wie ein lässiger Student als eine geistliche Respektsperson. Nur seine Schläfenlocken und die an der Hose herabhängenden Schaufäden lassen ahnen, wie wichtig ihm seine Religion ist. Das Haus leitet er zusammen mit seiner Frau Mira. Das Chabadhaus in Neu-Delhi gibt es seit 1995. Es gilt als das älteste in Indien. Inzwischen gibt es zwanzig dieser Häuser über das ganze Land verteilt. Als im November 2008 pakistanische Terroristen die Finanzmetropole Mumbai in Angst und Schrecken versetzten, war das Chabadhaus im Herzen der Stadt auch eines ihrer Angriffsziele. Damals, so heißt es heute, habe die Polizei zunächst nichts von der Existenz eines solchen Hauses gewusst.

Jeden Tag von neun Uhr morgens bis halb elf Uhr abends ist es geöffnet. Am Freitag laden der Rabbiner und seine Frau zur Schabbatfeier ein. Hotels, Touristen und in Neu-Delhi lebende Juden versorgen sie mit koscherem Essen. Im Informationszentrum bekommen Reisende Hinweise. Darüber hinaus kümmert sich der Rab­biner auch um jüdische Insassen in indischen Gefängnissen. Auch wenn Reisende medizinische Hilfe benötigen, hilft Scharf weiter.

Auszeit nach dem Militärdienst

Im Chabadhaus führt eine schmale, enge Treppe steil nach oben in den zweiten Stock. Auf dem ersten Treppenabsatz sitzt eine Handvoll junger Israelis. Die meisten von ihnen sind Anfang 20. Jedes Jahr kommen tausende Israelis nach ihrem Militärdienst nach Indien. Das Land ist beliebt, nicht nur weil es sich hier günstig leben und reisen lässt, sondern weil Juden hier bislang kaum verfolgt wurden.

Bis zu 60.000 junge Israelis beenden jährlich den Militärdienst. Schätzungsweise 30.000 von ihnen reisen anschließend nach Indien. Neben der Küste von Goa sind vor allem auch einige Dörfer im Himalaya und rund um Dharamsala besonders beliebt. Vielerorts steht alles auf Hebräisch. „Wir brauchen eine Auszeit, um die Erfahrungen im Militär zu verarbeiten“, sagen viele von ihnen. Schätzungsweise 90 Prozent von ihnen experimentieren in Indien mit Drogen, erzählt der israelische Filmemacher Joav Schamir in seiner BBC-­Dokumentation „Flipping out – Israel’s drug generation“. Jedes Jahr erlebten rund 2.000 junge Leute einen mentalen Zusammenbruch, so Schamir. Inzwischen hat die israelische Anti-­Drogenbehörde sogenannte „warme Häuser“ errichtet, um den Menschen zu helfen. Auch etliche der Rabbiner, die sich heute um die jungen Drogenkonsumenten kümmern, seien einst selbst in Indien Gestrandete, erzählt Schamir.

Mehr Touristen, direkte Flüge

Doch die Militärabsolventen sind nicht die einzigen Touristen. Auch Inder reisen gern nach Israel. Seit Jahren nehmen die Besucherzahlen zu. Mehr als 40.000 Inder besuchten in der ersten Jahreshälfte 2018 das Heilige Land. 2015 waren es noch 22.000, so eine Statistik des israelischen Tourismusministeriums. Zu dem Aufschwung beigetragen hat möglicherweise auch, dass die indische Fluggesellschaft Air India im März 2018 Direktverbindungen von Neu-Delhi nach Tel Aviv aufgenommen hat. Ein Novum dabei ist, dass die Flugroute über Saudi-Arabien führt, das zugestimmt hat, dass die Flieger seinen Luftraum benutzen dürfen. Bislang ist Air India die einzige Fluglinie, der das für Flüge von und nach Israel erlaubt wurde. Die Flugzeit verkürzt sich damit um zwei auf sieben Stunden.

Die Aufnahme der direkten Flugverbindungen ist auch Folge der gegenseitigen Besuche der Regierungschefs im jeweils anderen Land. Im Januar 2018 kam Israels Premier Benjamin Netanjahu nach Indien. Dabei besuchte er auch das Chabadhaus in Mumbai, das im November 2008 eines der Ziele der pakistanischen Terroristen wurde. Der damalige Rabbiner Gabi Holtzberg und seine Frau Rivka starben, ihr knapp zwei Jahre alter Sohn Mosche überlebte, weil sein Kindermädchen ihn außer Haus bringen konnte. Beide leben mittlerweile in Israel. Als Netanjahu das Haus besuchte, brachte er den inzwischen elfjährigen Jungen mit.

Enge Wirtschaftsbeziehungen

Erst seit 1992 gibt es zwischen Israel und Indien uneingeschränkte diplomatische Beziehungen. Seitdem wurden die Kooperationen zwischen Neu-Delhi und Jerusalem von Jahr zu Jahr enger.

Dabei gibt es historisch gesehen eine sehr lange Verbindung von Indern und Juden. Die ersten Juden kamen nach der Zerstörung des ersten Tempels vor rund 2.500 Jahren nach Indien. Heute gibt es verschiedene Gruppierungen. Eine ist die Bnei Menasche, zu deutsch Söhne des Manasse, einer der zehn verloren geglaubten Stämme Israels. 2005 wurden sie vom sephardischen Oberrabbiner Israels als Juden anerkannt. Indien sei das einzige Land, in dem Juden nie verfolgt wurden, erzählen die Mitglieder von Mumbais Magen-Hassidim-Synagoge stolz. Heute leben schätzungsweise noch 20.000 Juden in ganz Indien – unter 1,3 Milliarden Indern eine winzige Minderheit.

Bereits im Juli 2017 hatte Indiens Premierminister Narendra Modi Israel besucht. Es war der erste Besuch eines indischen Premiers im jüdischen Staat. In Folge der gegenseitigen Besuche wurden mehrere Vereinbarungen über eine verstärkte Zusammenarbeit in Milliardenhöhe geschlossen. Etwa 70.000 Juden aus Indien leben heute in Israel. Inzwischen erinnert das Jerusalemer Israel-Museum mit der Ausstellung „Die Juden von Indien“ auch an die reichhaltige und langjährige Geschichte der jüdischen Gemeinden auf dem indischen Subkontinent.

Jael Silliman ist eine der wenigen Juden, die heute noch in Kalkutta leben. Die Soziologin und Frauenrechtlerin ist vor einigen Jahren von den USA in ihre Heimatstadt zurückgekehrt. Vor der Unabhängigkeit Indiens war die Stadt eines der wichtigsten jüdischen Zentren des Landes. Drei Synagogen gibt es noch mitten im Stadtzentrum dicht beieinander. Jede ist gut hergerichtet. Doch Gottesdienste finden mangels Mitgliedern kaum mehr statt. Dafür kommen immer mehr Touristen, um die jüdischen Spuren in der Stadt zu entdecken. Nun hat es sich die Wissenschaftlerin zur Aufgabe gemacht, die Geschichte der Juden von Kalkutta in einem digitalen Onlinearchiv zu bewahren. Mit Erfolg, glaubt sie, weil nun immer mehr Touristen sehen und erleben können, wie reichhaltig die Geschichte der Juden auf dem indischen Subkontinent einst war.

Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe 1/2019 des Israelnetz Magazins. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/5667752, via E-Mail an info@israelnetz.com oder online.

Foto: Iris Völlnagel

Zur Autorin: Iris Völlnagel ist freie Fernsehjournalistin für die ARD. Ihre Recherchen zu diesem Artikel entstanden im Rahmen eines Stipendiums der Robert-Bosch-Stiftung. Hier steht sie vor dem „Gateway of India“ in Mumbai, dem Wahrzeichen der Stadt, das auf Initiative und mit Geldern des jüdischen Mäzens David Sassoon gebaut wurde.

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