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„Wir fühlen uns sicher“

Zehn Jahre nach dem Anschlag auf eine jüdische Einrichtung in der indischen Stadt Mumbai gedenkt die Gemeinde der Todesopfer. Angst vor ähnlichen Angriffen hat sie nicht.
Das Chabadhaus im Zentrum von Mumbai, für viele Mumbaier Juden und Touristen aus aller Welt eine wichtige Anlaufstelle

MUMBAI (inn) – Am 26. November 2008 versetzte ein pakistanisches Terrorkommando die indische Finanzmetropole Mumbai in Angst und Schrecken. An zehn Orten kam es innerhalb kurzer Zeit zu 17 Explosionen. Unter anderen wurden das Luxushotel Taj Mahal, das Hotel Oberoi, das bei Touristen beliebte Café Leopold sowie das jüdische Chabadhaus Schauplätze des Terrors. Mehr als 170 Menschen starben, darunter auch drei Deutsche und fünf Israelis. Zu den Toten zählten der jüdische Rabbi Gavriel Noach Holtzberg und seine Frau Rivka. Ihr damals zwei Jahre alter Sohn Mosche überlebte. Zehn Jahre später ist das Chabadhaus wieder ein beliebter Treffpunkt jüdischer Touristen.

Es ist Freitagnachmittag, in weniger als zwei Stunden beginnt der jüdische Ruhetag. In der Küche des Chabadhauses in Mumbai geht es emsig zu. Der Tisch im Nachbarzimmer ist schon gedeckt. In einem weiteren Nachbarraum bereitet sich Rabbi Israel Kozlovsky auf den Abend vor. Rund 30 Gäste werden an diesem Freitag zur wöchentlichen Schabbatfeier erwartet. Es duftet nach frischem, selbstgebackenem Schabbatbrot. Auch Ralphy Jhirad kommt freitags gern hierher, um für seine Familie zwei Schabbatbrote mitzunehmen.

„Es ist einer von zwei Orten in ganz Mumbai, wo du diese Brote bekommst“, erzählt der Ingenieur. Er muss es wissen. Der Jude ist in der 20-Millionen-Metropole geboren und aufgewachsen. Er habe innerhalb der Gemeinde schon alle Funktionen gehabt, erzählt er. Doch jetzt habe er die schönste Aufgabe von allen. Seit einigen Jahren führt er Touristen aus aller Welt durch Mumbai, zeigt Ihnen die Spuren jüdischen Lebens in der Stadt. Außerdem will er ein Zentrum errichten, das an die über 2.000-jährige Geschichte der Juden in Mumbai erinnert. Heute leben etwa 3.000 Juden in der Metropole. Nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 waren es noch rund 35.000 Juden, erzählt Ralphy.

Gedenktafel soll an Opfer erinnern

Auf dem Dach des Chabadhauses wird noch fleißig gearbeitet. Zum 10. Jahrestag der Anschläge von Mumbai soll hier eine Gedenktafel angebracht werden. „Es wird das erste Denkmal in der ganzen Stadt, das alle Namen der Opfer der Anschläge aufgelistet hat“, erzählt – darunter auch die Namen von Rabbi Gavriel Holtzberg und seiner Frau Rivka. Lediglich ihr damals zweijähriger Sohn Mosche habe überlebt. Wie das geschah, sei bis heute eines der ungelösten Rätsel, erzählt Ralphy Jhirad. Das Kind wurde am nächsten Morgen von seinem indischen Kindermädchen Sandra Samuel im ersten Stock neben den leblosen Körpern seiner Eltern gefunden. Dabei hatte das Kindermädchen den kleinen Jungen am Abend zuvor, bevor die Terroristen kamen, in sein Bett im fünften Stock gebracht.

Kaum war der kleine Junge im Bett, seien die Terroristen gekommen. Die Hausangestellte konnte sich zusammen mit dem Koch verstecken. Am nächsten Morgen hörte sie den kleinen Mosche wimmern und fand ihn neben seinen Eltern. Obwohl noch rund um das Haus gekämpft wurde, gelang es ihr, zusammen mit dem Koch und dem Kind, das Gebäude unbehelligt zu verlassen. Heute lebt der Junge bei seinen Großeltern in Israel. Als im Januar 2018 Israels Premierminister Benjamin Netanjahu Mumbai besuchte, wurde er auch von dem inzwischen zwölfjährigen Mosche begleitet. Auch seine Nanny Sandra lebt heute in Israel, sie bekam die israelische Staatsbürgerschaft. „Das war die Gnade Gottes in dieser fürchterlichen Situation“, glaubt Ralphy.

Zehn Jahre nach dem Terroranschlag sind im Chabadhaus die Spuren noch zu sehen Foto: Iris Völlnagel
Zehn Jahre nach dem Terroranschlag sind im Chabadhaus die Spuren noch zu sehen

Auch im vierten Stock sind heute noch die Einschusslöcher in den Wänden zu sehen. Sie sind stumme Zeugen des stundenlangen Kampfes um das Haus, den sich die Terroristen mit Spezialeinheiten lieferten, die versuchten, das Haus aus der Luft zu stürmen. Am Ende des Raums klafft in der Wand ein riesiges Loch. Dahinter befindet sich ein Hohlraum. Offensichtlich vermuteten die Terroristen etwas in dem Hohlraum und durchlöcherten die Wand, um zu sehen, was dahinter ist, erzählt Ralphy. Der Angriff kam von oben und von unten. Dabei seien die Angreifer ebenfalls im Kugelhagel ums Leben gekommen.

Vor dem Loch in der Wand soll eine Glasscheibe errichtet werden. So können Touristen, die das Haus besuchen, hier mit Hilfe eines Audioguides und Photographien erfahren, was damals passierte und wie es sich zugetragen hat, erzählt Ralphy.

„Nie gab es irgendwelche Anfeindungen“

Hatte der Terroranschlag Folgen für die in Mumbai lebenden Juden? Nein, meint Joel Telulkar, Präsident der „Magen Chassidim“-Synagoge, eines der zentral gelegenen Gotteshäuser der Stadt. „Wir Juden leben seit 2.000 Jahren in diesem Land. Nie gab es irgendwelche Anfeindungen. Warum sollte jemand etwas gegen uns haben?“ Eine Meinung, die viele der Mumbaier Juden teilen. Es sei bei dem Anschlag nicht gegen die örtliche jüdische Gemeinde gegangen, meint Ralphy. Die Getöteten seien alle Israelis gewesen. Die jüdische Gemeinde sei zu klein, als dass sich jemand dafür interessiere.

Dennoch macht sich Ralphy Jhirad für den Gedenkort im Chabadhaus stark. „Wir vergeben, aber wir werden niemals vergessen“, lautet sein Credo.

Von: Iris Völlnagel

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