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Bundestagsabgeordnete diskutieren über Lösungen für Nahostkonflikt

Im Nahostkonflikt gibt es für die Zwei-Staaten-Lösung derzeit keine Alternative. Doch verschiedene Vertreter wie Netanjahu oder Trump machen diese unmöglich. Das ist der Tenor einer hitzigen Podiumsdiskussion mit fünf Bundestagsabgeordneten in Frankfurt am Main, die durch manche Zuhörer emotional aufgeladen wird.
Das Podium im Theatersaal: (v.l.) Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/ Die Grünen), Wiesmann (CDU), Moderator Hinzpeter, Rabanus (SPD), Müller (FDP) und Buchholz (Die Linke)

FRANKFURT/MAIN (inn) – Aufgeheizt ist die Atmosphäre an diesem Sonntagabend im Theatersaal des Bürgerforums „Titania“ in Frankfurt am Main. Das liegt nicht nur an den hohen Temperaturen, sondern offensichtlich auch am Diskussionsthema: Es geht um „Frieden und Gerechtigkeit im Heiligen Land“. Auf dem Podium sitzen Bundestagsabgeordnete von fünf Fraktionen aus Frankfurt und Umgebung, die betonen, keine Nahostexperten zu sein. Die AfD sei der Einladung nicht gefolgt, teilt Moderator Reinhard Hinzpeter mit. Er ist Gründer des „Freien Schauspiel Ensembles Frankfurt“, das die Veranstaltung organisiert hat.

Seine erste Frage leitet er mit den Worten ein, die Lage in Israel und „Palästina“ sei „unerträglich“ und „völkerrechtlich unhaltbar“. Was deutsche Politik dagegen tun könne. Für Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) ist die Lösung klar: zwei Staaten. Unklar sei allerdings, wie das zu erreichen ist. Mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu (Likud), der Hamas und US-Präsident Donald Trump seien entsprechende Schritte unmöglich. „Wenn der Wille da wäre auf allen Seiten, könnte man vorankommen“, meint er.

Bettina Wiesmann (CDU) spricht sich ebenfalls für einen palästinensischen Staat in den „Grenzen von 1967“ aus. Doch dürften Ergebnisse etwa von Verhandlungen über den Umgang mit den bestehenden Siedlungen nicht vorweggenommen werden. Auch gehöre es zur besonderen historischen Verantwortung, dazu beizutragen, dass Israel sicher existieren könne.

Die Abgeordnete Christina Buchholz (Die Linke) lehnt jegliche Waffenlieferungen in den Nahen Osten ab. Ohne Gerechtigkeit, ohne Beseitigung der Unterdrückung sei Friede nicht möglich. Es handele sich um einen asymmetrischen Konflikt. Das Problem sei, dass die deutsche Politik diese Asymmetrie nicht in Frage stelle. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) habe bei seinem Antrittsbesuch in Israel die rechtsnationale Justizministerin Ajelet Schaked (Israel Beiteinu) getroffen und dabei kein einziges Mal die Siedlungen angesprochen.

Zwei-Staaten-Lösung alternativlos

Der Moderator streut eine Statistik zu Waffenlieferungen in Konfliktgebiete zwischen den Jahren 2000 und 2015 ein. Demnach habe die Bundesrepublik in diesem Zeitraum unter anderem U-Boote und Gewehre in Wert von 2 Milliarden Euro nach Israel geliefert. Er nennt auch Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten.

Nun darf sich auch Alexander Müller (FDP) zur Eingangsfrage äußern. Er sieht ebenfalls keine Alternative zu einer Zwei-Staaten-Lösung. Die Lieferung von U-Booten rechtfertigt er, weil Israel nicht in einem Seekrieg mit den Palästinensern stehe. U-Boote gehörten zur Anerkennung des israelischen Existenzrechtes. Die Mullahs wollten Israel vernichten, das gehöre im Iran zur Staatsräson.

Martin Rabanus (SPD) betont die Bedeutung von Initiativen, die Menschen miteinander ins Gespräch bringen – in dem Falle Israelis und Palästinenser. Hier leisteten deutsche Mittlerorganisationen einen konstruktiven Beitrag. Er verweist auf die Unterschiede zwischen den beiden palästinensischen Gebieten. So gebe es im Westjordanland – im Gegensatz zum Gazastreifen – immerhin stabile Institutionen. Die Strategie des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas (Fatah), sich immer stärker in internationale Institutionen einzubringen, befürwortet er. Denn dadurch werde das Thema wachgehalten, das in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit auf weniger Interesse gestoßen sei.

Störende Zwischenrufe

Das Publikum indes ist unruhig, emotionale Reaktionen sind fast bei jedem Redebeitrag zu hören, mitunter übertönen sie den jeweiligen Hauptredner. Diese mangelnde Solidarität mit demjenigen, der gerade seine Meinung äußert, kennzeichnet den Abend im Bürgerforum „Titania“ und wirkt sich negativ auf die Konzentration der wirklich Interessierten aus. Vor allem ein Zuschauer tut sich durch permanente Zwischenbemerkungen hervor – und lässt sich auch nicht beruhigen, als der Moderator ihn mehrfach auf die für später geplante Diskussionsrunde mit dem Publikum hinweist.

Auf dem Podium geht es indes um die beiden Anträge zum 70-jährigen Bestehen des Staates Israel, die der Bundestag debattiert hat. Den Mittelpunkt des Gespräches bilden hier die Siedlungen: Im Antrag von CDU, SPD und FDP kamen sie nicht vor, beim parallelen Antrag von Grünen und Linken wurden sie kritisiert. Der SPD-Abgeordnete Rabanus merkt an, dass es diesbezüglich Differenzen gegeben habe – und das, worauf man sich nicht einigen könne, erscheine nicht im Antrag. Seine Partei hätte die Siedlungspolitik gerne aufgenommen. CDU-Politikerin Wiesmann hält die Siedlungen hingegen für eine Nuance und bringt ein, dass in der palästinensischen Gesellschaft keine große Aufgeschlossenheit für Israels Existenzrecht sei. So komme Israel in den dortigen Schulbüchern nicht vor.

Strengmann-Kuhn von den Grünen und Buchholz von der Linken wiederum halten die Siedlungen für ein sehr wichtiges Thema. Letztere fügt an, dass die Zwei-Staaten-Lösung momentan systematisch zerstört werde. Schulbücher seien auf beiden Seiten nicht dazu angetan, Bilder zu vermitteln, die Verständnis füreinander weckten. Sie verweist auf einen Artikel in der aktuellen „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ über die Freundschaft zwischen Schaked und Maas. Solche Signale stärkten die israelische Regierung. Wiesmann hingegen bezweifelt, dass Kritik am Siedlungsbau in einem Antrag zu 70 Jahren Freundschaft mit Israel angemessen ist.

Dass die israelische Justizministerin und der deutsche Außenminister so gut miteinander auskommen, gefällt den meisten Diskussionsteilnehmern nicht (Archivbild) Foto: Bundesjustizministerium
Dass die israelische Justizministerin und der deutsche Außenminister so gut miteinander auskommen, gefällt den meisten Diskussionsteilnehmern nicht (Archivbild)

Auf die Frage nach Hindernissen für den Friedensprozess steht die Siedlungspolitik an vorderster Stelle. Nicht erwähnt wird hingegen, dass die Räumung aller Siedlungen im Gazastreifen den Israelis vor allem Tausende Raketen gebracht hat. Buchholz bringt ferner die „extreme Ungleichbehandlung“ an und liefert ein Beispiel: In Ostjerusalem seien die Häuser von Arabern an Wassertanks auf dem Dach zu erkennen, weil sie im Gegensatz zu den Juden nicht an die Wasserversorgung angeschlossen seien. Dieses Beispiel greifen andere Podiumsmitglieder infolge der Diskussion mehrfach wieder auf. Dass die arabische Seite viele israelische Angebote zur Verbesserung der Infrastruktur im Osten Jerusalems als „Versuche der Judaisierung“ ablehnt, ist offenbar unbekannt.

Was trägt zum Frieden bei?

Moderator Hinzpeter fragt, welche Mittel die Roadmap zum Frieden vorantreiben könnten. Strengmann-Kuhn entgegnet, es sei wichtig, auf die Bevölkerung zu schauen, nicht nur auf die Herrschenden. Das Angstgefühl in der Gesellschaft sei aufgrund der Anschläge leider berechtigt. Religiöse Extremisten auf beiden Seiten, Hardcore-Juden und Islamisten, feuerten den Konflikt an. Die Herrschenden in der Region seien entweder gewählt oder „auf andere Weise an der Macht“, daran könne Europa nichts ändern.

Wiesmann hingegen sieht einen Unterschied zwischen Israel mit seiner gewählten Regierung und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) mit Abbas. In diesem Zusammenhang finden das einzige Mal an diesem Abend dessen antisemitische Äußerungen vor dem Palästinensischen Nationalrat Erwähnung, und hier ist das Thema nur angedeutet. Die CDU-Abgeordnete spricht sich dafür aus, Einflüsse von außen zu bekämpfen, die Terror fördern. Ihr SPD-Kollege Rabanus fordert hingegen, den internationalen Druck auf Netanjahu zu erhöhen, damit er sich wieder für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzt. Der FDP-Politiker Müller stimmt seinem Vorredner, auch aus Zeitgründen, zu.

Buchholz kritisiert Trump, der sich aus dem umstrittenen Irandeal zurückziehen will. Eine Eskalation mit dem Iran müsse verhindert werden. Überdies kritisiert sie eine Schwächung der Zivilgesellschaft durch aktuelle israelische Politik, etwa durch das Gesetz, das die Aufarbeitung der „Nakba“ verbietet – mit diesem Wort für „Katastrophe“ bezeichnen Araber die israelische Staatsgründung vor 70 Jahren.

Persönliche Geschichten aus dem Publikum

Nun darf sich das Publikum offiziell an der Debatte beteiligen. Mehrere Zuhörer erzählen persönliche Geschichten. Eine Frau war 30 Jahre bis zu dessen Tod mit einem christlichen Palästinenser liiert, sie haben drei Kinder, ein Sohn spielt im „West-Eastern Divan Orchestra“ von Daniel Barenboim und muss sich dort mit Israelis auseinandersetzen. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat sie bei ihren vielen Besuchen im Westjordanland eine leichte Veränderung zum Guten wahrgenommen – beispielsweise in einem christlichen Dorf, das mittlerweile Zugang zu Wasser und Elektrizität hat. Sie hat Probleme damit, dass Israelkritik heute ganz schnell als Antisemitismus gewertet werde. Als Schlüssel für Frieden sieht sie Solidarität mit den Palästinensern – um der Israelis willen.

Eine andere Frau stammt aus einem Dorf im türkisch-syrischen Gebiet, in dem nach ihrer Aussage alle Religionen friedlich miteinander lebten – bis die Kurden kamen und alles zerstörten. Ihre Familie musste fliehen. Friede sei erreichbar, wenn es nicht um irgendwelche Seiten gehe, sondern um Menschen und um Menschlichkeit.

Ein Mann stellt sich als „palästinensischer Israeli“ vor. Er unterstützt die Initiative „Ferien vom Krieg“, die Treffen von Israelis und Palästinensern in Deutschland organisiert. Die internationale Boykottbewegung BDS ist für ihn die einzige richtige Antwort auf den Konflikt. Leider werde sie in Deutschland als „antisemitisch“ gebrandmarkt. Er spricht sich für einen sozialistisch geprägten vereinten arabischen Nahen Osten aus, in dem alle Minderheiten ein Recht auf Leben hätten.

„Jüdische Gemeinden müssen israelische Menschenrechtsverletzungen anprangern“

Der ungeduldige Gast, der vielfach durch laute Zwischenrufe auf sich aufmerksam gemacht hat, bekommt nun auch seine offizielle Redezeit. Die nutzt er, um denjenigen, die von außen den Konflikt lösen wollten, „koloniale Arroganz“ vorzuwerfen. Niemand könne anderen Völkern aufzwingen, wie sie miteinander leben und sich befreien müssten. Die Oslo-Abkommen seien eine schwere Niederlage für die Palästinenser gewesen, denn sie hätten die „Intifada“ zerschlagen sollen. Deutsche Politik müsse sich heraushalten. Obwohl er nun seine Bühne gehabt hat, stellt er die störenden Kommentare auch in der Folge nicht ein.

Ein weiterer Zuhörer hält es für „Quatsch“, die Palästinenser aufzufordern, Israel anzuerkennen. Das könne doch nur ein Staat tun, und den gebe es ja noch nicht. Des Weiteren zieht er Vergleiche zwischen der israelischen Sperranlage und der Berliner Mauer: Wer sich schützen wolle, könne den Schutzwall nicht auf fremdem Gebiet bauen. Die Berliner Mauer sei auf DDR-Gebiet errichtet worden. Auch er greift den Vorwurf auf, Israelkritiker würden von der jüdischen Gemeinde sofort als „Antisemiten“ verurteilt.

Ein anderer Mann sieht nicht ein, dass die Palästinenser auslöffeln müssten, was die Deutschen verbrochen hätten. Jüdische Gemeinden in Deutschland müssten den Mund aufmachen, wenn in Israel Verstöße gegen die Menschenrechte begangen würden. Gleichzeitig äußert er Verständnis dafür, dass Juden Israel als einzigen Ort ansehen, an dem sie wirklich sicher sind.

Immer wieder bemängelt wird der teilweise nicht vorhandene Kontakt zwischen Israelis und Palästinensern. Dabei sei doch Bethlehem nur wenige Kilometer von Jerusalem entfernt. Dass es jüdischen Israelis aus Sicherheitsgründen verboten ist, die Palästinensische Autonomie zu betreten, greift keiner der Diskussionsteilnehmer auf – obwohl die dreisprachigen roten Warnschilder im Westjordanland nicht zu übersehen sind.

Dieses Schild warnt Israelis davor, die von den Palästinensern verwalteten Gebiete zu betreten Foto: Israelnetz/Dana Nowak
Dieses Schild warnt Israelis davor, die von den Palästinensern verwalteten Gebiete zu betreten

Erfrischend in der hitzigen Debatte ist die Wortmeldung eines jungen Mannes. Er ruft die Diskussionsteilnehmer dazu auf, die Gefühlsebene zu verlassen: „Wir müssen aufhören, aus unserer Perspektive Konflikte zu betrachten und sie absolut zu sehen“, fordert er. Sicherheitsinteressen eines Staates seien nicht zu vernachlässigen. Doch sei es angebracht, die Menschen vor Ort zu fragen, was sie wollten: Eine Zwei-Staaten-Lösung? Einen einzigen Staat? Jerusalem unter internationaler Kontrolle? Nicht gefühlsbetont, sondern analytisch sei an das Problem heranzugehen.

Wahlverhalten vor Ort nicht beeinflussbar

Auf dem Podium bekundet die Abgeordnete der Linken vorsichtige Unterstützung für BDS. Dies sei in Deutschland nicht angemessen für die Debatte, weil sofort die Erinnerung an „Kauft nicht bei Juden“ wach werde. Dass „dank“ der Boykottbewegung Hunderte Palästinenser ihre Arbeitsplätze in der Siedlung Ma’ale Adumim verloren haben, weil das Unternehmen „Sodastream“ in die Wüste Negev zog, kommt in der Diskussion nicht vor.

Der Abgeordnete Müller von der FDP hält es für schwer zu erreichen, dass an beide Seiten keine Waffen mehr geliefert werden. Der ebenfalls in der Debatte geäußerten Behauptung, Israel sei schuld am Antisemitismus, erteilt er ebenso eine Absage wie seine Vorrednerin. Es sei wichtig, sich mit beiden Seiten zu solidarisieren. Der SPD-Politiker Rabanus gibt zu, dass der Bundestag im Nahostkonflikt nur eingeschränkte Einflussmöglichkeiten habe. Das gelte auch für das Wahlverhalten in der Region. Auf die vom Moderator eingeworfene Frage, ob Kontakt zur Hamas bestehe, antwortet er: „Selbstverständlich.“ Doch Abbas sei der Präsident und damit erster Ansprechpartner.

Wiesmann von der CDU merkt an, der Wert eines Menschenlebens sei in den Gesellschaften des Nahen Ostens teilweise anders als bei uns. Einen Mangel an Kritik an der israelischen Regierung könne sie nicht feststellen, auch nicht, dass kritische Bemerkungen gleich in die Ecke von Antisemitismus gestellt würden. Der aktuelle Abend sei ein Beweis für die vorhandene Diskussion über Israel. Grünenpolitiker Strengmann-Kuhn wiederholt seine Unterstützung für Dialogprojekte. Da „Brandbeschleuniger Trump“ nicht als Vermittler in Frage komme, biete sich die EU und damit auch Deutschland als Alternative an. Das Beispiel „Wasseranschluss“ zeige, dass Religionsfreiheit in Israel nicht gelebt werde.

Moderation wenig zielführend

Nicht deutlich wird während der hitzigen Debatte die Rolle des Moderators. Immer wieder unterbricht er die Podiumsdiskussion durch Zwischenbemerkungen, die meist weitere Beispiele für ein negatives Vorgehen von israelischer Seite bringen. Eine Diskussionsleitung nach dem Motto: „Jeder Politiker darf sich zu jeder Frage kurz äußern“ ist ebenfalls nicht erkennbar. Auch laufen die Ermahnungen an Störer ins Leere. Der Abend in dem Frankfurter Bürgerforum hat jedenfalls einmal mehr gezeigt, wie schnell Diskussionen über den Nahostkonflikt emotional werden. Offenbar geht gerade bei diesem Thema die Toleranzfähigkeit gegenüber anderslautenden Meinungen mitunter gegen Null. Als die Debatte vorüber ist und die ersten Gäste, noch innerlich aufgewühlt, das Theater verlassen, ist die Außentemperatur nur unmerklich gesunken.

Von: Elisabeth Hausen

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