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„Existenzrecht Israels nicht verhandelbar“

Der deutsch-israelische Islam-Experte Ahmad Mansur fordert eine offene Debatte ohne Denkverbote über Migration und Integration. Der Umgang mit Gleichberechtigung, dem Existenzrecht Israels oder Antisemitismus stellten immer wieder Probleme beim Integrieren dar.
Ahmad Mansur sprach zum Thema „Klartext Integration“. So heißt auch sein aktuelles Buch.

Wenn Ahmad Mansur über Integration spricht, nimmt der deutsch-israelische Psychologe und Islam-Experte kein Blatt vor den Mund. „Integration ist in erster Linie die Bringschuld der Zugewanderten“ – für diese These aus seinem Buch „Klartext zur Integration: Gegen falsche Toleranz und Panikmache“ sei er attackiert und diffamiert worden. Doch er spricht auch aus eigener Erfahrung. Der Autor erlebte, wie schwer es ist, sich in eine andere Kultur zu integrieren und was es bedeutet, in einer „Parallelgesellschaft“ zu leben.

Vor 15 Jahren kam der arabische Israeli, der seit zwei Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft hat, für das Studium in die Bundesrepublik. Über seine Erlebnisse und seine Forderungen an die Politik und Gesellschaft sprach er am Freitagabend in Herborn. Die Veranstaltung war der Auftakt zur ersten kreisweiten „Interkulturellen Woche“ des hessischen Lahn-Dill-Kreises.

Bei dem Vortrag waren politische Vertreter von Kreis- und Landtagsebene vor Ort (v.l.n.r.): Kreistagsvorsitzende Elisabeth Müller, Autor Ahmad Mansur, Sozialdezernent Stephan Aurand, Jörg Michael Müller (MdL), Abteilungsleiter Soziales und Integration im Lahn-Dill-Kreis Klaus Schreiner, Frank Steinraths (MdL) Foto: pro/Martina Blatt
Bei dem Vortrag waren politische Vertreter von Kreis- und Landtagsebene vor Ort (v.l.n.r.): Kreistagsvorsitzende Elisabeth Müller, Autor Ahmad Mansur, Sozialdezernent Stephan Aurand, Jörg Michael Müller (MdL), Abteilungsleiter Soziales und Integration im Lahn-Dill-Kreis Klaus Schreiner, Frank Steinraths (MdL)

„Sexualität der Frauen kontrollieren“

Mansur listete vier Hauptprobleme der Integration auf. Erstens sei das Thema Gleichberechtigung eine Herausforderung. Es gehe dabei nicht nur darum, dass Männer und Frauen gleichgestellt sind, sondern auch um den Umgang mit Individualität. Viele Migranten stammten aus patriarchalischen Kulturen. Nach Deutschland seien viele Menschen gekommen, vor allem Männer, die jahrelang ihre Sexualität unterdrückt hätten, erklärte der Diplom-Psychologe. Die Auswirkungen davon seien etwa in der Silvesternacht von Köln deutlich geworden. Hier gelte es aber, nicht zu verallgemeinern. Zudem wollten viele eingewanderte Männer die „Sexualität der Frauen, der Ehefrauen und Töchter, kontrollieren“. Deswegen würden manche Muslime in Deutschland radikaler. Denn in der Heimat, beispielsweise in Syrien oder Afghanistan, gab es eine homogenere, konservativere Gesellschaft. Diese habe somit keine Gefahr dargestellt. In Deutschland erlebten manche Migranten Ängste, dass ihnen ihre Identität und Anerkennung weggenommen werde.

Der Umgang mit der Meinungsfreiheit sei zudem ein Problem bei der Integration. Sie bedeute, man darf Kritik üben und offen seine Meinung sagen. Mansur fragte: „Warum haben wir keinen Fortschritt in Jordanien, Gaza, Syrien, aber in Europa schon?“ – wegen der Aufklärung. „Sie war die Geburt des Individualismus, der Aufstand gegen das patriarchische System.“ Und weiter: „Europa hat geblutet, bis die Aufklärung erfolgreich war.“ Das gab und gebe es in den Ländern in Nahost nicht, erklärte der Autor. „Deswegen haben wir in Deutschland Wohlstand und woanders nicht.“ Etwa Syrien sei ein Land, in dem die Menschen seit 40 Jahren lernten, nicht über Politik zu sprechen: „Kritisches Denken ist lebensgefährlich.“ Denn: „Wenn die Menschen anfangen, kritisch zu denken, ist irgendwann auch das Regime in Gefahr.“ Mansur fasst zusammen: Das Fundament unserer Demokratie sei, eine andere Meinung stehen zu lassen. Dass sich nicht alle auf dieses Fundament berufen, wurde an dem Vortragsabend deutlich: Mansur reiste mit mehreren Personenschützern an, die Polizei war präsent. Er sagte: „Ich bin dankbar, in einem Land zu leben, das mich schützt, dass ich meine Meinung sagen kann.“

„Ich kann Antisemitismus nicht bekämpfen, indem ich Mahnwachen halte oder eine Kippa trage, sondern indem man allen Menschen in der Gesellschaft beibringt, dass das Existenzrecht Israels nicht verhandelbar ist.“

Als dritten Punkt führte Mansur den Umgang mit Religionsfreiheit an. „Religionsfreiheit bedeutet, meine Religion kritisieren zu dürfen. Religionsfreiheit heißt auch die Freiheit von Religion.“ Es sei sein Recht als Demokrat, zu sagen, dass seine Kinder kein Kopftuch tragen müssen. Für ihn bedeutet das Kopftuch die „Tabuisierung der Sexualität“.

Ein weiteres Problem bei der Integration ist laut Mansur der Antisemitismus und der Umgang mit Israel. Er führte verschiedene Beispiele an: „Um in Berlin zusammengeschlagen zu werden, reicht es, Hebräisch zu sprechen.“ Auch das Tragen einer Kippa sei gefährlich. Zudem sei der in Deutschland produzierte Hip-Hop, besonders der Gangsta-Rap, antisemitisch. Laut Mansur glauben viele Jugendliche Verschwörungstheorien und denken, dass der Angriff auf das World Trade Center am 11. September 2001 ein Insider-Job der USA und der israelische Geheimdienst Mossad eingeweiht war.

Mansur machte deutlich: „Ich kann Antisemitismus nicht bekämpfen, indem ich Mahnwachen halte oder eine Kippa trage, sondern indem man allen Menschen in der Gesellschaft beibringt, dass das Existenzrecht Israels nicht verhandelbar ist.“ Kritik an Israel und an seiner Politik sei erlaubt. Mansur macht kein Geheimnis daraus, dass er hofft, dass bei den anstehenden Wahlen im jüdischen Staat eine andere Regierung an die Macht kommt. „Man darf Israel kritisieren, aber in dem Moment, in dem ich Israel das Existenzrecht aberkenne, verlasse ich die Grundelemente der demokratischen Gesellschaft.“

Mansur: Abschiebung soll bei Asyl-Missbrauch kein Tabu sein

Mansur sagte, Integration sei eine „Jahrhundertaufgabe, verbunden mit vielen Konzepten“. Wenn Integration ernsthaft und professionell angegangen werden soll, brauche es laut dem Islam-Experten Obergrenzen. Sonst könne der Staat und die Gesellschaft das nicht leisten. „Wir müssen in der Lage sein, die Menschen, die hierher kommen, langfristig zu begleiten.“ Zudem müsse die Rechtstaatlichkeit eine Botschaft haben: Wer Asyl und Schutz sucht, dürfe das Asyl nicht missbrauchen. „Wenn Menschen Asyl missbrauchen, müssen wir ihnen sagen, dass sie ihre Chance verspielt haben – und Abschiebung darf in diesen Fällen auch kein Tabu sein.“

Bei öffentlichen Auftritten erhält Ahmad Mansur immer wieder Personenschutz Foto: pro/Martina Blatt
Bei öffentlichen Auftritten erhält Ahmad Mansur immer wieder Personenschutz

Der Autor erzählte auch von seiner eigenen Geschichte: Als Mansur vor rund 15 Jahren nach Deutschland kam, erlebte er seine ersten Monate als „Trauma“. Er dachte jeden Morgen: „Ich will nach Hause.“ Mansur lebte in Neukölln in einer „Parallelgesellschaft“, wo die Menschen andere Werte und Zukunftsperspektiven hätten. Dort traf er Menschen, die ihm halfen, aber auch Menschen mit Vorurteilen, die die Deutschen und die deutsche Kultur schlecht machten. So entwickelte er selbst eine Abneigung gegenüber Deutschland. Er versuchte dennoch, sich einzubringen, er lernte die Sprache und studierte. Aber: „Es dauerte zwei Semester, bis jemand zu mir ,Hallo‘ sagte.“

„Integration ist erst erfolgreich, wenn wir die Menschen, die zu uns gekommen sind, als gleichberechtigte Partner ansehen“

Integration sei „ein emotionaler Zugang, um in der Gesellschaft anzukommen“ und „keine Einbahnstraße“. Es bedeutet, auch zu sagen: „Dieses Land ist eine Chance für mich, wenn ich mich an die Regeln halte“. Dazu brauche es zum einen offene Migranten und zum anderen eine Mehrheitsgesellschaft, die bereit ist, diesen Menschen zu begegnen: „Integration ist erst erfolgreich, wenn wir die Menschen, die zu uns gekommen sind, als gleichberechtigte Partner ansehen“. Doch oft sei der Blick aufeinander ein anderer: Deutsche begegneten den Geflüchteten nicht auf Augenhöhe, „man sieht sie als Kuscheltiere“ an.

Es gebe Menschen, die ankommen wollen und sie würden die Gesellschaft auch irgendwann bereichern, prognostiziert Mansur. Es gibt laut ihm aber auch andere Personen: „Die glauben, das Geld liegt auf der Straße, kassieren Hartz IV, Menschen, die morden, die klauen, die ihre radikalen Ansichten mitgebracht haben.“ Das auszusprechen, dass auch solche Migranten in Deutschland leben, „hat nichts mit Rechtsradikalismus zu tun“, betonte der Autor. Nur wenn man solche Punkte sagen könne, sei eine offene Debatte möglich.

Falsches Signal durch Seenotrettung

Die Seenotrettung sende laut Mansur ein falsches Signal nach dem Motto: Begebt euch in Gefahr und wir retten euch. Er sprach sich dafür aus, die Menschen zu retten, sie in ihre Herkunftsländer zurückzubringen und dann zu klären, ob sie Anspruch auf Asyl haben. Der Islam-Experte sagte aber, dass man „solche Debatten nicht führen darf“. Er wünsche sich mehr offene Diskussionen, diese täten der Gesellschaft gut – und diese seien nötig, um Lösungen zu finden.

Zum Dialog mit dem Islam in Deutschland äußerte er sich auch: „Ich habe das Gefühl, dass man versucht, den Islam in kirchliche Ordnungen zu zwängen.“ Es gebe aber „keine zwei Moscheen“, wie es auf kirchlicher Seite die katholische und evangelische Kirche gibt. Der Großteil der Muslime in Deutschland sei nicht so organisiert, wie es die Kirchen sind. „Wir haben keinen Papst. Das hat Vor- und Nachteile.“ Der interreligiöse Dialog ende immer beim Dialog mit konservativen Gesprächspartnern. Nur 30 Prozent der Muslime in Deutschland seien organisiert: „Die anderen 70 Prozent sind eine Chance.“ Es gehe darum, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.

Von: Martina Blatt

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