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Ein Ereignis nationaler Bedeutung

Hundertausende strömen zum Begräbnis von Rabbi Kanievsky. Reporter und Politiker zeigen sich ergriffen, Behörden bangen um einen reibungslosen Ablauf.
Von Ulrich W. Sahm
Rabbi Kanievsky

BNEI BRAK (inn) – Das Begräbnis des am Freitag im Alter von 94 Jahren verstorbenen Rabbi Chaim Kanievsky in der ultra-orthodoxen Stadt Bnei Brak nördlich von Tel Aviv wurde wie ein nationales Event begangen. Kanievsky hatte sein Leben lang nur die Tora studiert, war Lehrer vieler Rabbis und galt in der ultra-orthodoxen Gemeinschaft in allen Belangen nicht nur als große Autorität, sondern wurde auch verehrt wie ein Heiliger. Zugleich war der charismatische Patriarch das Gesicht der Ultra-Orthodoxen in Israel.

Seit dem Ende des Schabbat in der Nacht zum Sonntag fuhren tausende Busse durch das Land, um fromme Männer zum Begräbnis zu bringen. Am frühen Morgen trafen schon 20.000 Menschen per Eisenbahn in Bnei Brak ein. Fahrpläne waren außer Kraft gesetzt. Kein Mitarbeiter der Bahn zählte die Reisenden, die in einem ununterbrochenen Strom ein Abteil nach dem anderen füllten. Insbesondere aus Jerusalem fuhr ein voller Zug nach dem anderen los. Schon in den frühen Morgenstunden berichtete die Stadtverwaltung in Bnei Brak von über 750.000 Teilnehmern des Begräbniszuges in der Stadt mit ihren knapp 200.000 Einwohnern.

Polizei in Sorgen

Die israelischen Sicherheitsbehörden hatten sich schon lange vorbereitet auf das „Ereignis 120“, das eine beispiellose Organisation voraussetzte. Der polizeiinterne Begriff folgte hier dem frommen jüdischen Wunsch, jemand möge bis zum 120. Geburtstag leben, denn der ehrwürdige Rabbi war seit Jahren schon eine lebende Legende. Weil die Polizei einen Zusammenbruch des Internet befürchtete, wurde die Armee gebeten, mit Hilfe von Drohnen bei der Überwachung der Zugangsstraßen zu dem Friedhof in Bnei Brak zu helfen. Denn das Militär benutzt vom öffentlichen Internet unabhängige Übertragungskanäle.

Die Menge der Besucher wurde im Laufe des Tages immer größer. Angesichts des Gedränges hunderttausender Menschen im Bereich weniger Straßen befürchtete die Polizei eine Massenpanik mit Todesfällen, wie bei einer frommen Großveranstaltung auf dem Berg Meron vor zehn Monaten. Damals waren 45 Menschen in einem engen, rutschigen Ausgang zu Tode getrampelt worden.

Langsame Prozession

Gegen 11 Uhr vormittags heulten in Bnei Brak die Luftschutzsirenen. Das war das Zeichen für die Geschäftsleute, aus Solidarität ihre Läden zu schließen. Zu Beginn des Begräbnisses standen einige Ultra-Orthodoxe auf dem Balkon des Hauses von Kanievsky, in dem seine Leiche aufgebahrt war. Sein Nachfolger soll nun der 98 Jahre alte Rabbi Gerschon Edelstein werden. Edelstein sprach dann auch das Totengebet, aber seine Stimme überschlug sich immer wieder, sodass seine Worte kaum zu verstehen waren.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen übertrug über viele Stunden hinweg die Großveranstaltung mit Livesendungen. Der bekannte Moderator Jair Weinreb hatte bis gestern noch aus der Ukraine berichtet und war für das nationale Ereignis des Begräbnisses zurückgeflogen. Die Leiche wurde auf einer Bahre, eingehüllt in einen Gebetsmantel, heruntergetragen und in einen schwarzen Mercedes geladen. Wegen der Menschenmassen gab es erst Probleme, dessen Türen zu schließen, und dann konnte sich der Wagen nur zentimeterweise in Richtung Friedhof fortbewegen.

Hunderttausende Männer folgten dicht an dicht, alle in schwarzen Anzügen und mit großen Hüten auf dem Kopf. Die jungen unter ihnen erklommen die Bäume und kletterten auf jedes Sims, um näher heranzukommen. Auf einem separaten Platz waren die Frauen abgesperrt worden. Sie konnten das Begräbnis nur per Zoom auf Fernsehschirmen verfolgen. Nur einmal war ein kleines Mädchen mit tänzelnden Bewegungen auf einem der Balkons der Häuser entlang der verstopften Straßen zu erkennen.

Schwärmerei für den Verstorbenen

Immer wieder kamen fromme Reporter zu Wort, die über das „bewegendste Ereignis ihres Lebens“ berichteten: eine Begegnung mit dem nun verstorbenen Rabbi. Von morgens bis abends habe er die Bibel studiert. „Aus seiner Kehle strömte der Heilige Geist“, meinte einer der Reporter. Der Rabbi, so hieß es, soll einmal gesagt haben, dass er nur ausspricht, „was Gott ihm vorgegeben“ habe.

Kanievsky selbst hatte seine Popularität auch außerhalb seiner Gemeinschaft wenig interessiert. Einer Anekdote zufolge kannte er noch nicht einmal die Namen des jeweiligen Premierminister. Das hinderte die Politiker nicht, an seinem Tod Anteil zu nehmen. Seit Freitag war sein Haus Ziel von Politikern für demonstrative Pilgerbesuche. Auch der ehemalige Regierungschef Benjamin Netanjahu folgte dem Ruf zu einem publikumswirksamen Auftritt.

Gegen 15 Uhr endete die Beerdigung und die Polizei konnte aufatmen, dass dieses Großereignis ohne nennenswerte Vorfälle endete. Es gab nur einige Leichtverletzte. Gleichwohl sollten die Verkehrsstörungen noch bis in die Nacht weitergehen, bis alle Teilnehmer des Begräbnisses per Bus und Eisenbahn vor allem nach Jerusalem heimgekehrt sind.

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Eine Antwort

  1. Bei solchen Menschenmassen kann man wirklich gut durchatmen, wenn es gut geht.

    Habe mich beim Lesen an eine Beerdigung erinnert, die etwas anders verlief. Wobei: Beerdigung ist nicht das richtige Wort. Die arab. Beerdigungen verlaufen nicht selten sehr konfus. Nicht selten wird dabei geschossen und so mancher Teilnehmer musste am nächsten Tag auch zu Grabe getragen werden. Arafat wollte mal beweisen, dass sie auch geordnete Beerdigungen können und lies eine Beerdigung proben. Leider rutschte dabei die „Leiche“ von der Bahre und stand wieder auf. Die Trauernden, die nicht davon in Kenntnis gesetzt waren, dass es sich nur um eine Probe handelte, stoben wie wild auseinander.

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