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Die Welt schaut auf Jerusalem

Das zweitwichtigste Radrennen der Welt, der Giro d'Italia, ist am Freitag in Jerusalem gestartet. Noch nie fand dieser Sportklassiker außerhalb Europas statt. Während die Welt auf Jerusalem schaut, genießen die Israelis die Aufmerksamkeit für ihre eigenen Fahrer.
Das Zeitfahren des Giro d'Italia fand am Freitag vor der Kulisse der Jerusalemer Altstadt statt

JERUSALEM (inn) – Als Guy Sagiv vor der malerischen Kulisse der Jerusalemer Altstadt an den Start geht, herrscht unter den Tausenden von Zuschauern bereits eine ausgelassene Volksfest-Stimmung. Frühzeitig haben sich die Menschen an der zehn Kilometer langen Zeitfahrstrecke am Freitag die besten Plätze gesichert. Aber jetzt klettern selbst ultraorthodoxe Israelis auf schwindelerregend hohe Grenzgitter eines Hauses, um ihrem Landsmann zuzujubeln. Die Strecke scheint einen Moment zu beben, so sehr schlagen die Menschen rhythmisch auf die Absperrgitter – so ausgelassen ist die Freude. Sagiv ist einer von zwei Israelis, die am Radrennen Giro d’Italia teilnehmen. Zum ersten Mal dürfen sich Israelis auf diesem Weltklasseniveau messen.

Für Sagiv und seinen Teamkameraden Guy Niv – in den israelischen Medien werden sie wegen desselben Vornamens spielerisch nur noch „The Two Guys“ (Die zwei Typen) genannt – geht an diesem Freitag in Jerusalem ein Traum in Erfüllung. „Als ich ein Kind war, träumte ich immer davon, ein Radprofi zu werden“, erzählt Sagiv der Online-Zeitung „Times of Israel“. Dass er jetzt beim Giro in seiner Heimat dabei sein darf, sei die doppelte Erfüllung seines Traumes.

Niv und Sagiv treten für das israelische Radsportteam „Israel Cycling Academy“ an, das im Jahr 2015 gegründet wurde. An der Strecke stehen zwar einige Zuschauer mit dem blau-weißen Teamtrikot. Riesig ist aber der Andrang, als jemand zu Ehren des Giro unzählige magentafarbige Fahnen des israelischen Teams an die Zuschauer verteilt. Der führende Fahrer in der Gesamtwertung des Radrennens trägt immer ein magentafarbiges Trikot. Der Zielanstieg ist jetzt ein einziges rosa Fahnenmeer. Dazwischen finden sich vereinzelt israelische Flaggen.

Bei der Farbe dürfte Jan Ullrich feuchte Augen bekommen: Die Zuschauer feiern das israelische Team mit magentafarbenen Fahnen Foto: Israelnetz/Michael Müller
Bei der Farbe dürfte Jan Ullrich feuchte Augen bekommen: Die Zuschauer feiern das israelische Team mit magentafarbenen Fahnen

Triumph, der nicht in Zeit zu messen ist

Am Ende des Tages sind die beiden Israelis nicht unter die ersten hundert schnellsten Fahrer gekommen. Sagiv landet auf Platz 162, Niv auf Platz 167. Trotzdem ist die Tatsache, dass die beiden Sportler überhaupt mitgefahren sind und von den Zuschauern über die bergige Strecke getragen wurden, sowohl für die Zuschauer als auch die Fahrer ein Triumph. Der Gewinner des Zeitfahrens ist übrigens der Niederländer Tom Dumoulin, der vergangenes Jahr die Gesamtwertung des Giro gewann.

„Es ist unglaublich, ein Wunder“, sagt Lioa, der am Zielanstieg der Zeitfahrstrecke steht. Er und sein Kumpel sind aus Tel Aviv angereist. Eigentlich sind sie Iron-Man-Fans und waren auch schon mal für den eigenen Wettkampf nach Frankfurt am Main gereist. Aber dass der Giro in Israel stattfindet, finden sie eine so einmalige Angelegenheit, dass sie schon seit Stunden am Absperrgitter auf die ersten Fahrer warten. Natürlich kenne er den Superstar und Favoriten auf den Gesamtsieg, den Briten Chris Froome. „Aber wenn ich ehrlich bin, freue ich mich am meisten auf das israelische Team und die beiden Israelis“, sagt er.

Der Mann, der das Wunder möglich machte

Der Coup, dass der Giro d’Italia in Israel stattfindet, ist dem kanadischen Milliardär Sylvan Adams zu verdanken. Der 59-jährige Immobilienmogul, dessen rumänischer Vater Marcel Adams den Holocaust überlebte, zog vor zwei Jahren nach Tel Aviv. Als großer Radsportfan, der selbst auf dem Fahrrad erfolgreich an den Makkabi-Spielen in Israel teilgenommen hat, setzt er sich dafür ein, dass die Küstenstadt die radfreundlichste in ganz Israel wird. Adams war auch die treibende Kraft, den Giro in seine neue Heimat zu bringen.

Hubschrauber kreisen am Freitagnachmittag über der Strecke. Dabei geht es wohl weniger um Sicherheitsmaßnahmen, als um die schönsten Luftaufnahmen der Fahrer und Sehenswürdigkeiten in Jerusalem. Millionen von Fernsehzuschauern in der ganzen Welt sehen zwischen dem Sport immer wieder Bilder vom Ölberg oder der Knesset. Im englischen Erklärtext, der von der internationalen Bildregie eingeblendet wird, heißt es dann zum israelischen Parlament, dass es auf biblische Geschichte zurückgeht.

Eritrea erfährt an der Giro-Strecke in Jerusalem viel Unterstützung Foto: Israelnetz/Michael Müller
Eritrea erfährt an der Giro-Strecke in Jerusalem viel Unterstützung

Der eritreische Flüchtling Gebremedhin

Neben den magentafarbenen Flaggen des „Israel Cycling Academy“-Teams, den israelischen Flaggen und diversen kolumbianischen Flaggen – die Radsportnation Kolumbien hat eine große Tradition bei den wichtigsten Radrennen der Welt – fallen zahlreiche, teils riesige Flaggen der afrikanischen Nation Eritrea auf. Das hat mit dem 25-jährigen Eritreer Awet Gebremedhin zu tun, der auch beim israelischen Team unter Vertrag steht. Der Flüchtling ist erst in diesem Jahr verpflichtet worden.

Die Verpflichtung passierte etwa zur gleichen Zeit, als der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu im März angekündigt hatte, Tausende von Flüchtlingen aus Eritrea aus Israel abzuschieben. Der Teammanager Ran Margaliot stellte aber gegenüber den Medien klar, dass der Vertrag nicht als politisches Zeichen verstanden werden sollte. „Awet ist ein besonderer Fahrer, dessen Verpflichtung auf seiner persönlichen Geschichte und seinen Fähigkeiten basiert“, erklärte Margaliot: „Wir sind keine politische Bewegung, sondern ein Sportteam, das daran glaubt, dass der Sport die Menschen zusammenbringen kann.“

Der deutsche Fahrer Maximilian Schachmann landete in Jerusalem auf einem starken achten Platz Foto: Israelnetz/mh
Der deutsche Fahrer Maximilian Schachmann landete in Jerusalem auf einem starken achten Platz

Noch zwei weitere Etappen des Giro d’Italia werden in Israel bestritten. Am Samstag sind die Radprofis von Haifa nach Tel Aviv unterwegs. Am Sonntag gehen sie die Strecke von Be’er Scheva nach Eilat an, bevor alle Teams nach Sizilien übersetzen und die Rundreise in Italien zu Ende fahren.

Von: Michael Müller

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