Zu Beginn dieses Jahres veröffentlichten das israelische Gesundheitsministerium und das Umweltministerium einen gemeinsamen Bericht, der eine erschreckende Realität aufzeigt: Jährlich sterben im Durchschnitt etwa 5.300 Israelis an den Folgen von Luftverschmutzung. Im Jahr 2023 stieg diese Zahl auf einen neuen Höchstwert von 6.100 Todesfällen – das entspricht einem Menschen alle 90 Minuten. Diese Zahlen verdeutlichen, dass Luftverschmutzung in Israel nicht nur ein Umweltproblem, sondern auch eine akute Gesundheitskrise ist.
Das israelische Clean Air Act (Gesetz zu sauberer Luft) orientiert sich teilweise an der europäischen Richtlinie zur Luftqualität und an den deutschen Umweltregelungen. Das Gesetz verlangt, dass jede Industrieanlage eine Emissionsgenehmigung besitzt, die Schadstoffgrenzen festlegt und den Einsatz von Technologien zur Reduzierung von Emissionen vorschreibt.
Trotz dieser Vorschriften zeigt ein im vergangenen Monat veröffentlichter Bericht, dass die Emissionen krebserregender Stoffe in Israel weiterhin ansteigen. Die wirtschaftlichen Kosten dieser Verschmutzung sind enorm: Umgerechnet rund 9,2 Milliarden Euro pro Jahr entfallen auf Gesundheitsausgaben, Produktivitätsverluste und andere wirtschaftliche Folgen.
Die größte einzelne Quelle der Luftverschmutzung in Israel ist das Kohlekraftwerk Orot Rabin in der Nähe von Hadera. Das Kraftwerk betreibt sechs Turbinen, von denen jedoch nur zwei mit Abgasreinigungsanlagen, sogenannten Scrubbern, ausgestattet sind. Der jährliche Umweltschaden des Kraftwerks wird auf rund 818 Millionen Euro geschätzt. Die unzureichende Ausstattung der Turbinen zeigt, dass auch bei streng geregelten Einrichtungen erheblicher Handlungsbedarf besteht.
Umstrittene Raffinerien
Ein besonders umstrittenes Beispiel industrieller Verschmutzung sind die Raffinerien in Haifa. Sie wurden während der britischen Mandatszeit nahe dem Hafen gebaut und dienten ursprünglich dem Export von Erdölprodukten. Mit der Zeit wuchs das Haifaer Ballungsgebiet auf mehrere Hunderttausend Einwohner an, viele wohnen nur wenige Meter von den Anlagen entfernt.
Die gesundheitlichen Folgen sind gravierend. Regierungsberichte haben wiederholt eine direkte Verbindung zwischen den Emissionen der Raffinerien und schwerwiegenden Gesundheitsproblemen festgestellt. So ist die Asthmarate bei Kindern in Haifa doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. Bei schwangeren Frauen aus der Haifa-Bucht wurden höhere Konzentrationen von Schwermetallen und toxischen organischen Stoffen im Urin festgestellt als bei Frauen im Großraum Tel Aviv, wobei die Auswirkungen auf Neugeborene noch unbekannt sind.
Studien zeigen zudem, dass das Risiko, an verschiedenen Krebsarten wie Gehirn-, Brust-, Blut- und Hautkrebs zu erkranken, in Haifa um bis zu 17 Prozent erhöht ist. Die wirtschaftlichen Kosten des durch die Raffinerien verursachten Umweltschadens belaufen sich allein auf 119,4 Millionen Euro jährlich.
Verstöße gegen Emissionsgenehmigungen sind keine Seltenheit und führen teilweise zu strafrechtlichen Konsequenzen. 2023 wurde Carmel Olefins, eine Tochtergesellschaft der Bazan-Gruppe, mit 4,8 Millionen Euro bestraft, weil das Unternehmen seine Emissionsgrenzen überschritten hatte – die höchste jemals im Rahmen des Clean Air Act verhängte Geldstrafe. Dies war nicht die erste strafrechtliche Verfolgung des Unternehmens. Bereits 2020 wurden drei leitende Angestellte, darunter der stellvertretende Geschäftsführer, nach einem Brand in einem Tank wegen schwerer Umweltverstöße verurteilt.
Öffentlicher Druck und Kampagnen
Jahrelanger öffentlicher Druck, Demonstrationen und politische Kampagnen zwangen die Regierung schließlich zum Handeln. Im Oktober 2020 wurde ein Ausschuss eingerichtet, bestehend aus Ministerialdirektoren und Vertretern des Nationalen Sicherheitsrats sowie des Nationalen Wirtschaftsrats, um die Durchführbarkeit einer Evakuierung der Haifaer Raffinerien zu prüfen. Der Ausschuss kam zu dem Ergebnis, dass eine Evakuierung möglich und notwendig ist, und 2022 beschloss die Regierung offiziell, den Komplex zu schließen.
Nach diesem Plan wird Israel kein Rohöl mehr in Haifa verarbeiten. Stattdessen wird das Land auf ein Modell umstellen. Dabei werden bereits im Ausland veredelte Erdöldestillate importiert, für Notfälle gelagert und in Israel gemischt und nachbearbeitet, um die inländischen Anforderungen zu erfüllen. Die Raffination selbst wird künftig nur noch in Aschdod durchgeführt, wo sich die Anlage nicht in einem dicht besiedelten Gebiet befindet.
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Auch Sicherheitsbedenken spielen eine wichtige Rolle. Die Raffinerien sind hochexplosiv und befinden sich in unmittelbarer Nähe von Wohnhäusern, Schulen und Krankenhäusern, was sie zu potenziellen Zielen im Konfliktfall macht. Über Jahre hinweg galten die Anlagen als besonders verwundbar, insbesondere gegenüber Angriffen der Hisbollah im Libanon.
Diese Befürchtungen wurden im Juni während der Operation „Volk wie ein Löwe“ Realität, als zwei ballistische Raketen aus dem Iran den Haifa-Komplex trafen. Drei Arbeiter starben, das Kraftwerk, das Strom und Dampf lieferte, wurde beschädigt und abgeschaltet, und die Produktion kam vorübergehend zum Erliegen. Dieser Angriff verstärkte die Forderungen nach einer Schließung der Anlagen.
Bis 2030 evakuieren
Laut Regierungsplan sollen die Raffinerien bis 2030 vollständig evakuiert werden. Das stark verschmutzte Gelände wird saniert und anschließend zu einem der größten Entwicklungsprojekte Israels umgestaltet. Geplant sind tausende Wohneinheiten, ein Metropolenpark, Bürogebäude und Hightech-Zentren, die die Region neu gestalten sollen.
Für die Bewohner Haifas markiert diese Entscheidung das Ende jahrzehntelanger Kämpfe. Für Israel insgesamt ist sie ein Wendepunkt im Kampf um saubere Luft, Gesundheit und Sicherheit. Die zentrale Frage bleibt, ob der Staat den ehrgeizigen Zeitplan einhalten und einen der größten Umwelt-Hotspots des Landes in ein Modell urbaner Erneuerung verwandeln kann.
Von: Neli Shoifer und Tomer Gertel
10 Antworten
Die Raffinerien sollen bis 2030 vollständig evakuiert werden. Muss das sein? Ja.
Schon ein paar Tage her, dass ich das erste Mal längere Zeit in Israel war. Es war gerade einmal wieder Krieg, diesmal mit dem Libanon. Und mir fiel negativ auf, dass das ganze, schöne Land offenbar als Müllkippe verstanden wurde; jeder schmiess seinen Kehricht irgendwo hin, nur nicht in die ab und an aufgestellten Papierkörbe. Ich dachte, ok gerade Krieg, die zivile Ordnung, die kommt danach wieder. Aber sie kam und kam einfach nicht. Egal ob gerade mal wieder Krieg oder einer der eher seltenen Friedenspausen. Die Gesinnung vieler Israelis (und da differenziere ich nicht zwischen Juden, Arabern, Drusen oder Beduinen), die ist eben sehr, ähem, mediterran … .
Dann lesen sie mal Ephram Kishon in der Schweiz, wo er zum schluss seine Schokoverpackung verspeist. Es muss nicht alles so geschleckt sein wie bei uns, ist viel gemütlicher, und wenn was rumliegt macht doch nichts. Italien Frankreich Tschechien usw. haben dafür einen höheren Glücksindex.
JSR : Ich widerspreche ungern, aber mit dem Glücksindex ist es in Frankreich derzeit nicht weit her. Was an Schmutz und herumliegendem Abfall gemütlich sein soll , erschließt sich mir nicht. Ich werde mal die 🐀 (Nagetier mit Kanalisationshintergrund) befragen, ich nenne ihn/sie Willy ,die mir frühmorgens häufig über den Weg läuft, wenn ich zum Bäcker gehe.
Liebe Antonia, ich vertrage Wiederspruch ,wenn er ehrlich ist, denn ich brauche auch Korrektur von außen. Übrigens ,ihre Kommentare find ich immer gut. ZU mir, ich liebe halt eine lockere Lebensart, dafür ist meineFrau um so pingelicher, die Mischung machts.
So viele kluge Köpfe Israels müssen und werden eine Lösung finden. Es braucht auch da Fortschritt statt Stillstand. Ich traue den Israelis zu, die viel Wert auf die Menschen ihres Volkes legen, das Leben zu pflegen und zu heiligen. Dazu gehört auch Umweltbewusstsein. Sonst sind die vielen Errungenschaften des Gesundheitswesen auf Dauer nur halb so zielführend.
Wenn die Industrieanlagen weg sind, werden nicht alle Probleme gelöst sein, weil die Folgen der Verschmutzung durch die Industrieanlagen noch lange nachhalten wird. Diese haben nämlich auch den Boden sehr stark chemisch kontaminiert.
Ich kann mich noch gut an die Zeit in Israel erinnern, als es noch keine Mülltrennung gab. Überall Plastikflaschen,-tüten, Papier, Kartons – es sah schlimm aus. Ich dachte damals, o.k. sie haben andere Probleme. Dann kamen die Draht“Käfige“ für Flaschen und Tüten, es gibt Papiercontainer. Sie tun, was sie können. Auch hier in meinem Wohnort liegt jede Menge Müll auf den Wegen, nur in den Ferien nicht…Aber Fridays for future gab es. Da hab ich dann mal einen Spruch losgelassen.
Wie sagen die Israelis so schön : Haifa arbeitet, Jerusalem betet, Tel Aviv feiert. Von einem lange zurück liegenden Besuch in Haifa ist mir vor allem der Bahai-Tempel in Erinnerung geblieben und der wunderschöne Park, in dem er liegt. Auch der Blick auf das Meer von oben herab war wunderschön. Die Raffinerie ist mir damals nicht aufgefallen, ich hatte wohl eine rosarote Brille auf… 🙂
Ich erinnere mich gern an einen Besuch am Strand von Cäsarea. Der Wind war sehr stark, aber man konnte Fotos mit den Wellen und antiken Bauten in wunderbarem Abendlicht machen. Das war schon sehr schön. Das von dort nicht weit entfernte Kraftwerk von Hadera hab‘ ich auch fotografiert. Es war mir schon zuvor als Dreckschleuder bekannt. Damals rauchte es nur aus einem der vier Schlote. Vielleicht waren Wartungsarbeiten, aber wenn nicht nötig läuft es wohl auch sonst nicht mehr mit voller Auslastug. Israel sucht schon andere Wege. Wenn man in vielen Bereichen forscht und entwickelt, auch echte Innovationen zustande bringt, dann auch in der Energietechnik und im Schöpfungsschutz (allgemein besser als Umweltschutz bekannt). Ich denke, an das riesige Solarkraftwerk in der Wüste und auch an das besonderes Gezeitenkraftwerk, welches vor nicht allzulanger Zeit in Betrieb genommen wurde. Leider vergibt die Welt sich oft die Chancen dazu schon weiter zu sein, weil man Israel aus politischen Gründen (eigene Gesinnung, aber auch Druck durch Dritte und gewisses Risiko potenzieller Angriffe) meidet. Wer aber schlau ist gibt dort Forschung in Auftrag, forscht gemeinsam mit den Israelis und/oder investiert in die Neuentwicklungen. Freilich braucht es dazu auch etwas „Kleingeld“, aber dort ist es geradezu unendlich besser angelegt als bei der Hamas. – nicht dass Missverständnisse aufkommen: Freilich brauchen auch die Menschen im Gazastreifen was zu beisen, aber solange dort die Terroristen an der Macht sind bleibt die Hilfsgüterverteilung sehr ungerecht und schwierig.
gesegnetes WE
Schalom