Der Granatapfel – ein Lebenselixier

Am jüdischen Neujahrsfest spielt der Granatapfel eine Rolle. Die Kerne haben eine besondere symbolische Bedeutung.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

Außen ein, innen tausendundeins – was ist das? Dies fragt ein türkisches Rätsel. Die Antwort führt zu einer der ältesten Kulturpflanzen der Menschheit: Dem Granatapfel. Die exotische Frucht symbolisiert Leben und Fruchtbarkeit sowie in einigen Kulturkreisen Unsterblichkeit und den Baum des Lebens im Garten Eden.

Der Granatapfelbaum ist in die Schöpfungsgeschichte eingegangen. Die Bibel lobt das Land Israel für seine Granatäpfel und als Sinnbild für die Lebensfülle der Natur. Im christlichen Abendland steht er für die Schöpfung in G‘ttes Hand und für die Gemeinschaft der Gläubigen. In Nordafrika und im Orient symbolisiert der exotische Apfel die Unsterblichkeit. Die alten Ägypter bestatteten ihre Toten mit Granatäpfeln.

Der Exot unter den Früchten trägt viele Namen: Apfel der Aphrodite nennen ihn die Griechen. Für die Menschen im Orient ist er die Frucht des Paradieses. Die Europäer nennen ihn schlicht Granatapfel.

Ursprüngliche Heimat unbekannt

Seine ursprüngliche Heimat ist bis heute nicht eindeutig lokalisiert. Einige Quellen verorten ihn in das Himalaya-Gebirge, andere nach Persien. Andere wiederum vermuten seine Urheimat in den Vorläuferreichen Babylons an Euphrat und Tigris, dem heutigen Irak. Gewiss ist, dass er seit der Antike auch im Iran, Afghanistan und Nordindien kultiviert wird.

In der griechischen Mythologie steht er für Leben, Tod und Wiedergeburt. So bot Hades, der Gott der Unterwelt, Persephone – Tochter des Zeus und Göttin der Unterwelt, der Fruchtbarkeit und des Frühlings – sechs Granatapfelkerne an. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen.

Dies hatte Folgen, denn der Verzehr zwang Persephone, einen Teil des Jahres in der Unterwelt verbringen zu müssen. Der Granatapfel als Symbol des Zyklus, der Verbindung von Leben und Sterben. Dieser griechische Mythos erklärt die Entstehung der Jahreszeiten, denn ihre Zeit in der Unterwelt wird mit dem Winter assoziiert, ihre Wiederkehr aus dem Hades mit dem Frühling.

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Im Christentum symbolisieren die vielen roten Granatapfelkerne die Fülle der Barmherzigkeit und die Gemeinschaft der Gläubigen, das Blut Christi, Unsterblichkeit sowie die Auferstehung. Auch in der Kunst begegnet uns der Granatapfel. Die exotische Frucht inspirierte seit je her Künstlerinnen und Künstler, so auch den italienischen Renaissance-Maler Sandro Botticelli zu seinem Gemälde Madonna mit Granatapfel oder auch Henri Matisse zu seinem Stillleben mit Granatäpfeln. Matisse schuf es 1947. Er gehört mit Pablo Picasso zu den bedeutendsten Malern der Klassischen Moderne und als einer der Wegbereiter des Fauvismus.

Auch im israelischen Kunsthandwerk begegnet uns der Granatapfel als ein beliebtes Motiv, das sich in verschiedenen Ausdrucksformen und Materialien. Dazu gehören Keramik, Schmuck, Wanddekorationen, Fliesen und Textilien.

Mehrfach in der Bibel erwähnt

Die Bibel erwähnt den Granatapfel mehrfach. Er gehört zu den „Sieben Arten“, den Schivat HaMinim. Diese werden im Tanach als die Früchte genannt, mit denen G‘tt das Gelobte Land gesegnet hat. Somit gehören sie zu den Früchten, die den Reichtum des Landes anzeigen, das G‘tt den Israeliten gibt.

In der Bildersprache des Hohelieds Salomos lesen wir: Die Braut ist wie ein Garten, in dem Granatbäume mit köstlichen Früchten reifen und die Wangen der Braut schimmern rötlich wie eine Scheibe vom Granatapfel.

Traditionell essen Jüdinnen und Juden Granatäpfel in der zweiten Nacht des Neujahrsfestes Rosch HaSchana, das am Montagabend beginnt. Der pralle rote Apfel gilt als „neue Frucht“, somit eine Frucht, die in dieser Jahreszeit noch nicht gegessen wurde.

Ernsthaftigkeit mit süßen Früchten

Zwar hat das jüdische Neujahr einen ernsten Charakter mit der Aufforderung, eine Bilanz zu ziehen über das persönliche sittliche und religiöse Leben des abgelaufenen Jahres und mit Gebeten für die Zukunft vor G‘tt zu treten. Dennoch wird Rosch HaSchana kulinarisch süß gefeiert. Neben Trockenobst, Weintrauben, Honig und Apfelscheiben naschen die Feiernden auch Granatäpfel.

Gerne wird zu Neujahr auch mit Sprache gespielt, wie etwa mit dem jiddischen Wort für Karotten, es ähnelt dem Wort Möhren, nämlich „Mehren“. Traditionell ist man sie an Rosch HaSchana als Zimmes gedünstet, damit man sich „vermehren“ möge.

Jüdische Speisegesetze sind umfangreich und von hoher Symbolik. Bei den Granatäpfeln verkörpern die Kerne symbolisch die Vielfalt und Anzahl der 613 Gebote und Verbote im Judentum sowie Fruchtbarkeit und das Leben. Hat man es geschafft, an das Innenleben der Paradiesfrucht ohne größere Schnittverletzungen heranzukommen, belohnen einen die Kerne mit einem erfrischenden süß-säuerlichen Geschmack. Je nach kulinarischer Vorliebe können sie mit Honig gesüßt werden.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Die Kerne symbolisieren die Anzahl der Gebote

Der Granatapfel ist ein botanischer Einzelgänger, die pralle rote Frucht gehört zur Familie der Weiderichgewächse, botanisch Lythraceae. Die Pflanzenfamilie wurde das erste Mal 1805 von Jaume Saint-Hilaire erfasst.

Die Einzigartigkeit des Granatapfels zeigt sich darin, dass er keine direkten botanischen Verwandten hat. Am nächsten verwandt ist seine Pflanzenfamilie mit den Nachtkerzengewächsen, botanisch Onagraceae. Seine lateinische Bezeichnung lautet Punica granatum und deutet auf sein einzigartiges Innenleben hin, nämlich granatum, auf Deutsch: „kernreich“ oder auch „gekörnt.“ Der Begriff Punica bezeichnet die semitischen Phönizier in Nordafrika, die von den Römern Punier genannt wurden, was etymologisch auf den punischen Ausdruck Ponnim zurückgeht und sinngemäß „Bewohner der niederen Lande“ bedeutet.

Langer Weg von Ost nach West

Zuverlässiger dokumentiert als sein Ursprungsland ist sein langer Weg aus dem Orient in den Westen. Pharao Thutmosis III. (um 1486 bis 1425 vor der Zeitrechnung) hatte auf seinen Eroberungszügen Richtung Osten die Levante überfallen. Seine Krieger fanden Gefallen an der roten Frucht und brachten sie mit sich nach Ägypten, von wo phönizische Händler sie auf Märkten weiterer Länder in Nordafrika transportierten.

Die nordafrikanischen Händler sollen den Granatapfel auf ihren Handelsrouten aus religiösen Gründen in Griechenland eingeführt und etwa zeitgleich mit griechischen Kolonisten nach Unteritalien gebracht haben. Von hier setzte sich sein kulinarischer Eroberungsfeldzug bis weit in den Westen bis hin zur Iberischen Halbinsel fort, von wo er im 17. Jahrhundert auf den Schiffen der spanischen Kolonisten in die Neue Welt übersetzte. Vom amerikanischen Kontinent ging es für ihn weiter in die Karibik.

Als gesichert gilt auch, dass die Länder der Levante – die Region um das östliche Mittelmeer – den Granatapfel seit langem kultivieren. Die Sommer in dieser Gegend sind lang und können Temperaturen bis zu 40 Grad und mehr erreichen, ideale klimatische Bedingungen für einen erfolgreichen Anbau von Granatapfelbäumen.

Beitrag zur Gesundheit

Ein frisch gepresster Granatapfelsaft ist erfrischend und zudem gesund, denn neben seiner hohen Symbolkraft im Judentum, werden der prallen roten Frucht auch gesundheitsfördernde Wirkungen zugesprochen. Die Wissenschaft beschäftigt sich seit geraumer Zeit eingehender mit dem Granatapfel, seinen Schutzstoffen und positiven gesundheitlichen Wirkungen.

Der Paradiesapfel soll Entzündungen hemmen und die Gefäße schützen und zudem Prostatakrebs-Therapien unterstützen. Frauen soll er beschwerliche Symptome während der Wechseljahre erleichtern. Als gesichert gilt, dass im Granatapfel eine Konzentration an Antioxidanten steckt, sogenannte Polyphenole und Flavonoide. Diese Substanzen sollen an den Herzkranzgefäßen eine schützende Wirkung gegenüber LDL-Cholesterin entfalten, welches zur Gefäßverkalkung führt. Der endgültige Beweis, ob der Granatapfel Herz-Kreislauf-Krankheiten nicht nur mindern, sondern ihnen auch entgegenwirken kann, steht allerdings noch aus.

Westliche Wissenschaftler und Ernährungsinstitute sind der Wirkung der sekundären Pflanzenstoffe weiterhin auf der Spur. Alterungsprozesse, Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind – unter anderem – eine Folge von oxidativem Stress, verursacht durch aggressive freie Radikale. Antioxidantien können krebserregende Substanzen vernichten.

Zu den Obstsorten, die randvoll mit Radikalfängern sein sollen, zählen Trauben, Him- und Heidelbeeren, Grapefruit, Zitronen und Orangen. Auch Feigen sollten regelmäßig verzehrt werden.

Kein Ersatz für ausgewogene Ernährung

Der absolute Spitzenreiter unter den Radikalfängern soll der Granatapfel sein. Laut einer Studie des deutschen Verbandes für ganzheitliche Gesundheitsberatung zeigen Granatapfel-Polyphenole Wirkung gegen Arteriosklerose, Arthritis, Zellalterung sowie bei Demenz. Diese Aussagen stützen sich auf präklinische Studien. Sie finden – wie die Grundlagenforschung – im Labor statt und beinhalten Untersuchungen anhand bestimmter Zell- und Tiermodelle, die Eigenschaften menschlicher Krebserkrankungen nachahmen.

Polyphenole gehören zu den sekundären Pflanzenstoffen. Auch wenn der Granatapfel der Antioxidantien-Spitzenreiter ist, ist sein Genuss kein Ersatz für eine gesunde und ausgewogene Ernährung. Was die momentane Studienlage dokumentiert, ist, dass in Einzelfällen der Granatapfel durchaus positive und ergänzende Wirkungen als Ergänzung zu Standardtherapien bilden kann. Ein Granatapfelsaft hoher Qualität zeichnet sich durch einen säuerlichen bis leicht herben Geschmack aus.

Der Granatapfel ist ein wichtiges Symbol an Rosch HaSchana, dem jüdischen Neujahrsfest, denn seine vielen Kerne stehen auch für Überfluss und die 613 Gebote der Tora, die Mizvot. Die jüdische Tradition besagt, dass G‘tt versprochen hat, das Volk Israel stark und zahlreich zu machen, symbolisiert durch den Granatapfel.

In diesem Sinne: Schana Towa uMetuka! Ein süßes neues Jahr! Ein gesundes Neues Jahr!

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Eine Antwort

  1. Ich kaufe manchmal Granatäpfel für die Familie. Ich habe schon versucht, Granatäpfelbäume selber zu ziehen. Leider hat dies bisher nicht funktioniert.

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