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„Damit es ein gutes Jahr wird“

Seit Freitagnachmittag befindet sich Israel in seinem zweiten Lockdown. Der Premierminister versucht, die Bevölkerung mit einem Videoclip bei der Stange zu halten. Doch es gibt deutliche Kritik.
Die Polizei will Straßensperren im ganzen Land errichten, um die Beschränkungen durchzusetzen (Archivbild)

JERUSALEM (inn) – Eigentlich sind die Schulen in Israel bereits geschlossen. Nur ein Lehrer unterrichtet weiter: Benjamin Netanjahu. Am Donnerstag veröffentlichte der Premierminister einen professionell gedrehten Kurzclip, in dem er Kindern – doch gemeint ist die gesamte Nation – erklärt, wie sie sich über das am Freitagabend beginnende Neujahrsfest verhalten sollen: Masken tragen, Abstand halten, Hände waschen – „damit es für das Volk Israel Schana Tova, ein gutes Jahr, wird“. Das sei die „Mission“, heißt es wörtlich in dem Clip.

Israel ist am Freitag um 14 Uhr Ortszeit in den zweiten Lockdown des Jahres gegangen, der voraussichtlich mindestens über drei Wochen und damit auch über die Feiertage Rosch HaSchanah, Jom Kippur, Sukkot und Simchat Torah anhalten wird. Die Liste mit Restriktionen und Ausnahmen, die das Gesundheitsministerium am Donnerstag an Journalisten verschickte, ist lang. Sie trifft unter anderem Regelungen zu Versammlungen in geschlossenen und offenen Räumen (zehn beziehungsweise 20 Personen), zu privaten Autofahrten (drei Personen aus unterschiedlichen Haushalten), zur Schließung nicht notwendiger öffentlicher Unternehmen wie Fitnessstudios, Restaurants und Hotels oder auch zu öffentlichen Gebeten. Am Donnerstag veröffentlichte das Gesundheitsministerium sogar Richtlinien für das traditionelle Blasen des Schofarhorns. Am besten solle auch dem Schofar eine Maske aufgesetzt werden, heißt es darin laut der Onlinezeitung „Times of Israel“.

Netanjahu droht mit schärferen Maßnahmen

Ob es bei diesen Maßnahmen bleibt, ist ungewiss. Noch vor Beginn des Lockdowns drohte Premier Netanjahu (Likud) am Donnerstag in einer Pressekonferenz mit möglicherweise weiter verschärften Maßnahmen. Sein Gesundheitsminister Juli Edelstein (Likud) erklärte, dass die drei Wochen des Lockdowns womöglich nicht ausreichen würden. Etwas überraschend kam da die Ankündigung über Nacht, dass die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit etwas lockerer sein sollen als ursprünglich geplant: Israelis dürfen sich in den kommenden drei Wochen maximal 1.000 Meter von ihrem Wohnort entfernen, anstatt nur 500 Meter, wie zunächst angekündigt, oder gar 100 Meter wie beim ersten Lockdown. Der Anstoß dazu kam aus der Knesset.

Ob die massiven Einschränkungen verhältnismäßig sind und überhaupt etwas bringen, daran gibt es Zweifel. Medienberichten zufolge soll selbst „Virus-Zar“ Roni Gamus, der oberste Corona-Manager des Landes, nicht wirklich überzeugt sein, obwohl er öffentlich nichts derartiges behauptet. Die politische Opposition jedenfalls schäumt und wirft dem Premier Versagen auf ganzer Linie vor. Oppositionsführer Jair Lapid (Jesch Atid) sprach am Mittwoch von einem „Disaster“. Das Land werde ohne Plan heruntergefahren. „Dieser Lockdown wird keine Leben retten, er wird Leben kosten“, verwies er unter anderem auf die Gefahr von Depressionen. Es gebe auch andere Optionen als einen vollständigen Lockdown.

Halten sich die Menschen dran?

Auch aus der Bevölkerung gibt es Widerstand: In dieser Woche protestierten mehrere Menschen aus der Gastronomie gegen die Maßnahmen, indem sie Teller auf den Boden warfen und sich dabei filmten. Am Donnerstag kündigten Premier Netanjahu und Finanzminister Israel Katz (Likud) eine Ausweitung der Wirtschafts- und Sozialhilfen an. Am Abend demonstrierten Medienberichten zufolge einige hundert Menschen in Tel Aviv gegen den Lockdown, darunter Mediziner. Sie kritisieren intransparente Entscheidung, Ignoranz gegenüber abweichenden Expertenmeinungen und „verzerrte Infektions- und Todeszahlen“. Premier Netanjahu sagte hingegen während einer Erklärung vor der Presse, das Gesundheitssystem habe „die Rote Fahne erhoben“. Der Lockdown sei notwendig. Das Gesundheitsministerium registrierte am Donnerstag 5.238 Infektionen bei insgesamt 56.986 Tests.

Nun wird viel spekuliert, ob sich die Menschen an die scharfen Restriktionen halten. Die Polizei will Straßensperren im ganzen Land errichten. Auch Soldaten sind im Einsatz. Während des ersten Lockdowns, der über die Pessach-Ferien stattfand, war vor allem Premier Netanjahu selbst durch einen Verstoß gegen die Regeln aufgefallen, als er mit seinen Söhnen das Fest beging, während der Rest des Landes die Familientreffen in Videokonferenzen verlegte. Jetzt ruft der Premier zum Zusammenhalt auf: „Gemeinsam können wir alles schaffen.“ Gesundheitsminister Edelstein schlug mit Blick auf Kritik an der Corona-Politik der Regierung härtere Töne an: „Nach dieser schwierigen Phase wird es genug Zeit geben, in sich zu gehen. Jetzt aber befinden wir uns im Krieg.“

Von: ser

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