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Alles nur israelische „Ablenkungsmanöver“?

Auch wenn in Israel Gutes geschieht – seine „Kritiker“ legen ihm das regelmäßig negativ aus und sprechen von einem „Ablenkungsmanöver“. Mitunter blenden sie dann aber Teile der Wirklichkeit aus. Eine Analyse von Ulrich W. Sahm
Medienrummel auf den Golanhöhen: So lenkt Israel sicher nicht von Bauten auf umstrittenen Gebieten ab

„Die israelische Regierung vereinnahmt den Kampf gegen Antisemitismus, um von ihrer Besatzungspolitik abzulenken.“ Das hat der in Berlin lebende Israeli Ofer Waldman von der Organisation „New Israel Fund“ in einem von Andreas Busche geführten Interview im Berliner „Tagesspiegel“ gesagt. Der Satz steht für eine beliebte Masche deutscher Medien: Fast alles, was Israel tut, wird als „Ablenkungsmanöver“ von der Siedlungspolitik bezeichnet.

Besonders beliebt ist dabei der Begriff des „Pinkwashing“. Gemeint ist, Vorgänge so zu deuten, dass zum Beispiel Israel schlecht wegkommt: Selbst wenn die LGBT-Gemeinde in Israel ihre Paraden abhält und die israelische Tourismus-Industrie mit der sexuellen Toleranz im Land wirbt, heißt es, Israel wolle damit nur die Palästinenser schlecht reden – dies führt der „Tagesspiegel“ in einem anderen Artikel als Beispiel für „Pinkwashing“ an.

In der arabischen Welt und im Iran gilt Homosexualität teilweise als Verbrechen, auf das die Todesstrafe steht. Auch in Israel gibt es Extremisten, die versuchen, durch Gewalttaten homosexuelle Menschen zu töten. 2015 wurde bei einer Pride-Parade in Westjerusalem die 16 Jahre alte Schira Banki von einem ultra-orthodoxen Juden auf offener Straße erstochen. War die landesweite Empörung und Verurteilung dieses grausamen Mordes etwa auch Teil eines Ablenkungsmanövers?

Auch andere Formen gesellschaftlicher Freizügigkeit und Toleranz werden im Fall des jüdischen Staates von Israel verdächtigt. Als Israel in diesem Jahr mit großem Aufwand und riesigen Investitionen den Eurovision Song Contest austrug, hieß es, dass die Fernsehshow von den Spannungen zwischen Hamas und Israel ablenken sollte. Dabei blieb es ausgerechnet während der mehrtägigen Show erstaunlich ruhig. Dank der Sicherheitsmaßnahmen gab es keinen Terroranschlag.

Nichts wird verheimlicht – im Gegenteil

Ob die Siedlungspolitik gut oder schlecht ist, richtig oder falsch und ob sie dem Völkerrecht widerspricht, ist ein international diskutiertes Thema. In jedem Fall ist die Siedlungspolitik ein beständiges Element der offiziellen Politik aller Regierungen Israels seit 1967. Und sie wird mit Gewissheit nicht verheimlicht. Kaum ein Tag vergeht, an dem der israelische Premierminister nicht erklärt, dass Israel „niemals“ die Jordansenke aufgeben werde. Regelmäßig veröffentlicht die Regierung Ausschreibungen für den Wohnungsbau in den Siedlungen im Westjordanland.

Hierzu nur einige aktuelle Beispiele: Auf den Golanhöhen, deren Annexion bislang nur die USA anerkannt haben, wurde ein Dorf nach US-Präsident Donald Trump benannt. Das war nicht nur ein journalistisch in aller Welt vermeldetes Ereignis. Um die Bedeutung dieses Staatsaktes zu betonen, ist der israelische Regierungschef mitsamt dem ganzen Kabinett angereist, um dort eine feierliche Regierungssitzung abzuhalten. Von Ablenkungsmanöver kann keine Rede sein. Im Gegenteil, die Presse wurde sogar extra eingeladen.

Ein weiteres Ereignis war die feierliche Einweihung einer 2.000 Jahre alten Pilgerstraße. Sie war bei Ausgrabungen im „besetzten und von den Palästinensern beanspruchten“ Ostjerusalem gefunden worden, wie es palästinensische Politiker wiederholt formulieren. Wieder war die Presse eingeladen, um die Teilnahme des amerikanischen Vermittlers Jason Greenblatt und des US-Botschafters David Friedman in Bild und Ton festzuhalten und in aller Welt zu verbreiten.

Die israelische Opposition findet in Europa statt

Ein Blick ins Archiv zeigt, dass der Vorwurf des „Ablenkungsmanövers“ keine neue Erfindung ist. Vielmehr ist er seit Jahrzehnten eine beliebte Volte der israelischen Opposition. Der israelische Politikwissenschaftler Robi Nathanson behauptete 2004 im „Deutschlandfunk“, dass der vom damaligen Premier Ariel Scharon angekündigte israelische Rückzug aus dem Gazastreifen lediglich dazu diene, von Korruptionsvorwürfen gegen Scharon abzulenken. Fast genau so ist es heute über Regierungschef Benjamin Netanjahu zu lesen. Wörtlich sagte der Politikwissenschaftler, „dass Scharon unter enormem Druck ist wegen der Korruptionsaffäre, die ausgelöst wurde bezüglich der Finanzierung seiner Wahl. Von daher muss er die Aufmerksamkeit in der israelischen Öffentlichkeit unbedingt auf andere Gebiete versetzen“.

Diese Aussage zeigt nicht nur, dass sogar „israelische“ Politikwissenschaftler gehörig irren können. Schlimmer noch ist, dass deutsche Sender immer wieder derartige Verschwörungstheorien verbreiten. In den Redaktionen werden bekanntlich mit Vorliebe jüdische oder gar israelische „Kronzeugen“ befragt, frei nach dem Motto: Wenn diese Experten Kritik an der Regierung äußern, dann muss es doch stimmen. Henryk M. Broder konstatierte dazu auf der Meinungsseite „Achse des Guten“: „Die sogenannte ‚Israelkritik‘ kommt besonders authentisch daher, wenn sie von Israelis praktiziert wird, frei nach dem Satz (des österreichischen Schriftstellers) Alexander Roda-Roda: ‚Aus dem Antisemitismus könnte schon was werden, wenn sich nur die Juden seiner annehmen würden.‘“

Typisch ist auch eine Anmerkung des in Deutschland so populären israelischen Historikers Mosche Zimmermann. Der befürchtet, dass die Regierung Netanjahu das Feindbild Iran weiter nutzen werde, um von ihrer eigenen Planlosigkeit im Palästinenserkonflikt abzulenken. Zimmermann nimmt die Einstellung Israels zum Iran als zutiefst pessimistisch wahr – und als Ablenkung vom Palästinenserkonflikt. Er geht nicht darauf ein, dass der Iran ganz Israel auslöschen will, mitsamt den Siedlungen.

Der jüngste Spruch dazu stammt vom Vorsitzenden des iranischen Parlamentsausschusses für Nuklearfragen, Modschtaba Sonnur. Der sagte am Dienstagabend, die islamische Republik habe eine verheerende Macht. „Sollten die USA uns angreifen, würde Israel nur noch eine halbe Stunde zum Leben bleiben.“ Wenn das eintritt, wäre für Zimmermann vielleicht auch die „Ablenkung“ vom Palästinenserkonflikt gelöst. Dann könnte er aber auch nicht mehr nach Israel heimkehren.

Von: Ulrich W. Sahm

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