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Aktuelle Formen der Judenfeindschaft falsch eingeordnet

Von der Antike bis in die Gegenwart will der Judaist Peter Schäfer in seinem neuen Buch die Entwicklung der Judenfeindschaft nachzeichnen. Dies gelingt dem ehemaligen Leiter des Jüdischen Museums Berlin nur teilweise, da er wichtige Erkenntnisse der Forschung außer Acht lässt. Eine Rezension von Marc Neugröschel
Die Statuen Ecclesia und Synagoge an der Pariser Notre-Dame-Kathedrale zeugen von kirchlicher Judenfeindschaft

Der breiten Öffentlichkeit ist Peter Schäfer wohl vor allem als ehemaliger Leiter des Jüdischen Museums in Berlin bekannt. Nun hat der Judaist ein Buch mit dem Titel „Kurze Geschichte des Antisemitismus“ geschrieben, welches den Anspruch verfolgt, die Entwicklung der Judenfeindschaft von der Antike bis in die Gegenwart nachzuzeichnen. Darin gibt der Autor interessante Einblicke in Aspekte antiker und mittelalterliche Judenfeindlichkeit. Doch seine Ausführungen zum modernen Antisemitismus und dessen Verbindungen zu früheren Formen der Judenfeindschaft sind streitbar und werden nur unzureichend begründet.

Dass Schäfer den Antisemitismus dabei zu einer extremen Form der Fremdenfeindlichkeit verzerrt, mag erklären, dass insbesondere die Problematik der antizionistischen und israelbezogenen Judenfeindlichkeit nur unvollständig erfasst wird. Damit wirkt das Buch wie ein Zeugnis für das mangelnde Verständnis des Autors von der Problematik des israelbezogenen Antisemitismus, welche im Mittelpunkt der Kritik am Jüdischen Museum unter Schäfers Leitung stand.

Aspekt der Fremdenfeindlichkeit betont

Chronologisch angelegt, beginnt das Buch mit Ausführungen zur vorchristlichen, antiken Judenfeindlichkeit. In dieser sieht Schäfer die Urform des Antisemitismus. Die These, „dass es das Christentum mit seinem Vorwurf des Messias- und Gottesmordes war, das den Antisemitismus in die Welt gebracht hat“, lehnt der Autor ab. Stattdessen entstehe der Antisemitismus, laut Schäfer, „in dem Augenblick, in dem die Juden als eine ethnische Gruppe mit eigenen religiösen und kulturellen Gewohnheiten, Ansprüchen, Gebräuchen wahrgenommen werden“.

Damit wird der Antisemitismus als eine extreme Form der Fremdenfeindlichkeit dargestellt, die sich vor allem aus Hass gegen Juden als „Andere“ speise. Diese Auffassung zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch und stellt das zentrale Motiv dar, mit dem Schäfer antike, christliche und moderne Judenfeindschaft zu verbinden versucht. Entscheidend für „die unerträgliche Zuspitzung des Antisemitismus der Scho’ah,“ schreibt Schäfer, sei die Auffassung: „Die Juden als Juden sind nicht wie wir, sie sind anders als wir, sie sind keine Menschen und stehen außerhalb der generell akzeptierten Normen des Menschengeschlechtes; als solche unterwandern und verseuchen sie uns mit ihrer Fremdheit und ihrer Abartigkeit.“

Dieses Denkmuster, meint der Autor, stelle gleichzeitig auch das grundlegendste und älteste Element der Judenfeindschaft dar. Diese Auffassung steht im Widerspruch zu empirisch gut belegten Erkenntnissen der Antisemitismusforschung, die zeigen, dass es eben gerade nicht Hass gegen Fremde, sondern vor allem auch der Glaube an eine jüdische Weltverschwörung war, welcher den Völkermord der Nazis an den Juden antrieb.

Behauptung einer Weltsverschwörung am Rande erwähnt

Wichtige Historiker, wie etwa Saul Friedländer, Jeffrey Herf, Norman Cohn oder Robert Wistrich, haben gezeigt, dass die Nazis eine geheime jüdische Weltregierung imaginierten. Diese machten sie für alles Schlechte in der Welt verantwortlich, und von ihr wollten sie die Menschheit durch den Völkermord an den Juden befreien.

Dieses Narrativ der jüdischen Weltverschwörung greift Schäfer zwar auf, behandelt es aber als ein judenfeindliches Motiv unter vielen, die er als Ausdrucksformen antijüdischer Xenophobie subsumiert. Damit relativiert der Religionswissenschaftler Schäfer die von Historikern und Soziologen konstatierte konstitutive Qualität des Verschwörungsmythos für den Antisemitismus.

Keine Reaktion auf eine fremde Kultur

Norman Cohn sieht die Wurzel des antisemitischen Verschwörerglaubens im christlichen Antijudaismus der Spätantike, welche die Juden als eine Verkörperung Satans betrachtete. Dass diese christliche Dämonisierung der Juden eben nicht fremdenfeindlich war, ergibt sich aus der Tatsache, dass sie keine Reaktion auf die Konfrontation mit einer fremden Kultur war, sondern, im Gegenteil, aus einem weltanschaulichen Streit um die wahre Auslegung des Judentums entstanden ist. Die frühen Christen nahmen für sich in Anspruch, das Judentum korrekt zu interpretieren, während sie jene ethnischen Juden, welche die christliche Lehre ablehnten, zur „Synagoge des Satans“ (Offenbarung des Johannes 2,9) erklärten.

Paradoxerweise ist es genau dieser Aspekt, den Peter Schäfer sehr gut herausarbeitet und anschaulich an Quellen belegt. Dass der Autor dennoch auf der Schlussfolgerung der Xenophobie als zentralen Wesensmerkmals des Antisemitismus beharrt, ist erstaunlich und bedarf einer Erklärung, die nicht geliefert wird. Schäfers Rekurs auf antike Quellen, die von der Judenfeindlichkeit der Ägypter, Hellenisten und Römer zeugen, ist zwar aufschlussreich. Sie reichen als Begründung für seine These von den frühzeitlichen Anfängen des Antisemitismus jedoch nicht aus.

Denn kein Antisemitismusforscher bestreitet die Existenz frühzeitlicher Judenfeindlichkeit. Vielmehr wird die fremdenfeindliche Judenfeindschaft der frühen Antike vom christlichen Antijudaismus, basierend auf einem weltanschaulichen Konflikt zwischen konkurrierenden Gruppen, die das gleiche religiöse Erbe für sich beanspruchen, qualitativ abgegrenzt. Warum Schäfer diese in der Literatur allgemein anerkannte Unterscheidung nun aufheben will, schreibt er nicht. Stattdessen erklärt er lapidar: „Eine Auseinandersetzung mit der inzwischen uferlosen Sekundärliteratur findet grundsätzlich nicht statt.“

Tragweite aktueller Formen von Judenfeindschaft nicht erkannt

Dieses Übergehen der bestehenden Forschung mag auch erklären, warum Schäfer aktuelle Formen der Judenfeindschaft nicht richtig einzuordnen oder in ihrer Tragweite zu erfassen vermag. So wird zum Beispiel das Phantasma von einem Völkermord der weißen Rasse durch Juden nur indirekt und beiläufig in einem Nebensatz erwähnt. Dabei handelt es sich bei dieser Idee um eine der folgenschwersten Ausdrucksformen der aktuellen Judenfeindschaft, die in den letzten Jahren mehrfach von antisemitischen Attentätern als Motiv für Mordanschläge auf Synagogen ins Feld geführt wurde.

Doch selbst dies versieht Schäfer mit einem Fragezeichen, indem er schreibt, dass über das genaue Motiv des Attentats auf die Synagoge von Halle im Oktober 2019 „noch keine völlige Klarheit“ bestehe. Dabei hat Stephan Balliet, der Attentäter von Halle, noch vor seiner Tat ein Manifest im Internet verbreitet, in dem er seinen antisemitischen Verschwörerglauben unmissverständlich kundtut.

Auch die antizionistische und israelbezogene Ausdrucksform des Antisemitismus hinter den Anschlägen auf die Synagoge von Halle und andere jüdische Gebetshäuser übergeht Schäfer. In seinem Manifest behauptet der Attentäter von Halle, dass die deutsche Regierung von Zionisten unterwandert werde. Amerikanische Neonazis verbreiten schon lange die Vorstellung von „zionistisch okkupierten“ Nationalstaaten, denen vom Staat Israel die Souveränität geraubt werde. Sie behaupten, dass Jared Kushner die Politik der Trump-Regierung im Namen des Zionismus und des Staates Israel unterwandert habe. Der britische Verschwörungstheoretiker David Icke bezeichnet den Zionismus als eine Geheimgesellschaft, welche die globale Gesellschaft kontrolliere.

Anti-israelische Tendenzen nur beiläufig erwähnt

Diese Äußerungen projizieren den Mythos der jüdischen Weltverschwörung, welche Gesellschaften heimlich fremdbestimme, auf den Zionismus und den Staat Israel. Auch in linken und intellektuellen Kreisen ist immer wieder von einer Israel-Lobby die Rede, welche die Politik von Staaten fremdsteuere oder den Antisemitismusvorwurf missbrauche, um den Diskurs in ihnen zu Gunsten des jüdischen Staates zu manipulieren.

All das erwähnt Schäfer bestenfalls beiläufig oder in indirekten Anspielungen, ohne die Problematik wirklich aufzuarbeiten. Stattdessen befeuert er diese antisemitischen Vorurteile zum Teil sogar, indem er dem Staat Israel und seinen „Unterstützern“ vorwirft, den Begriff des Antizionismus als „Mittel der politischen Propaganda“ einzusetzen, um unliebsame Kritiker zum Schweigen zu bringen. Damit reproduziert er, wenn vermutlich auch unbewusst, die Argumentationsmuster amerikanischer Neonazis.

Die Existenz eines antizionistischen und israelbezogenen Antisemitismus streitet Schäfer derweil nicht ab. Er verkürzt ihn aber auf die Aberkennung der Existenzberechtigung des jüdischen Staates, deren Wurzeln er fälschlicherweise im Nahostkonflikt verortet. Diese Verkürzung wirkt sich auch auf Schäfers problematische Einordnung der Israel-Boykottbewegung BDS aus, deren Methoden und Argumentationsmuster vom deutschen Bundestag als antisemitisch eingestuft werden.

Den Vorwurf, dass BDS auf die Vernichtung des Staates Israel ziele, hält Schäfer für streitbar, obgleich die Bewegung aus einer Initiative zur Delegitimierung des jüdischen Staates hervorgegangen ist. Darüber hinaus verkennt der Autor aber vor allem, dass allein schon der haltlose Vergleich Israels mit dem südafrikanischen Apartheidregime, auf dem die gesamte Argumentation der BDS-Bewegung aufbaut, der Dämonisierung des jüdischen Staates durch dessen Identifikation mit dem Menschheitsverbrechen der Rassentrennung dient. Dies wirkt wie ein Zeugnis für das mangelnde Verständnis Schäfers von der Problematik des israelbezogenen Antisemitismus, die im Mittelpunkt der Kritik am jüdischen Museum Berlin unter seiner Leitung stand.

Peter Schäfer: „Kurze Geschichte des Antisemitismus“, C. H. Beck, 335 Seiten, 26,95 Euro, ISBN: 978-3-406-75578-1. Foto: C. H. Beck
Peter Schäfer: „Kurze Geschichte des Antisemitismus“, C. H. Beck, 335 Seiten, 26,95 Euro, ISBN: 978-3-406-75578-1.

Fazit: Wer ein lebendiges Bild von Ausformungen der Judenfeinschaft in der Antike und der Frühzeit gewinnen möchte, kann aus Schäfers Buch durchaus etwas lernen. Einem Verständnis vom Antisemitismus insgesamt, als historisch übergreifendem Phänomen, und dessen Kontinuität bis in die Gegenwart, ist das Buch aber eher abträglich; nicht zuletzt deswegen, weil es die bestehende Sekundärliteratur zu dem Thema ignoriert und Formen des Gegenwartsantisemitismus falsch einordnet oder gar nicht erst richtig erfasst.

Marc Neugröschel ist freier Journalist und Soziologe. Er lebt in Jerusalem und promoviert an der Hebräischen Universität zum Thema Antisemitismus in Sozialen Medien.

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