Ich will mich bei allen bedanken, die gebetet, mich unterstützt und nie aufgegeben haben – und das Wichtigste, ich will dem Schöpfer danken, dem Vater im Himmel.“
„Ich will dem Schöpfer danken,
Bar Kuperstein
dem Vater im Himmel.“
Mit diesen Worten wendet sich Bar Kuperstein zwei Tage nach seiner Freilassung aus der Hamas-Gefangenschaft an die israelische Öffentlichkeit. Der 23-Jährige gehörte zu den letzten zwanzig noch lebenden Geiseln, die am 13. Oktober 2025 nach 738 Tagen freikamen. Und er ist nicht der Einzige, der offen über seinen Glauben spricht. Immer mehr Berichte ehemaliger Geiseln tauchen auf, in denen die Überlebenden Zeugnis ablegen – davon, wie sie in Gefangenschaft anfingen, zu Gott zu beten und den Schabbat zu halten.
Gottes Güte im Hamas-Tunnel erfahren
Da ist der 22-jährige Soldat Matan Angrest, der am 7. Oktober 2023 aus einem brennenden Panzer heraus in den Gazastreifen entführt wurde. Seine drei Kameraden fielen bei der Verteidigung des Stützpunkts Nahal Os. Als Soldat war er besonders schweren Misshandlungen ausgesetzt. So wurde er mit Stromschlägen traktiert und so hart geschlagen, dass er das Bewusstsein verlor.
Und dennoch: nach seiner Freilassung am 13. Oktober berichtet Matan Angrest nicht nur von Folter und Misshandlung, sondern auch davon, wie er in den Hamas-Tunneln anfing, drei Mal täglich zu beten, oft aus den Psalmen. „Ich bat [die Terroristen] um Gebetsriemen, ein Gebetbuch und eine hebräische Bibel. Aus irgendeinem Grund brachten sie mir das.“ Zusammen mit der deutsch-israelischen Geisel Gali Berman habe er in den zwei Jahren Gefangenschaft mehrmals die Fünf Bücher Mose durchgelesen. Das habe ihm Kraft gegeben. Der 28-jährige Berman wurde aus dem Kibbuz Kfar Asa verschleppt.
Oder Omer Schem Tov, der mit Freunden auf dem Nova-Festival war, als er die Schüsse hörte. Er rannte um sein Leben, bis er von Hamas-Terroristen schließlich doch noch gefasst wurde. In der Gefangenschaft fing er an, den Schabbat zu halten – und erlebte sein ganz persönliches Chanukka-Wunder: Eine kleine, halbgefüllte Flasche Saft, über den der 23-Jährige jeden Freitagabend das Segensgebet (Kiddusch) sprach, hielt ganze fünf Monate vor, ohne auszugehen oder schlecht zu werden.
„Das ist nur eine kleine Geschichte von vielen, die mir gezeigt hat, wie gut Gott ist und dass er mit mir in der Gefangenschaft war“, erzählt Omer Schem Tov in einem Video, das in den Sozialen Medien verbreitet wurde. Er kam im Februar 2025 frei.
Das Chanukka-Wunder ist in den apokryphen Makkabäer-Büchern aufgezeichnet und erinnert an das Öl-Wunder während der Wiedereinweihung des Zweiten Tempels 164 vor Christus. Das geweihte Öl für die Tempelleuchter reichte nur für einen Tag, doch das Wunder geschah: es ging acht Tage lang nicht aus – solange, bis das neue Öl hergestellt werden konnte. Im Gedenken an das Wunder feiern Juden jedes Jahr dieses Fest acht Tage lang im November/Dezember.
Der Kiddusch (Heiligung) ist der jüdische Segensspruch über den Wein, der bei Schabbatanbruch gesprochen wird. Er beginnt mit den Worten: „Gepriesen seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der du die Frucht des Weinstocks geschaffen“.
Staunen mit den Überlebenden
Die Angehörigen der überlebenden Geiseln staunten darüber, worum ihre Liebsten sie als allererstes baten. Der 21-jährige Rom Braslavski (siehe Seite 6) wollte noch im Krankenhaus die jüdischen Gebetsriemen (Teffilin) haben. Der bereits Anfang des Jahres freigelassene Keith Siegel, 66, bat seine Tochter Schir um eine Kippa und den Kiddusch-Becher. Bis zum 7. Oktober 2023 war die jüdische Tradition für ihn vor allem eine Erinnerung aus Kindheitstagen. Während der Gefangenschaft lernte er wieder das Beten.
Der tägliche Hunger, die ständige Bedrohung und die regelmäßigen Misshandlungen führten bei manchen der überlebenden Geiseln offenbar zu einer Annäherung an den jüdischen Glauben. Das ist in einer Gesellschaft, in der sich – gemäß Zahlen des Statistikamtes vom August – 43 Prozent der jüdischen Bevölkerung als „säkular“ bezeichnen, nicht selbstverständlich. So stellt auch die liberale israelische Tageszeitung „Ha’aretz“ die Frage: „Warum wenden sich säkulare Geiseln unter Bedingungen von Folter und Misshandlung jüdischen Bräuchen zu?“
Eine Antwort darauf kommt von den Geiseln selbst: „Die Kraft, die ich dort gefunden habe“, sagt zum Beispiel Rom Braslavski, „kam aus dem Wissen, dass … der Grund für alles, was ich erdulden musste, darin lag, dass ich Jude bin“. Die Ende Januar freigelassene Geisel Agam Berger hat ähnliche Erfahrungen gemacht.
Die 21-Jährige schreibt in einem Artikel im „Wall Street Journal“: „Zu begreifen, dass ich das Massaker überlebt hatte – während Babys, Kinder, Frauen und ältere Menschen nur deshalb getötet wurden, weil sie Juden waren –, ließ mich erkennen, dass ich von Gott auserwählt worden war und dass er mich beschützen würde. Ich wusste auch, dass ich nicht die erste gläubige Jüdin war, die inhaftiert wurde.“
Neuer Aufbruch zum Glauben?
Die Berichte der Geiseln werden, so schreibt „Ha’aretz“, in Israel weitgehend positiv bis enthusiastisch aufgenommen. Das mag auch daran liegen, dass der Anteil religiöser Juden seit Jahren kontinuierlich steigt. Wie viele es genau sind, unterscheidet sich je nach Studie. So spricht das unabhängige Israelische Demokratie-Institut von rund 14 Prozent ultra-orthodoxen Juden (Haredim), während das Statistikamt ihren Anteil an der jüdischen Bevölkerung mit 11,4 Prozent angibt. Zusammen mit orthodoxen Juden bezeichnet sich nahezu ein Viertel der jüdischen Erwachsenen in Israel als religiös. Und der Trend, darin sind sich die Experten einig, wird sich noch weiter fortsetzen, schon wegen der deutlich höheren Geburtenraten in den religiösen Gesellschaftsschichten.
Doch inwiefern hat der 7. Oktober 2023 Einfluss auf die Religiosität breiter Bevölkerungsteile genommen? „Chiddusch“ (Erneuerung), eine Organisation, die sich für Religionsfreiheit und Gleichberechtigung aller jüdischer Konfessionen einsetzt, wollte es wissen. In einer repräsentativen Umfrage gab ein Viertel der Befragten an, der Angriff habe ihren Glauben gestärkt, wohingegen 7 Prozent sagten, er sei schwächer geworden.
Auch die Zahlen der moderat-orthodoxen Organisation „Zohar“ (Öffnung, Pforte) weisen in diese Richtung. Ihr Angebot – eine Reihe von Programmen und Dienstleistungen rund um den jüdischen Lebenszyklus wie Feste, Hochzeit oder Geburt – richtet sich vorrangig an säkulare Juden.
In den vergangenen zwei Jahren seien die Anfragen gestiegen, teilte der Vorsitzende Rabbiner David Stav israelischen Medien im Oktober mit. Allein bis August 2025 habe „Zohar“ mehr als 1.200 Bar-Mizva-Feiern durchgeführt, verglichen mit 999 im Jahr 2024 und 747 im Jahr 2023. Mit der Bar Mizva beginnt ein 13-jähriger jüdischer Junge seine Religionsmündigkeit. Auch die Nachfrage für religiöse Eheschließungen habe zugenommen. Am Versöhnungstag Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, unterhielt „Zohar“ dieses Jahr 426 Gebetszentren. Im Jahr 2024 waren es 406, ein Jahr zuvor 359.
Grenzerfahrungen verarbeiten
Trotz steigender Anfragen bleibt Stav jedoch vorsichtig. Die Menschen seien zwar auf der Suche nach einer Verbindung zu Gott, jedoch „nicht unbedingt durch Religion im traditionellen Sinne. Sie möchten mit Gott verbunden sein und gleichzeitig ihren gewohnten Lebensstil beibehalten“. Auch die stellvertretende Direktorin von Chiddusch, Jifat Solel, hält sich mit weitreichenden Deutungen zurück. Einen grundsätzlichen Glaubensaufbruch kann sie nicht erkennen. „Es ist nicht so, dass säkulare Menschen religiöser werden“, sagte sie der israelischen Nachrichtenseite „Times of Israel“. Eher würden religiöse Menschen noch religiöser.
In einem Gespräch mit „Ha’aretz“ weist der an der Harvard-Universität im US-Bundesstaat Massachusetts lehrende Psychologe David Rosmarin darauf hin, dass Religion gut dafür geeignet ist, um Grenzerfahrungen zu verarbeiten. Die Israelis „haben wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grad ein religiöses oder spirituelles Erwachen erlebt – egal wie klein. Diese Vertrautheit fördert Solidarität. Das stärkt die gemeinsame jüdische und israelische Identität und den Stolz“.
Immer in Gottes Hand
Bar Kuperstein, der nach Aussage seiner Mutter Julie vor der Entführung nicht religiös war, entdeckte den jüdischen Glauben in den Tunneln der Hamas. Die Wachen hätten oft versucht, ihn und die anderen Geiseln zum Islam zu bekehren – doch vergeblich: Jeden Freitagabend sprachen sich die Geiseln den traditionellen Schabbatsegen zu. Auch habe Bar oft das Gebet „Schma Israel“ gebetet und Psalmen, die er auswendig kannte, rezitiert. Israelischen Medien sagte Bar Kuperstein, er habe die zwei Jahre Hamas-Tunnel nur deshalb überlebt, weil er gewusst habe: Er ist in Gottes Hand.
In einer Situation, die er als besonders schrecklich in Erinnerung hat, hatte ein Hamas-Terrorist angekündigt, drei der sechs Geiseln zu töten. Er verlangte von den Gefangenen, eine Wahl zu treffen, wer von ihnen sterben und wer leben soll. „Ich erinnere mich nur, wie ich zu Gott flehte und betete: ‚Gott, rette mich. Ich bin jetzt in deiner Hand.‘“ Ein Gebet, das er oft in den Tunneln gesprochen habe. Der Terrorist führte sein Vorhaben schließlich nicht aus.
Wieder in Freiheit, erfuhr Kuperstein, dass seine Mutter von einem der Hamas-Terroristen angerufen worden war. Er verlangte von ihr, dass sie nach Den Haag gehen solle, um beim Internationalen Strafgerichtshof gegen Israels Regierung vorzugehen und so die Freilassung ihres Sohnes voranzutreiben. Dieser sei schließlich in der Hand der Hamas. Julie Kuperstein antwortete daraufhin: „Mein Sohn ist nicht in Ihrer Hand, er ist in der Hand Gottes – und auch Sie sind in Gottes Hand.“
Das ist jetzt der Leitspruch der Familie Kuperstein: „Immer in Gottes Hand“. Ein Armband mit diesen Worten soll stets daran erinnern, wie beide, Mutter und Sohn, von diesem Glauben getragen wurden.
Agam Berger
Agam Berger, 21, leistete gerade ihren Militärdienst ab und war Späherin, als sie von ihrem Stützpunkt Nahal Os entführt wurde. Bei ihrer Rückkehr im Januar 2025 teilte sie noch im Hubschrauber, der sie aus Gaza nach Israel brachte, schriftlich mit: „Ich habe den Weg des Glaubens gewählt und bin auf dem Weg des Glaubens zurückgekehrt.“
Aufgewachsen ist Agam Berger in einer säkularen Familie in Holon, südlich von Tel Aviv. In den Momenten ihrer Entführung habe sie das Gebet „Schma Israel“ (Höre Israel) wiederholt gebetet, sagte sie nach ihrer Freilassung. In Gaza habe sie gelernt, wie schon ihre Vorfahren, dass „die Gefangenschaft das innere spirituelle Leben nicht zerstören kann. Unser Glaube und unser Bund mit Gott, die Geschichte, an die wir uns zu Pessach erinnern, sind stärker als jeder grausame Unterdrücker“. Mitgeisel Liri Albag habe sogar eine improvisierte Pessach-Haggada geschrieben, damit sie auch in der Gefangenschaft das große Befreiungsfest feiern konnten. Die Haggada enthält die Liturgie für das Sedermahl am ersten Abend des Passahfestes.
Diese Haltung hat auch Bergers Familie dazu gebracht, sich dem jüdischen Glauben wieder anzunähern. Ihre Cousine, YouTuberin Ashley Waxman Bakshi, erzählte israelischen Medien: „Vor zwei Jahren war ich Atheistin, doch Agam hat uns alle inspiriert.“ Sie gehe nun am Schabbat in die Synagoge zum Gottesdienst.
Bergers Eltern halten seit der Entführung ihrer Tochter den Schabbat. Ihr Glaube habe sich seitdem weiterentwickelt, sagten sie. Vor allem Berichte von Mitgefangenen, die schon im November 2023 freikamen, hatten bleibenden Eindruck bei den Bergers hinterlassen: Sie erfuhren, dass Agam vor dem Essen betete und sich weigerte, am Schabbat für die Entführer zu arbeiten. Ihre Mutter entschied sich bewusst, die unerträgliche Situation als eine Prüfung ihres Glaubens zu betrachten. Das sei ihr nicht leichtgefallen, erzählte sie israelischen Medien. Gerade in den ersten anderthalb Monaten nach der Entführung ihrer Tochter habe sie sich von allen zurückgezogen, „nur ich und die Psalmen rund um die Uhr“.
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3 Antworten
Wachsende Spiritualität bei jüdischen Israelis. Bei Italienern leider nicht.
Warten wir ab, was das Massaker bzgl. der Herrlichkeit Gottes zeigen wird. Dieser Satz findet sich in einem Kommentar im Artikel Gott wacht über Israel. Ja, das werden wir erst später erkennen können. Aber wir sehen heute schon etwas, nämlich dass Menschen wieder zum Glauben an Gott kommen. In den Tunneln die Geiseln, die diese Botschaft heute in ihr Volk tragen. Und damit zum Zeugnis für diesen Gott werden. Und aus diesem kleinen Samen kann großes werden.
In dem gleichen Artikel finden wir auch einen Kommentar zu Psalm 121, der sicher auch in den Tunneln gebetet wurde. Dieser Psalm ist in Ich-Form geschrieben, es ist ein ganz persönlicher Psalm für jeden der ihn betet. Die Lutherbibel überschreibt ihn mit: der treue Menschenhüter. Eine andere Übersetzung mit: Der Hüter Israel. Leider finden wir in dem besagten Kommentar den Missbrauch des heiligen Wortes Gottes, nämlich die Umdeutung von dem persönlichen Beter des Psalms in die Anklage, das das Israel und die Nationen davon weit entfernt sind, dass Gott ihnen hilft. Es geht nicht im ein Volk in dem Psalm. Dafür steht u.a Psalm 2. Aber der handelt handelt ja nur von den Nationen. Da muss man ja schon andere Psalmen verdrehen damit ein Bezug zum jüdischen Volk besteht, denn der Satz: der Hüter Israel schläft und schlummert nicht, hat hier den Bezug um jeweiligen Beter, nicht zum Volk Israel. Der Hüter Israels ist der Adressat dieses Psalms.
Dieser Psalm dürfte vielfach in den Tunneln von den Geiseln gebetet worden sein, auch von den gläubigen Angehörigen von Geiseln.
Zitat „Die Kraft, die ich dort gefunden habe“, sagt zum Beispiel Rom Braslavski, „kam aus dem Wissen, dass … der Grund für alles, was ich erdulden musste, darin lag, dass ich Jude bin“… Wer kann erklären, warum wir leiden wenn wir gläubig und treu sind und Gott lieben? … Gott weiß es und das Buch Hiob ist aus der jüdischen Bibel (AT). Wir können aus dem Leid auch neu geboren werden und es gibt eine Heiterkeit in der Bedrängnis, wenn wir wissen wir tun das Anständige?“ * SHALOM
Hiob 2
3 Der HERR sprach zu dem Satan: Hast du acht auf meinen Knecht Hiob gehabt? Denn es ist seinesgleichen auf Erden nicht, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse und hält noch fest an seiner Frömmigkeit; du aber hast mich bewogen, ihn ohne Grund zu verderben.