Forschungsprojekt: Feindschaft abbauen

Im Gazastreifen herrscht Waffenruhe. Der Konflikt ist nicht befriedet. Israelnetz spricht mit dem Psychologen Dr. Timur Sevincer über sein aktuelles Forschungsprojekt. Es geht um den Abbau von Vorurteilen zwischen Israelis und Palästinensern.
Von Israelnetz

Israelnetz: Herr Dr. Sevincer. Sie sind Psychologe und wollen erforschen, wie befeindete Gruppierungen in dem israelisch-palästinensischen Konflikt sich annähern können, Vorurteile abbauen können, oder gar lernen können, das Gegenüber zu verstehen. Was genau haben Sie vor?

Dr. Sevincer: Wir versuchen, Grundlagenerkenntnisse zu gewinnen, die helfen sollen, Feindbilder abzubauen. Das bedeutet konkret: Was können wir tun, dass ein Palästinenser sich gewinnbringend mit der Sichtweise eines Israelis auseinandersetzt – und umgekehrt.

Wie genau wollen Sie den Abbau von Vorurteilen und Hass erreichen?

Zunächst ist wichtig, dass wir keine Wundertaten vollbringen werden. Sich mit feindlichen Weltanschauungen zu beschäftigen, ist immer herausfordernd. Es gibt eine Methode in der Psychologie, die nennt sich Selbst-Bestätigung. Wir versuchen damit, das „Ego“ der Person zu stärken, indem wir ihr sagen: „Du bist ein guter Mensch – du hast lebensbejahende Werte und Prinzipien auf die du dich berufen kannst – du bist wertvoll.“

Forschungen haben gezeigt, dass Menschen dadurch offener werden, sich mit herausfordernden Sichtweisen auseinanderzusetzen, weil sie sich nicht mehr so sehr davon bedroht fühlen. Damit schaffen wir die Grundlage für den nächsten Schritt. Es ist sozusagen eine Zwei-Schritt-Methode. Der erste Schritt stärkt das Ego der teilnehmenden Person und soll sie offener für andere Sichtweisen machen.

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Der zweite Schritt: Die Konfrontation mit einer Kontrast-Perspektive. Das kann beispielsweise durch eine sogenannte Perspektivenübernahme erfolgen. Der Betroffene wird aufgefordert, sich in die Sichtweise der angefeindeten Gruppierung hineinzuversetzen. Das kann zum Beispiel mit Hilfe moderner Technologie passieren, wie zum Beispiel KI-generierter Videosequenzen. In unserem Fall: Einem Israeli wird ein Videoclip eingespielt, der ihm die Erlebnisse, Gefühle und Sichtweisen aus der Sichtweise der Palästinenser im Gazakrieg aufzeigt. Umgekehrt kann Palästinensern mit solchen Clips die Erlebnisse und Sichtweise eines israelischen Soldaten oder Zivilisten nahegebracht werden.

Unser Ansatz besteht also darin, dass wir erforschen wollen, ob und wie sich diese vorgeschaltete Selbst-Bestätigung auf den Abbau von Vorurteilen und Feindseligkeiten auswirkt. Wir versuchen mit einer Reihe von hochaufwendigen Studien wissenschaftlich nachzuweisen, ob diese Vorgehensweisen effektiv Vorurteile abbauen, feindselige Einstellungen reduzieren und dazu beitragen können die Sichtweise der anderen Partei besser zu verstehen.

Sie sprechen von Videos. Welche Rolle spielen diese Videos? Ist es nicht sinnvoller, mit den Betroffenen direkt zu sprechen?

Es geht darum, diese Intervention einer breiten Masse zugänglich zu machen. Fast jeder hat Zugang zu Social Media, und damit die Möglichkeit, Videos zu konsumieren. Die einfachste, sowie auf der Hand liegende Option sind somit Bewegtbilder. Außerdem sind diese oftmals günstig zu generieren. Wir sind zum Beispiel gerade dabei, für unser Projekt KI-Videos zu erstellen. Diese sollen nach Fertigstellung mehr als tausend Teilnehmer erreichen.

Veröffentlichen Sie die Videos im Internet, oder treffen Sie gezielt eine Auswahl an Teilnehmern?

Nein, wir müssen zuerst überprüfen können, was die Effekte sind, deshalb stellen wir die Videos vorerst nicht ins Internet. Wir wählen bestimmt Gruppen zielorientiert aus. Diese begleiten wir über einen längeren Zeitraum, um entsprechende Entwicklungen adäquat erfassen zu können. Wir erreichen das über Online-Anmeldungen.

Dabei arbeiten wir vor allem mit Marktforschungsinstituten zusammen. Das gibt uns mehr Sicherheit darüber, dass die Teilnehmenden tatsächlich unseren Zielgruppen entsprechen. Sobald wir empirisch belegen können, dass die Videosequenzen tatsächlich die erwünschten Effekte haben, ist das Ziel aber natürlich, sie einer möglichst breiten Öffentlichkeit insbesondere jener Personen, die direkt von dem Konflikt betroffen sind, zu zeigen. Dies kann dann zum Beispiel durch Social Media geschehen.

Welche Gruppen nehmen an dem Projekt teil?

Die Teilnehmer der Studie sind Personen aus unterschiedlichen Gruppen, die in irgendeiner Form von dem Konflikt betroffen sind oder sich dazu äußern. Palästinenser und Israelis – Studierende in Amerika – politisch rechts- und links-orientierte deutsche Bürger – und auch Muslime in Deutschland.

Sie sprechen von Israelis und Palästinensern. Ist es überhaupt möglich, an die Gruppen heranzukommen, die am stärksten davon betroffen sind? Menschen, die in Gaza leben, oder anderweitig direkt vom Krieg geprägt werden?

Prinzipiell ist es sehr schwer, an Menschen heranzukommen, die massenradikalisiert wurden. Es gibt einen bestimmten Rahmen an Personen, die wir nicht erreichen können. Die sich unsere Videos nicht anschauen würden, egal was wir versuchen. Mit unseren Studien und Interventionen zielen wir auf jene ab, die zwar feindselige Einstellungen haben, sich aber überhaupt noch erreichen lassen: Zum Beispiel viele Palästinenser aus dem Westjordanland.

Bei Betroffenen in Gaza müssen wir eingestehen, dass es momentan schwierig ist, zu diesen Personen überhaupt Kontakt aufzubauen. Außerdem gibt es bisher keine Maßnahme, die bei Terroristen oder stark radikalisierten Menschen anwendbar ist, die Hoffnung auf Erfolg verspräche. Die Teilnehmer müssen bereit sein, daran teilzunehmen. Wir können niemanden zwingen. Wir versuchen dort anzusetzen, wo bestimmte Vorurteile und negative Einstellungen vorhanden sind. Die Bereitschaft zur Teilnahme ist jedoch Grundvoraussetzung.

Was ist Ihre Prognose? Was sind Ihre Erwartungen an die Studie?

Wir haben eine gute Ausgangsbasis. Bestandteil der Studie sind verschiedene Maßnahmen wie Selbst-Bestätigung und beispielsweise Perspektivenübernahme. Diese haben für sich schon wissenschaftlich bestätigte positive Effekte. Wir setzen lediglich diese Interventionen wie Bausteine zusammen und erhoffen uns einen noch größeren Effekt. Wir werden am Ende keine Wundermedizin haben, aber wir sind froh, wenn wir im Durchschnitt mittlere Effekte erzielen. Das bedeutet, dass zumindest für einen gewissen Zeitraum die Vorurteile und feindseligen Einstellungen abnehmen.

Forschen Sie allein daran?

Nein. Wir sind ein hochqualifiziertes internationales Team aus Wissenschaftlern der Leuphana Universität Lüneburg, der „Hebrew University“ in Jerusalem und der „University of California“ in Santa Barbara.

Auf was freuen Sie sich besonders in Bezug auf das Forschungsprojekt?

Ich freue mich wahnsinnig, dass ich jetzt die Möglichkeit habe, auch mit Forschern aus Israel zusammenzuarbeiten. Es ist auch ein Besuch des Teams aus Lüneburg in Israel geplant, sowie ein Besuch des Israelischen und amerikanischen Teams in Lüneburg. In diesem Rahmen sind gemeinsame Workshops oder Vorträge angedacht. Darauf freue ich mich sehr. In Israel bekommt man natürlich ein ganz anderes Gefühl und tiefere Einblicke, wie die Lage eigentlich dort vor Ort ist.

Mit Blick auf Europa sehen wir in den Schlagzeilen, dass auch dort Feindseligkeiten zunehmen. Ein Miteinander scheint es nicht zu geben. Was ist Ihr Ratschlag? Wie können wir in Europa Vorurteile abbauen?

Vorwiegend sind es zwei Ansätze. Erstens: Miteinander in Kontakt treten. Und zweitens: Ein übergeordnetes Ziel oder eine übergeordnete Identität schaffen. Zum Beispiel: Wir sind alle Menschen. Wir sind alle Europäer.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Christian Biefel

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5 Antworten

  1. Wie wollen Sie, Herr Timur Sevincer, Vorurteilen und Hass zwischen Israelis und Palästinensern abbauen?
    „Wir werden keine Wundertaten vollbringen werden“. Ja, das glauben wir auch.

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  2. Hoffentlich trägt dieses Projekt dazu bei, dass in der nahen und fernen Zukunft die Lage im Nahen Osten ruhiger und friedlicher wird.

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  3. „Du bist ein guter Mensch – du hast lebensbejahende Werte und Prinzipien auf die du dich berufen kannst – du bist wertvoll.“
    Bei einer Indoktrinierung des palästinensischen Volkes, der Charta und dem Hass seit Jahrzehnten, sehe ich da wenig Chancen. Aber ich will dem Projekt im Voraus nicht alle Chancen nehmen. Es wäre schön, wenn daraus etwas positives entsteht.

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  4. Die Lebensweisen, Erlebnisse, Gefühle und Sichtweisen von Palästinensern und Israelis wurden und werden doch tagtäglich in der Praxis sichtbar und somit auch zwischen diesen ausgetauscht, sind also bekannt. Der arabische Teil der Israelis lebt ein weitgehend konfliktfreies Leben in Israel, dass sicherlich auch für alle Palästinenser erstrebenswert und möglich ist, wäre da nicht der jahrzehntelang geschürte Vernichtungswillen, ein jüdischen Israels auszulöschen. Leider wird das international massiv unterstütz.
    Und da muss m.E. begonnen werden:
    Vorurteile gegen Israel durch faktenbasierte Aufarbeitung, vor allem auch aktueller Berichterstattung, international abbauen.
    Und ebenso muss das sog. palästinensische Flüchtlingsproblem faktenbasiert aufgearbeitet und auf eine lösbare Basis gestellt werden, m.E. innerhalb der UNHCR.

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  5. Psychologen-Geschwafel über einen Konflikt, den man vom heimischen Sofa aus verfolgt ! Das einzig Konkrete ist, dass der Mann eine Reise nach Israel plant. Gute Idee, sich das Ganze mal in echt anzuschauen. Mit Gaza wird es da schwieriger, die Hamas hat es nicht so mit Psychologie, Frieden und Verständigung/

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