Als der Traum vom Frieden starb

In der internationalen Diplomatie gilt der Mord an Rabin als Zerstörung der bislang größten Chance auf einen tragfähigen Frieden im Nahen Osten. Der Attentäter ist religiöser Fanatiker.
Von Israelnetz

Gäbe es heute einen echten Frieden zwischen Israelis und Palästinensern, wenn Jizchak Rabin vor 30 Jahren nicht ermordet worden wäre? Hat der Attentäter Jigal Amir am 4. November 1995 mit dem Regierungschef auch den Friedensprozess getötet?

Israels Gesellschaft ist in der Sache wohl noch gespaltener als damals. Das zeigte die Kundgebung am vergangenen Samstag in Tel Aviv. Etwa 150.000 Leute erinnerten nicht nur an den früheren israelischen Premier, sondern rechneten auch mit der Politik des amtierenden Regierungschefs Benjamin Netanjahu ab.

„Wenn Rabin heute Premierminister wäre, hätte niemand zurückgelassen werden müssen. Er hätte uns, die Geiseln, nicht aufgegeben. Er hätte nicht geschlafen, bis alle nach Hause gebracht worden wären“, sagte die aus der Gewalt der islamistischen Hamas freigelassene Geisel Gadi Moses. Bei der Gedenkveranstaltung sagte Oppositionsführer Jair Lapid: „Die drei Kugeln, die hier auf dem Platz abgefeuert wurden, sollten nicht nur einen Anführer töten, sondern eine Idee auslöschen.“

Netanjahus Rolle vor Rabin-Mord

Netanjahu steht in dem Ruf, im Herbst 1995 selbst zur vergifteten Atmosphäre beigetragen zu haben, als er bei einer Demonstration gegen Rabins Friedenspolitik in seiner Funktion als Oppositionsführer erklärte: „Dieser niederträchtige Mörder wird von der Regierung hofiert. Diese israelische Regierung ist blind und erlaubt Arafat, seinen Plan zu verwirklichen: die Vernichtung des jüdischen Staates.“

Während der Proteste auf dem Zionsplatz in Jerusalem trugen Demonstranten Rabin in einem Pappsarg symbolisch zu Grabe. Auch wurden Plakate verbrannt, die Rabin in einer SS-Uniform zeigten. Die ultimative Schmähung im Land der Holocaust-Überlebenden.

Friedensnobelpreis für Rabin, Peres und Arafat

Einen Monat später erschoss der jüdische Extremist Jigal Amir den Regierungschef auf dem damaligen „Platz der Könige Israels“, der längst Jizchak-Rabin-Platz heißt, nach einer Friedenskundgebung. Der 4. November 1995 war ein Samstag. Schabbat, jüdischer Feiertag. Rabin war gekommen, um seinen Kurs zu verteidigen.

Foto: Carl Brunke
Nach dem Attentat auf Jitzchak Rabin wurde der „Platz der Könige Israels“ nach dem ermordeten Premierminister benannt

Zwei Jahre zuvor hatte er in Oslo mit der „Palästinensischen Befreiungsorganisation“ (PLO) und ihrem Führer Jasser Arafat ein Abkommen unterzeichnet, das der arabischen Bevölkerung im seit 1967 besetzten Westjordanland schrittweise mehr Selbstbestimmung ermöglichen sollte. Der Oslo-Prozess war darauf angelegt, den Nahostkonflikt zu beenden. Dafür hatten Rabin und sein Außenminister Schimon Peres sowie PLO-Chef Arafat 1994 den Friedensnobelpreis erhalten.

Rabin wollte Chance auf Frieden nutzen

„Ich bin überzeugt: Eine Mehrheit des Volkes will Frieden – und will für einen Frieden auch Risiken in Kauf nehmen. Denn die Gewalt zerstört die Grundlage der israelischen Demokratie“, sagte Rabin in der letzten Rede seines Lebens. Und er sagte auch: „Ich war 27 Jahre lang Soldat. Solange es keine Aussicht auf Frieden gab, habe ich gekämpft. Aber jetzt glaube ich daran, dass es eine Chance auf Frieden gibt, eine große Chance. Wir müssen sie nutzen in Verantwortung für die, die hier sind, und in Verantwortung für die, die nicht hier sind.“

Hunderttausende waren dort. Auch Jigal Amir. Aber der damals 25-jährige religiöse Extremist wollte nicht den Mitgliedern des Kabinetts zujubeln, die neben Vertretern diverser Friedensgruppen auf der Bühne standen. Er wollte Rabin ermorden – und mit ihm den angestoßenen Friedensprozess töten.

Der Premier verließ die Bühne über 26 Stufen einer Treppe, die direkt zu dem Parkplatz führte, wo die gepanzerte Dienstlimousine stand. Im euphorischen Trubel – die Kundgebung war ein großartiger Erfolg – ließen Rabins Leibwächter den Rücken des Premierministers für einen Moment ungedeckt. Gegen 21.45 Uhr fiel wie aus dem Nichts ein Schuss. Und noch zwei weitere aus einer halb-automatischen Beretta, bevor Leibwächter und Polizisten reagieren und den Attentäter überwältigen konnten.

Zwei selbstgebastelte Dumdum-Geschosse hatten Rabins Lungenflügel getroffen, die dritte Kugel die Hand eines Leibwächters. Gegen 23 Uhr starb Rabin im Krankenhaus.

Wenn der Attentäter sein Ziel erreicht

Der Mörder hatte sein Ziel erreicht: Tat ausgeführt und selbst überlebt. Die Sicherheitsdienste verhörten Amir schon, als Rabin noch um sein Leben rang. „Tun Sie Ihre Arbeit, ich habe meine getan“, sagte er aus. Auch dass er vor dem Anschlag in einer Synagoge gebetet habe, „er möge die Gelegenheit bekommen, den Regierungschef zu ermorden, sein eigenes Leben möge aber verschont bleiben“.

Foto: Carl Brunke
Dieses Tafelrelief zeigt die am Attentat beteiligten Personen

In allen Vernehmungen blieb Amir bei seiner Version, das Attentat alleine ausgeführt zu haben. Sein Motiv: Rabin sei laut jüdischem Gesetz ein Verräter gewesen, weil er für die Aussöhnung mit den Palästinensern jüdisches Land aufgeben wollte. Daher habe er getötet werden dürfen, um schlimmeres Unheil von der Judenheit abzuwenden. Bei seiner Verhaftung soll er gesagt haben: „Warum Handschellen? Ich bin doch kein Araber!“

Jigal Amir ist religiöser Fanatiker

Amir wurde fromm erzogen und fiel früh durch seine Faszination für Gewalt und später in der Armee als religiöser Fanatiker mit Kontakten zu radikalen Rabbinern auf. Nach dem Wehrdienst studierte er Jura an der religiösen Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan bei Tel Aviv. Kommilitonen blieb das extreme Denken nicht verborgen. Laut ihrer Aussagen sprach Amir im Herbst 1994 davon, dass Rabin „beseitigt“ werden müsse.

Am 25. Februar 1994 hatte der nationalreligiöse Attentäter Baruch Goldstein mit einem Galil-Sturmgewehr 29 Muslime in der Ibrahim-Moschee in Hebron erschossen. Am Einfluss dieser Tat auf Amir gibt es keinen Zweifel. In seinem Zimmer im Haus der Eltern standen neben religiösen Büchern nur drei weitere: die Attentäter-Biografie „Baruch. Ein ganzer Kerl“, „Die Akte Rabin“ und Frederick Forsyths Attentats-Thriller „Der Schakal“.

Rabin sah Siedlerbewegung negativ

In der internationalen Diplomatie gilt der Mord an Rabin als Zerstörung der bislang größten Chance auf einen tragfähigen Frieden im Nahen Osten. Rabin hätte das Prinzip „Land gegen Frieden“ bei einer großen Mehrheit mit der nötigen Autorität vertreten können, denn der Ex-Generalstabschef und Feldherr im Sechs-Tage-Krieg von 1967 stand nicht in dem Ruf, vom Falken zur Taube mutiert zu sein.

Allerdings hatte er schon 1976 die Siedler im besetzten Westjordanland als „eine der größten Bedrohungen für den Staat Israel“ bezeichnet. „Das ist keine Siedlerbewegung, das ist ein Krebsgeschwür im sozialen und demokratischen Gewebe Israels, eine Gruppierung, die das Gesetz in die eigenen Hände nimmt“, sagte Rabin damals wörtlich.

Foto: Carl Brunke
Nicht nur am 4. November besuchen Israelis die Rabin-Gedenkstätte

Jossi Beilin, der in Rabins Kabinett stellvertretender Außenminister war, zeigte sich überzeugt, dass dessen Handeln von der Einsicht geprägt gewesen war, dass Israel nur ohne Besatzung ein jüdischer und demokratischer Staat bleiben könnte. Sieben Monate nach dem Mord gewann Likud die Wahl, und Benjamin Netanjahu übernahm erstmals das Amt des Regierungschefs. Für Itamar Rabinovich eine Zäsur, weil Israel „begann, sich mit großen Schritten von Rabins Weg zu entfernen“. Rabinovich ist Rabins Biograf und war unter ihm Israels Botschafter in Washington.

Geheimdienst hält Amir noch für gefährlich

Seit dem Attentat wächst der politische Einfluss des nationalreligiösen und ultra-orthodoxen Lagers von Wahl zu Wahl. Wenn man so will, hat Jigal Amir vor 30 Jahren sein Ziel mehr als erreicht. Israels Inlandsgeheimdienst Schabak stuft den mittlerweile 55-jährigen Rabin-Mörder weiterhin als gefährlich ein. Er habe Anhänger, die bereit seien, in seinem Namen zu handeln. Dazu passt, dass laut einer Umfrage sehr viele Israelis weitere politische Morde für wahrscheinlich halten.

Von: Carl Brunke, Tel Aviv

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6 Antworten

  1. Ein religiöser Fanatiker oder Arafat zerstörte die Chance auf einen tragfähigen Frieden im Nahen Osten? Arafat, bester Freund von Hamas-Führer Ahmad Yasin.

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    1. Nein, Albert, ich kenne diese Geschichte etwas besser als Sie, denn Arafat wurde blass, als er die Nachricht bekam.
      Laut unklarer Angaben waren seine Worte auf Arabisch ,,daß damit alles kaputt sei, was man sich erhofft habe.“ Arafat hatte nichts damit zu tun, es war wirklich ein Jünger Goldsteins, des Massenmörders von Hebron .
      Gewöhnen Sie sich daran, Albert, daß wir Juden keine Heiligen sind, wir haben wie alle anderen einen Haufen Drecksäcke in unseren Reihen, wir sind darin keineswegs besser, aber vielleicht gehen wir etwas anders damit um. Wie das aussieht werde ich wohl erst genauer wissen, wenn ich dort lebe.
      SHALOM

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      1. @Klaus
        Die Fotos von Arafat und Yasin zusammen bezeugen eine echte Freundschaft zwischen den beiden. Wenn ein Terrorist dein bester Freund ist, was bist du dann?

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  2. Auch wenn mich der angegebene Autorenname etwas verstört zurücklässt: Ein hervorragender Artikel.

    Der wieder einmal beweist, dass innert der drei abrahamischen Religionen nicht nur bei den Muslimen Spinnerte unterwegs sind (natürlich weniger und an den Rändern, aber dennoch).

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  3. Gäbe es heute einen echten Frieden zw. Israelis und Palästinensern, wenn J. Rabin vor 30 Jahren nicht ermordet worden wäre?

    Wer kann das wissen? Es gab gegen das Osloer Abkommen auf beiden Seiten Proteste. Die Palästinenser hatten sich verpflichtet, Israels Existenzrecht anzuerkennen. Aber war es nicht nur eine Idee? Stattdessen nahm der Terror zu und es kam die zweite Intifada. Und die Hamas. Vielleicht hätte es für ein paar Jahre Frieden geben können. Aber dauerhaft, da bin ich mir sehr unsicher, denn die Araber ticken anders und ich bin der Meinung, man kann ihnen nicht trauen. Mit der Sehnsucht nach Frieden darf man die Vorsicht nicht vergessen.
    Trotz allem war Rabin ein bemerkenswerter Mensch. Sein Schutz hätte besser sein müssen. Eine Schutzweste und keine 26 Stufen hätten vielleicht sein Leben gerettet. Jigal hatte so ein leichtes Spiel. Ein streng gläubiger Jude? Ein Mörder, der danach sagte, er würde es wieder tun.

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  4. Nein ganz sicher hätte Rabin keinen dauerhaften Frieden gebracht, sondern u.a. durch Landabgabe an die PA nur größere Risiken für das Überleben des jüdischen Volkes geschaffen.
    Rabin war wohl Freimaurer und kein biblischer Visionär wie David Ben-Gurion. Rabins Augen waren aus meiner Sicht nur auf das Diesseits gerichtet und er ignorierte die geistliche Berufung des jüdischen Volkes weitgehend. Er war ein starker Vertreter der weltlichen Seite von Israel, kein Götzendiener wie König Ahab, aber in eine ähnliche Richtung gehend. Der einzige Gewinn ist die Mauer, die viele weitere Selbstmordattentate bisher verhindert hat.

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