Wer in Israel als Jude gilt

Israel ist ein Einwanderungsland für Juden. Wer von ihnen ein Recht auf Staatsbürgerschaft hat, regelt seit 75 Jahren das Rückkehrrecht.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

Vor 75 Jahren, am 5. Juli 1950, verabschiedete die Knesset das Rückkehrgesetz (Chok HaSchvut). Der Staat Israel sah und sieht sich bis zum heutigen Tage als Zufluchtsstätte. Das Gesetz gewährt Juden und Jüdinnen weltweit das Recht, nach Israel einzuwandern und die israelische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Die Definition, wer Jude ist, differiert und sorgt mitunter für Verwirrungen.

Wörtlich heißt es im Chok HaSchvut: „Jeder Jude hat das Recht, als Einwanderer nach Israel zu kommen“.  Die Einwanderung wird als Rück- oder Heimkehr und wörtlich als Aufstieg bezeichnet, hebräisch Alija.

Im antiken Judentum bezeichnete das Wort Alija eine Wallfahrt gläubiger Juden zum Jerusalemer Tempel an den drei jährlichen Wallfahrtfesten Pessach, Schawuot und Sukkot. Das „Aufsteigen“ bezog sich auf den Anstieg auf das hochgelegene Bergland Judäas und dort zum Tempelberg.

Nachdem die Babylonier im Jahr 586 vor der Zeitrechnung den Jerusalemer Tempel als kultisches Zentrum zerstört und die jüdische Elite exiliert hatten, bezeichnete Alija auch das erhoffte künftige „Hinaufziehen“ der exilierten Juden in ihr Heimatland Israel. In der Folgezeit besiegten die Perser die Babylonier. Das Edikt des Perserkönigs Kyros II. von 539 vor der Zeitrechnung erlaubte den Juden und Jüdinnen die Rückkehr in ihre angestammte Heimat.

Esra 1,3: Wer immer unter euch aus seinem Volk ist, mit dem sei sein Gott, und er ziehe hinauf nach Jerusalem, das in Juda ist, und baue das Haus des HERRN, des Gottes Israels! Er ist der Gott, der in Jerusalem ist. (Elberfelder Bibel)

Mit seinem Edikt löste Kyros II. eine frühe Rückwanderungswelle aus, in deren Folge der jüdische Tempel und Jerusalem als Hauptstadt Israels wieder aufgebaut wurden. Seit der Entstehung des politischen Zionismus im 19. Jahrhundert bedeutet der Begriff Alija allgemein „jüdische Einwanderung“ nach Palästina, seit 1948 in den Staat Israel.

In Anbetracht der immensen Herausforderungen bei der Integration in den frühen 1950er Jahren versuchte die israelische Regierung, die Einwanderung durch Richtlinien zu steuern: Junge, gesunde und produktive Einwanderungswillige sollten den Vorzug erhalten. 1954 wurde das Rückkehr-Gesetz dahingehend geändert, dass in begründeten Fällen das Recht auf Einwanderung verwehrt werden kann, wie etwa im Falle von Straftätern.

Staatlich organisierte Aktionen

Als Teil der israelischen Einwanderungspolitik sind auch staatlich organisierte Aktionen zur massenhaften Immigration bestimmter jüdischer Gemeinden zu werten, wie etwa die geheim geplanten Transfers Tausender Familien aus Äthiopien ab Mitte der 1980er Jahre. In den Operationen „Moses“ und „Joschua“ gelang es 1984/85, rund 8.000 Juden über den Sudan nach Israel zu bringen. In der Operation „Salomon“ wurden 1991 weitere 14.000 äthiopische Juden nach Tel Aviv evakuiert.

Oder man denke an die waghalsige Evakuierungs-Operation „Auf Adlerschwingen“, hebräisch: Knafei Nescharim, auch bekannt unter „Magischer Teppich“. Israel führte sie zwischen Juni 1949 und September 1950 durch, um im Zuge des jüdischen Exodus aus der muslimischen Welt etwa 49.000 jemenitische Juden aufzunehmen. Mit Unterstützung Großbritanniens und der USA wurde die Mehrheit der jemenitischen Juden sowie 500 Juden aus Dschibuti und Eritrea und etwa 2.000 Juden aus Saudi-Arabien nach Israel auf 390 Flügen evakuiert.

Zentrale Frage: Wer gilt als „Jude“?

Das Rückkehrgesetz ist in seiner konkreten Ausformulierung bis heute kontrovers, denn die zentrale Frage, wer nach dem Gesetz als „Jude“ gilt, wurde in der ursprünglichen Fassung nicht näher definiert. 20 Jahre später, 1970, folgte eine Ergänzung: Das Einreise-und Niederlassungsrecht wurde auf Menschen mit mindestens einem jüdischen Großelternteil sowie auf mit einem jüdischen Partner verheiratete Personen ausgeweitet. Dies ist unabhängig davon, ob die Betroffenen halachisch, somitnach orthodoxer Auslegung des jüdischen Religionsgesetzes, als jüdisch gelten oder nicht. Gleichzeitig wurde das Rückkehrrecht auch auf nicht jüdische Kinder und Enkel ausgeweitet.

Diese Erweiterung bedeutete in der Praxis: Von nun an gab es in Israel auf die Frage, wer als „jüdisch“, gilt, zwei Antworten: Die klassische orthodoxe, halachisch-religionsgesetzliche, wie sie das Oberrabbinat bei Konversionen durchsetzt, und die weiter gefasste staatliche Definition im Rückkehrgesetz.

Entsprechend teilen Demographen bei der Analyse jüdischer Bevölkerungszahlen weltweit in drei Kategorien: Die halachische, die etwas weiter gefasste Kategorie der „Core Jews“, die auch Jüdinnen und Juden umfasst, welche nicht halachischen Kategorien entsprechen, und die Kategorie der „Law of Return Jews“, der Rückkehrgesetz-Juden. Sie umfasst die halachische und „Core Jews“- Gruppen mit und repräsentiert daher die größte Kategorie.

Folgen Sie uns auf Facebook und X!
Melden Sie sich für den Newsletter an!

Der Umstand, dass es mehrere Definitionen jüdischer Identität gibt, führt zu Friktionen. Hinsichtlich des Erwerbs der israelischen Staatsbürgerschaft ist die Gesetzes-Definition maßgeblich. Die halachische Definition, wer Jude oder Jüdin ist, ist hingegen maßgeblich hinsichtlich aller Angelegenheiten, für die das Rabbinat zuständig ist, wie Konversionen, Beerdigungen, Heirat und Scheidung. In Israel gibt es bis heute keine zivile Eheschließung, ein Erbe aus der langen osmanischen Herrschaft über Palästina (1516 bis 1917).

Im Zuge der Masseneinwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion wurde die Diskrepanz zwischen halachischer Definition und dem Chok HaSchvut deutlich. Denn in der ehemaligen UdSSR war durch den Staat die jüdische Identität und der offizielle Status „Ewreji“ durch den Vater weitergegeben worden und nicht, wie in der Halacha vorgesehen, von der Mutter.

Viele Russischstämmige, die sich seit jeher als Jüdinnen und Juden identifizierten und als solche nach Israel unter dem Rückkehrgesetz eingewandert waren, sahen sich mit der Situation konfrontiert vom israelischen Rabbinat nicht als Juden anerkannt zu werden. Das führte zu tiefen gesellschaftlichen Gräben. Die Durchführung von Konversionskursen in der israelischen Armee sind der Versuch von Lösungsansätzen hinsichtlich der Statusklärung.

Änderung des Rückkehrgesetzes gefordert

In den rechten Koalitionsparteien werden Stimmen laut, die eine Änderung des Rückkehrgesetzes fordern. Avi Maos, Parteivorsitzender der rechtsreligiösen Partei „No’am“, hebräisch für „Gefälligkeit“, im Sinne von „G´ttgefälligkeit“, fordert die Aufhebung der Enkelklausel. Die rechtsreligiöse Partei Vereinigtes Tora-Judentum betont, das Rückkehr-Gesetz fördere Betrug, denn es könne Personen geben, der jeden Sonntag mit ihren Eltern in die Kirche gehen, und dann kommen und sagen, sie wollen als Juden einreisen beziehungsweise einwandern.

Medienberichten zufolge hat sich die Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud) darauf verständigt, dass künftig Personen, die nur einen jüdischen Großelternteil haben, das Recht auf Einwanderung verweigert werden soll. Sollte eine erneute Änderung des Chok HaSchvut in Kraft treten, würde es vor allem Einwanderer aus osteuropäischen Staaten betreffen, da viele von ihnen – nach halachischen Maßstäben – als nicht jüdisch gelten.

Aber auch für Einwanderer, denen im Rahmen des Rückkehrgesetzes die israelische Staatsbürgerschaft zusteht, müssen sich auf eine neue Regelung einstellen. Zukünftig müssen solche Olim chadaschim nachweisen, dass sie ihren Lebensmittelpunkt im jüdischen Staat haben.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Für die Ausstellung eines israelischen Passes gibt es nun zusätzliche Bedingungen

Gemäß der neuen Regelung können Neueinwanderer erst dann einen israelischen Pass erhalten, wenn sie belegen können, dass sie seit mindestens einem Jahr im Land leben. Die bisherige Praxis, den israelischen Pass noch am selben Tag der offiziellen Einwanderung bei Ankunft am Flughafen Ben-Gurion auszugeben, endet damit.

Die offizielle Begründung des Innenministeriums für das neue Prozedere lautet, dass die Änderung der Pass-Politik dazu beitragen wird, dem Missbrauch durch Einwanderer vorzubeugen, die die israelische Staatsbürgerschaft lediglich als Mittel zum Zweck annehmen wollen. Konkret gehe es darum. sich mit einem israelischen Pass in einem Land niederlassen zu können, das ihnen dies aufgrund ihrer gebürtigen Staatsbürgerschaft verwehren würde.

Alija zu machen, ist mehr als die Entscheidung für ein Leben in Israel, es ist ein Bekenntnis.

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

4 Antworten

  1. Ich erinnere mich an die einfache, pragmatische Aussage von Ariel Sharon : „wer sich als Jude fühlt, in der israelischen Armee kämpft, sein Leben für den jüdischen Staat einsetzt, ist für mich ein Jude“. Ups, das schliesst ja die Haredim aus, die sich zu fein sind, eine Waffe zu tragen.

    15
  2. Würde wirklich gerne die israelische Staatsbürgerschaft als Zweit-Staatsbürgerschaft erlangen aber leider wird mir das als Christ wohl nicht gelingen! Israel und seine Bevölkerung wird aber auch weiterhin meine volle, unverbrüchliche Unterstützung bekommen wo auch immer ich ihnen helfen und sie unterstützen kann!

    Western Patriots stands with Israel! 🫶 🇮🇱 🇪🇺 🫶

    0
  3. Über eure Begrifflichkeit –„Juden“—, kann man sich nur wundern. Das auserwählte Volk im AT bestand aus den zwölf Stämmen Israels. Später wurde das Reich geteilt, in Nordreich Israel (zehn Stämme) und Südreich Juda, (zwei Stämme — Juda, Benjamin).
    Diese zwölf Stämme werden heute alle als „Juden“ bezeichnet, warum eigentlich ? ?

    0
  4. Das ist ja witzig! Vor ein paar Wochen habe ich Ihr Chat-Dingens gefragt, ob ich als Nicht-Jude nach Israel auswandern darf. Die Antwort war ähnlich ernüchternd wie in diesem Artikel. Allerdings habe ich „nachgebohrt“ und dann die Info erhalten, dass es durchaus die Möglichkeit gibt, es aber nich weitaus, weitaus aufwendiger und komplizierter ist und auch das israelische Außen- bzw. Innenministerium alles durchleuchtet …

    Wenn Ariel Scharon das (laut Antonia) so gesagt hat, bin ich gerührt – nicht meinetwegen, sondern wegen jener, die im wahrsten Sinne des Wortes für Israel geblutet und gelebt haben jenseits starrer, religiöser Definitionen.

    Nur mal so am Rande: als in Washington dieses baldige Ehepaar ermordet wurde, gab es bei ynet in einem Onlineartikel einen Leserkommentar auf Hebräisch, der Mann* oder die Frau* sei ja gar kein „richtiger“ Jude bzw. keine „richtige“ Jüdin. Dreimal dürfen Sie raten, wie die allermeisten Israelis reagiert haben, na? Richtig, es gab eine Handvoll „Daumen hoch“ und Hunderte (!) „Daumen runter“ unter diesem schäbigen Kommentar in Anbetracht des Todes dieser jungen Menschen. Das macht Mut.

    * Ich weiß nicht mehr den Zusammenhang dieser Äußerung und ob der Nutzer den Mann oder die Frau meinte.

    0

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen