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„Zwischen Weihrauch und Tränengas“

Für Unruhe im schwäbischen Südwesten Deutschlands sorgte in diesem Frühjahr der Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie“. Im Rahmen der KZ-Gedenkstätte Hailfingen-Tailfingen kündigte er Pfarrer i.R. Ulrich Kadelbach an, mit dem Vortragsthema: „Bethlehem zwischen Weihrauch und Tränengas“. Unter diesem Titel hat Kadelbach seine Erfahrungen als „Beobachter“ des „Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel“ (EAPPI) publiziert. Wer mit der jüdisch-christlichen Geschichte vertraut ist, reagiert alarmiert, wenn Christen, die wie keine andere Religion für jüdisches Leid verantwortlich sind, frommer Weihrauch zugeordnet wird, während Juden gleichzeitig für das Gas zuständig erklärt werden.
Aus Sicht des Ökumenischen Rats der Kirchen beobachtungswürdig: Polizei, Siedler und Soldaten in Hebron

Das Vorwort zu Kadelbachs Buch hat der palästinensische Pfarrer Mitri Raheb verfasst. Er ist Mitunterzeichner des Kairos-Palästina-Dokuments (KPD), das seit 2009 in kirchlichen Kreisen die Auflösung des jüdischen Staats zugunsten eines Großpalästinas vorantreibt. In zwei Kapiteln seines Buchs äußert sich Kadelbach zustimmend zum KPD. Raheb, der in Deutschland promovierte, behauptet, die arabischen Palästinenser seien das eigentliche Volk der Bibel, deren Vorväter die Offenbarungen und Verheißungen erhalten hätten – nicht etwa das jüdische Volk. Genetisch sei er, Raheb, näher mit Jesus verwandt als etwa der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu, der von Osteuropäern abstamme, die zum Judentum konvertiert seien.
„Das Stöhnen“ der Palästinenser sei „unter dem Joch der israelischen Besetzung“ so groß, konstatiert Raheb in seinem Vorwort, dass man nicht „ein zweites Mal“ schweigen dürfe. Diese Lehre müsse aus Auschwitz gezogen werden. Damit suggeriert der palästinensische Lutheraner seinen Lesern einen zweiten Holocaust – dieses Mal von den Nachfahren der Opfer des ersten durchgeführt.
Kadelbachs Veröffentlichung sei deshalb ein notwendiger Tabubruch, findet Raheb – gerade so, als ob Israelkritik heute nicht zum Mainstream gehöre. Er scheut sich auch nicht, die alte gegen Juden gerichtete Anklage des Gottesmordes zu beleben: das heutige Bethlehem sei „gekreuzigt“.
Kadelbach reiht in seinem Buch, das im Gerhard Hess Verlag bereits in 2. Auflage erschienen ist, zahlreiche Begegnungen und Szenenbeschreibungen aneinander – Menschen und Situationen, auf die er im Laufe seines ökumenischen Begleitprogramms trifft. Er begegnet im Wesentlichen zwei Gruppierungen: erstens Palästinensern, die ihm von ihrer, wie sie sagen, von Israelis geprägten Lebenssituation und direkten Kontakten mit dem israelischen Militär berichten. Die zweite Kontaktgruppe sind Israelis, die in fundamentaler Opposition zu ihrem Staat stehen.
Die Aussagen dieser beiden Gruppierungen, unterstützt durch Kadelbachs eigene Aussagen, formen beim Leser ein durchgängig negatives Bild vom jüdischen Staat und seiner Regierung. Der Autor lässt fast nur Palästinenser zu Wort kommen, die facettenreich rücksichtsloses und grausames Verhalten der israelischen Armee beklagen.
Das besonders Auffallende an diesen Schilderungen ist, dass das Verhalten der Israelis, vor allem das von Soldaten und Siedlern, dem der Nazis, der SS und der deutschen Wehrmacht zu gleichen scheint. Das gilt sogar für die Feuerwehr.
Demnach rauben die Israelis beispielsweise den Palästinensern „Lebensraum“, zerstören Landschaften, brennen Obstbäume nieder, demolieren Häuser. Die israelische Feuerwehr schützt nur Wohngebiete von jüdischen Siedlern, aber nicht die von Palästinensern. Zermürbende Prozeduren an Straßensperren verursachen Totgeburten und den Tod von Schwerkranken. Israels Soldaten und Grenzpolizisten gehen forsch, unwillig, einschüchternd gegen Palästinenser vor, schlagen mit der Faust auf den Tisch und erhöhen deren Rate an Depressionserkrankungen.
Die Palästinenser hingegen, denen Kadelbach begegnet, werden durchweg als herzlich, gastfreundlich und friedensbereit präsentiert – höchstens palästinensische „Jungs“ werfen einmal Steine. Sie haben Humor, geben die Hoffnung auf Frieden nicht auf, beten für Frieden. Manche arbeiten gar ohne Entlohnung an Spielzeug für Kinder. Ein, zwei Ausnahmen werden am Rande erwähnt, offenkundig aber nur, um den Autor formal gegen den Vorwurf der Einseitigkeit abzusichern.
Besondere Anerkennung und Bewunderung spendet Kadelbach Israelis, die sich ihrer Regierung widersetzen. Einzelkämpfer und Vertreter von Friedens- oder Menschenrechtsorganisationen kommen zu Wort, wie etwa eine Vertreterin der Organisation „The Other Voice“. Sie stammt aus der Stadt Sderot, die seit Jahren unter Raketenbeschuss aus Gaza leidet. Dafür macht sie jedoch ihren eigenen Staat verantwortlich, denn Gaza sei „das größte Gefängnis der Welt“ und soldatische Brutalität werde zum Maßstab einer ganzen Nation.
Den Höhepunkt solcher Opposition stellt wohl der israelische Professor Ilan Pappé dar mit seinen Aussagen, es sei ein Witz, Israel eine Demokratie zu nennen, und: „Es handelt sich um einen kriminellen Staat.“

Fehlende Informationen

Hintergrundinformationen, die dem Verständnis des israelisch-arabischen Konflikts dienen, liefert Pfarrer Kadelbach kaum. Er schildert minutiös technische Kontrollvorgänge und Verhaltensweisen von Soldaten an den Checkpoints, findet dabei aber kein einziges Wort für die Leben schützende Funktion dieser Kontrollen. Bei der Schilderung einer Demonstration gegen „die Mauer“ verrät Kadelbach, wie sehr er besessen davon ist, Juden als Täter zu sehen: Er berichtet, wie eine Palästinenserin mit einer Fahne auf israelische Soldaten zugeht, die neben ihrem Jeep stehen. Unweit sitzt ein Metzger vor seinem Laden. In der Garage daneben warten Schafe darauf, geschlachtet zu werden. Kadelbachs Kommentar: „Ein wenig verstehe ich die Tiere, die auf ihre Hinrichtung warten.“
Der EAPPI-Beobachter Kadelbach präsentiert übertriebene Zahlen von arabischen Flüchtlingen während der Kriege von 1948 und 1967, verliert aber kein Wort darüber, dass das Angriffskriege gegen Israel waren, deren ausdrücklich erklärte Zielsetzung die Vernichtung des jüdischen Staates war. Er verschweigt, dass im gleichen Zeitraum mehr Juden aus arabischen Ländern fliehen mussten, als Araber aus Israel. Er enthält seinem Leser Informationen über die systematische Hetze in palästinensischen Schulen und Medien vor, die schon Kinder zum Judenhass erziehen – was etwa von der „Palestinian Media Watch“ ausführlich dokumentiert wird.
60 von 193 Textseiten des Kadelbach-Buchs sind einem geschichtlichen Rückblick gewidmet. Dieser ist allerdings vor allem der Darstellung früher christlicher und jüdischer zionistischer Bewegungen gewidmet und trägt nur wenig zum Verständnis der gegenwärtigen Konfliktsituation bei. Die israelisch-palästinensische Konfliktsituation sachlich zu analysieren, ist Kadelbachs Sache nicht.
Kadelbachs Buch erfüllt hingegen ganz offensichtlich die Kriterien der gängigen Definition für Antisemitismus, die drei berühmten „D‘s“ des heutigen Präsidenten der „Jewish Agency for Israel“, Nathan Scharansky:
1. „Double Standards“ – an Israel wird ein viel härterer Maßstab angelegt als an andere Länder in vergleichbaren Situationen oder auch an die Palästinenser.
2. „Dämonisierung“ – die gesamte Schuld an der Misere in Nahost wird allein dem jüdischen Staat angelastet.
3. „Delegitimierung“ – Kadelbach unterminiert Israels Recht, seine Bürger vor Terrorangriffen zu schützen und unterstützt die Auflösung des jüdischen Staats zugunsten eines Großpalästina.
Angesichts solcher Darstellung mag man sich nicht ausmalen, welche Wirkung von solchen EAPPI-Referenten wie Kadelbach ausgeht, wenn sie in ihren Heimatgemeinden vor einem arglosen Publikum, das annimmt, Kenner der Lage vor Ort vor sich zu haben, ihre „Erfahrungen“ ausbreiten. Die Einstellung unserer Zivilgesellschaft gegen Juden wird dadurch vergiftet. Welche Folgen das haben kann, wissen wir aus unserer Geschichte.
Gegen den Auftritt Kadelbachs in der KZ-Gedenkstätte im schwäbischen Südwesten entwickelte sich erfreulicherweise Widerstand: Organisationen, Verbände und andere protestierten. Die Veranstaltung wurde abgesetzt – aus Krankheitsgründen.
Die bösartige Wirkung des EAPPI ist damit aber bei Weitem noch nicht gebannt.
Die ursprüngliche und ausführliche Version dieses Artikels ist Ende Juni im Rundbrief des Denkendorfer Kreises erschienen und kann bestellt werden bei Hartmut Metzger, Telefon: +49 (7071) 518 17, E-Mail: denkendorfer-kreis@t-online.de

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