Kaddura Fares ist ein Vertreter der jungen Generation in der palästinensischen Führung, ein enger Freund des heute wohl populärsten Palästinenserführers Marwan Barghuti. Als Beruf steht auf der offiziellen Webseite des Palästinensischen Legislativrates, dem das Fatah-Mitglied angehört, „politischer Aktivist“. Zur Zeit bekleidet der 42-Jährige einen Ministerposten ohne Geschäftsbereich in der Palästinensischen Autonomiebehörde und ist nach eigener Aussage „für die Frage des israelischen Mauerbaus zuständig“. Fares wohnt in seinem Geburtsort Silwad, westlich von Ramallah.
Im aktiven Widerstand gegen die Israelis hat sich der Vater von drei Kindern im Alter von drei bis neun Jahren das Vertrauen seiner Landsleute und damit die politischen Sporen verdient. 14 Jahre lang, von 1980 bis 1994, saß Fares in israelischen Gefängnissen. Der Frage nach dem Grund dafür weicht er zunächst aus, gibt dann aber zu: „Wir haben Israelis in der Westbank beschossen, Bomben geworfen und anderes mehr.“ In jüngerer Zeit gehört er zu den Initiatoren der Genfer Initiative.
Marwan Barghuti wird schon als „Nelson Mandela der Palästinenser“ gehandelt. Seit April 2003 sitzt er in Israel im Gefängnis. Für seine Aktivitäten als Führer der gefürchteten Tansim-Miliz, aus der die Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden hervorgegangen sind, wurde Barghuti zu fünfmal lebenslanger Haft verurteilt. Der Weg für die unumstrittene Präsidentschaftskandidatur von Mahmud Abbas alias „Abu Masen“ wurde erst frei, als Marwan Barghuti seine eigenen Ambitionen zurückstellte. Diese Entscheidung gab Ende November 2004 sein Vertrauter, Staatsminister Fares, bekannt.
Mit Minister Kaddura Fares sprach Johannes Gerloff vor den Präsidentschaftswahlen über den neuen Palästinenserpräsidenten, den Schatten Arafats, den Sinn von Gewaltanwendung, die politischen Vorstellungen der Fatah-Bewegung, das Verhältnis zu Israel und natürlich Marwan Barghuti:
Israelnetz: Wie würden Sie Mahmud Abbas, den künftigen Präsidenten der Palästinenser, charakterisieren?
KF: Abu Masen ist ein ehrlicher und ernsthafter Führer mit offenen Augen für die Realität. Er will echten Frieden. Er wird alles unternehmen, um einen Palästinenserstaat aufzubauen und eine andere Situation zu schaffen.
Israelnetz: Was wird eine Abbas-Präsidentschaft von der Ära Arafat unterscheiden?
KF: Arafat und Abbas haben einen langen Weg gemeinsam zurückgelegt. Aber Abu Masen hat einen anderen Stil. Er möchte weniger Worte und dafür Ergebnisse sehen. Arafat hat die Palästinensische Autonomiebehörde im Geiste eines Revolutionärs geleitet. Anders wären wir nie so weit gekommen. Abbas will echte staatliche Institutionen in Palästina aufbauen.
Grundsätzlich sehe ich aber keinen großen Unterschied. Schließlich gehören beide derselben Bewegung an, verfolgen dasselbe politische Programm. Es mag vor allem um einen taktischen Unterschied gehen. Aber das Ziel ist dasselbe. Die Zukunft wird erweisen, ob Mahmud Abbas erfolgreich sein wird und wir einen Staat bekommen. Vielleicht wird sich aber auch zeigen, dass Arafat mit seinem Führungsstil Recht hatte?
Israelnetz: Auf den Wahlplakaten sieht man Abu Masen einträchtig neben Abu Amar, wie Jasser Arafat von seinem Volk genannt wird. Die beiden hatten aber doch große persönliche Probleme miteinander?
KF: Das stimmt. Aber jetzt ist Wahlkampf und wir wollen die Wahl gewinnen. Wenn in Indien beispielsweise jemand eine Wahl gewinnen wollte und eine Geschichte mit Mahatma Ghandi hätte, würde er das auch nutzen. Arafat genießt das Vertrauen des Volkes. Wir wollen sein Charisma nutzen, damit Abu Masen die Wahl gewinnt.
Israelnetz: PLO-Chef Abbas hat den Einsatz von Waffen in der Intifada als Fehler bezeichnet. Denken Sie, dass der bewaffnete Kampf ein Fehler war?
KF: Wir Palästinenser haben jedes Recht, die Besatzung aktiv zu bekämpfen. Gleichzeitig sollten wir jedoch andere Möglichkeiten nutzen, um unser Land zu befreien. Die Art und Weise, wie wir Gewalt angewendet haben, war ein großer Fehler, weil das in der internationalen Gemeinschaft einen schlechten Eindruck erweckt hat. Deshalb sollten wir jetzt Abu Masen eine Chance geben, das umzusetzen, woran er glaubt.
Wenn Mahmud Abbas aber nach einem oder zwei Jahren nicht erreicht, dass die Straßensperren und die Mauer entfernt und die Gefangenen freigelassen werden; wenn wirtschaftliche Fragen nicht diskutiert werden; wenn wir einem endgültigen Abkommen nicht näher sind, und wenn die Palästinenser keine Hoffnung haben, dann bedeutet das, dass Abu Masens Weg falsch war. Dann werden wir unseren Kampf fortsetzen.
Israelnetz: Werden sich die Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden, der militärische Arm Ihrer Fatah-Bewegung, an einen Waffenstillstand mit Israel halten? Bislang haben sie sich zwar für Abu Masen ausgesprochen, ihre Anschläge jedoch nicht eingestellt.
KF: Aus taktischen und strategischen Gründen werden sie sich daran halten. Die entscheidende Frage ist allerdings, was die einzelnen Mitglieder der Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden auf persönlicher Ebene durch einen Waffenstillstand gewinnen. Wenn Israel trotz eines Waffenstillstandes weiter versuchen sollte, diese Leute zu verhaften und zu töten, haben sie keinen Grund, ihre gewaltsamen Aktivitäten einzustellen.
Israelnetz: Können Sie nachvollziehen, warum die Israelis Hamas und Islamischen Dschihad als Terroristen bezeichnen?
KF: Die Israelis nennen nicht nur sie, sondern auch uns, die Fatah, „Terroristen“. Jeder Palästinenser ist gegen die Besatzung und tut etwas dagegen. Deshalb sind wir alle in den Augen der Israelis „Terroristen“. Aber unser Freiheitskampf ist kein Terror. Wir wehren uns nur gegen die Besatzung, wie das jeder Mensch auf der ganzen Welt tun würde.
Der israelische Oppositionspolitiker Jossi Sarid hat einmal gesagt: „Die Fabrik des Terrors sind die Straßensperren.“ Dort fühlen wir die Demütigungen der Israelis. So kommt es dann, dass wir vom Herzen und nicht vom Kopf her denken. Das bedeutet für mich persönlich allerdings noch nicht, dass wir ein Recht hätten, Autobusse oder Cafés in die Luft zu sprengen. Ich denke nicht, dass wir ein Recht dazu haben.
Israelnetz: Genau wie die extremen Islamisten haben die Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden Selbstmordattentäter nach Israel entsandt. Was unterscheidet sie von der Hamas-Bewegung oder dem Islamischen Dschihad?
KF: Die Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden sind meine Brüder. Sie gehören zu meiner Bewegung, zur großen Familie der Fatah. Viele der Kämpfer und der Märtyrer, die Israel getötet hat, sind enge Freunde von mir. Wir waren miteinander im Gefängnis. Hamas und Islamischer Dschihad sind meine politischen Gegner.
Wir sprechen von zwei Staaten, die nebeneinander existieren sollen. Wir streben ein säkulares, liberales und demokratisches Regime an. Die Islamisten haben andere Ziele.
Israelnetz: Werden Hamas und Islamischer Dschihad Abu Masen eine Chance geben?
KF: Ja, ich denke, dass alle Fraktionen zu einem innerpalästinensischen Dialog bereit sind und wir zu einem internen Abkommen kommen werden.
Israelnetz: Die extremen Islamisten boykottieren die Wahl…
KF: …wenn Hamas einen Präsidentschaftskandidaten aufgestellt hätte, wäre Mahmud Abbas wohl nicht der geeignete Kandidat gewesen.
Israelnetz: Was bedeutet das?
KF: Das palästinensische Volk verehrt die Opfer der Besatzung und die Freiheitskämpfer. Wenn die Hamas einen Kandidaten aus der Gruppe der Kämpfer gewählt hätte, hätten wir unseren Kandidaten aus derselben Gruppe stellen sollen. Abu Masen hat eine andere Mentalität und einen anderen Führungsstil. Ich denke, Marwan Barghuti wäre der richtige Mann. Er hat das Charisma und genießt den Respekt im Volk, um die Leute für die Fatah zu gewinnen.
Israelnetz: Marwan Barghuti hat also eine politische Zukunft?
KF: In jedem Falle – und wir werden ihm den Weg bereiten. Barghuti gehört zu einer Generation, die zwei Dinge beschäftigt: 1. die Befreiung von der Besatzung, und 2. die Frage der Demokratie.
Sehen Sie, wir sind ein sehr konservatives Volk. Wir brauchen einen Führer, nicht nur einen Präsidenten, sondern jemanden, der wie Präsident Arafat das Charisma hat, die Palästinenser gefühlsmäßig zu einen. Marwan hat die entscheidende Persönlichkeitsstruktur und die Gaben, um dieser Führer zu sein, und wir werden ihm dazu helfen.
Israelnetz: Kann man sagen, dass Sie Mahmud Abbas nur als Übergang zu einer neuen Führungsgeneration sehen?
KF: Wir wollen Demokratie und sehen nicht nur uns als künftige Führungsgeneration. Wenn ein alter Mann unsere Vorstellungen verwirklicht, werden wir ihm helfen. Und wir hoffen, dass Abu Masen Erfolg haben wird.
Aber wir sind nicht sicher, dass wir als säkulare Gruppierung in der Zukunft das palästinensische Volk regieren werden. Das Leiden des palästinensischen Volkes wird uns vielleicht zur Minderheit machen. Wenn die Palästinenser unter der Armutsgrenze leben, fangen sie alle an, ans Paradies und ein anderes Leben zu denken…
Israelnetz: Die Sprache Abu Masens hat sich in den vergangenen Tagen und Wochen verschärft…
KF: Was bedeutet das?
Israelnetz: …nun, wenn er zum Beispiel vom „zionistischen Feind“ spricht.
KF: Ich glaube, dass Politiker den Tatsachen ins Auge sehen sollten. Es gibt eine Besatzung. Es gibt einen Kampf. Wir leben im Krieg. Wir haben einen Feind. Die zionistische Bewegung ist unser Feind, weil sie uns jeden Tag töten, weil sie unser Land besetzt halten, weil sie unser Leben zur Hölle machen. Die Israelis sind unsere Feinde, nicht unsere „lieben Nachbarn“ – und wir sind in den Augen der Israelis ihre Feinde. Das ist die Wahrheit!
Israelnetz: Sehen Sie die Zukunft optimistisch?
KF: Leider nein. Ich bin optimistisch, wenn ich sehe, was innerhalb Palästinas geschieht. Wenn ich aber sehe, was sich innerhalb der israelischen Gesellschaft tut, bin ich sehr pessimistisch. Nicht zuletzt die Frage, ob Abu Masen erfolgreich sein wird, hängt davon ab, wie die Israelis mit ihm umgehen.
Israelnetz: Wann wird es einen palästinensischen Staat geben?
KF: Vielleicht nie. Wir sind heute mindestens zwanzig Jahre von einer Zweistaatenlösung entfernt. Israelische Politiker und Militärs reden in letzter Zeit vermehrt von einer regionalen Lösung. Das heißt, sie wollen zuerst ihre Probleme mit Jordanien, Ägypten und Syrien anpacken. Das ist ein sehr gefährliches Denken. Das bedeutet, dass der Kampf noch viele Jahre dauern wird.
Israelnetz: Herr Minister, wir danken für das offene Gespräch.