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„Wir haben Soutine ein Zuhause gegeben“

Das „Mischkan-Kunstmuseum“ gehört als untrennbarer Bestandteil zum galiläischen Kibbutz Ein Charod. Es blickt auf eine lange Tradition zurück und stellt zur Zeit 18 Werke des ukrainisch-französischen Malers Chaim Soutine aus.
Schapira und Goldman-Ida erklären das Selbstporträt, das Chaim Soutine im Jahr 1916 gemalt hat

EIN CHAROD (inn) – Am Fuße des Berges Gilboa, nahe der Charod-Quelle, im malerisch gelegenen Kibbutz Ein Charod in Galiläa, liegt das „Mischkan-Kunstmuseum“. Es kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Nicht umsonst zählt der amerikanische Fernsehsender CNN diesen Ort zu den zehn besten Museen Israels und listet ihn an dritter Stelle.

In den 1930er Jahren als „Kunstecke“ inmitten einer Blockhütte gegründet, zog es 1948 in ein festes Gebäude um und gilt als erstes Museum Israels. „Den Kibbutzgründern von Ein Charod ist die Bedeutung der Kunst von Anfang an klar gewesen“, erklärt Kurator Janiv Schapira. „Sie wollten jüdische Kunst zusammentragen und zeigen, wie Judentum in der Diaspora in Kultur und Tradition reflektiert wurde. In den 1930er Jahren, kurz bevor der Weltkrieg ausbrach, schickten sie das Kibbutzmitglied Chaim Atar zweimal nach Paris, um dort Kunstwerke zu kaufen. Diese Menschen hatten ein starkes Verantwortungsbewusstsein. Sie wollten ihren Kindern Geschichte vermitteln und ihnen erklären, woher sie kommen.“

Schapira ist Chefkurator einer neuen Ausstellung: „Nackte Seele: Chaim Soutine und Israelische Kunst“ – bis zum 21. März 2020 wird sie im historischen Museum zu sehen sein. Eng ist sie mit dem Gründer des Museums Atar verbunden, resümiert der Historiker: Durch die beiden Reisen nach Paris sei in Atar der Wunsch entstanden, auch in Galiläa ein Museum zu gründen. „Als Maler war er angetan von der direkten, ehrlichen und intuitiven Art, mit der Soutine malte. Sein Einfluss ist in Atars Gemälden stark erkennbar. Deshalb sind auch seine Werke Teil der neuen Ausstellung.“

Israelische Künstler durch Soutine geprägt

Die Galerie zeigt neben Werken von Soutine und Atar auch Bilder und Skulpturen von Soutines zeitgenössischen Künstlern wie Chana Orloff, Jacques Lipchitz und Michel Kikoine, die seinerzeit ebenfalls in Paris künstlerisch tätig waren. In einem eigenen Stockwerk sind die Werke von 43 israelischen Künstlern ausgestellt, es sind drei Generationen, die durch Soutine geprägt wurden.

Die Kinderporträts von Atar sind maßgeblich durch Soutine geprägt Foto: Israelnetz/mh
Die Kinderporträts von Atar sind maßgeblich durch Soutine geprägt

Schapira ist die Begeisterung für Soutine und dessen Werk abzuspüren: „Über Picasso ist doch schon alles gesagt! Doch Soutine ist trotz seines internationalen Bekanntheitsgrades relativ unbekannt. In allen wichtigen Museen ist er ausgestellt, aber hier, vor allem in der Zusammenschau mit den Kunstwerken der Israelis, lernen wir etwas Neues über ihn.“

Soutines Werke befänden sich in allen wichtigen Museen weltweit. „Als kleines Museum ist es für uns zu teuer, die Kosten für den Transport zu übernehmen. Daher sind wir froh, dass wir Werke aus dem Israel-Museum in Jerusalem, dem Kunstmuseum in Tel Aviv, der Hecht-Sammlung in Haifa sowie von Privatsammlern erhalten konnten“, freut sich Schapira. „Viele israelische Künstler sind durch Soutines Themen beeinflusst: Manche durch dessen Themen wie Porträts, Landschaften und Stillleben oder Schlachttiere. Andere durch seine malerische Ausdruckskraft oder seine satten Farben, seine sprengende Energie oder seine gestische Art zu malen. Die hier zusammengestellten Werke spiegeln alle in irgendeiner Form eine Soutine-Qualität wider: Es geht um Verletzlichkeit, Offenheit oder existentielle Ängste.“

Schapira sieht die Ausstellung als „wichtigen Meilenstein in der Geschichte des Museums“. Sie markiert die dritte in einer Serie, um das 80-jährige Jubiläum des Museums zu begehen. Mit den vorangegangenen Ausstellungen „Schätze des Mischkan-Kunstmuseums“ sowie „14 Interpretationen: Porträts eines Museum“ soll die Vielfalt des Museums hervorgehoben werden. „Mit dieser Serie wollen wir unserem Bildungsauftrag gerecht werden und zeigen, was die Aufgabe des Museums heute ist“, erklärt der Kurator.

Jedes Bild ein Aufschrei

Entworfen hat Schapira die Ausstellung zusammen mit Suria Sadekova, Kuratorin des Puschkin-Museums in Moskau, und Batscheva Goldman-Ida, Kuratorin besonderer Projekte im Kunstmuseum Tel Aviv. Letztere führt aus: „Die letzte Ausstellung in Israel über Soutine hatten wir 1968.“ Damals seien 50 Werke von Soutine in Jerusalem ausgestellt gewesen, darunter auch berühmte. Dieses Mal würden 18 Werke gezeigt, die zwar nicht zu den bekanntesten Arbeiten Soutines gehörten, doch hätten diese die Werke israelischer Künstler stark beeinflusst: „Den internationalen Diskurs über Soutine wollten wir um Aspekte ergänzen, die für den jüdischen Kontext von Bedeutung sind, zum Beispiel das Tieropfer als Mittel zur Vergebung, weil die Seele im Blut zu finden sei, wie es im 3. Buch Mose zu lesen ist.“ Soutine habe viele Bilder gemalt, die Schlachtopfer oder rohes Fleisch thematisiert hätten.

Auch Schapira ist überzeugt: „Soutine hat nicht viel geredet, doch kein jüdischer Künstler hat so gut wie er die jüdische Seele festgehalten: die ganze Tragik und Trauer des jüdischen Volkes wird auf so unterschiedliche Weise in jedem Gemälde deutlich. Jedes Bild ist ein Aufschrei. Dort liegt die geschlachtete Gans, ihr ist das Lachen im Halse stecken geblieben. Hier hängen die roten Gladiolen. Sie weisen auf den siebenarmigen Leuchter hin. Sie bewegen sich von rechts nach links – die Richtung, in der Soutines Muttersprache Jiddisch geschrieben wird.“

Der Kurator berichtet über den Hintergrund für die vielfach verstörende Kunst des Meisters: „Soutine hatte ein schweres Leben: Er wurde als zehntes von elf Kindern in Weißrussland geboren. Seine Mutter hatte nicht viel Liebe für ihn übrig. Er fing früh an zu zeichnen, immer wieder malte er auch Menschen. Dafür wurde er von den religiösen Eltern häufig bestraft. Mit 18 Jahren verließ er das Haus seiner Eltern in Weißrussland. Er war nun ganz auf sich allein gestellt“, referiert Schapira.

Gegensatz zu Chagalls Wärme

Er ergänzt: „So wie seine Seele, waren auch seine Bilder: sie sind emotional und verletzlich, nackt und manchmal verstörend. Die ganze Ausstellung ist wie ein einziger Schrei. Wenn man vor seinen Bildern steht, versteht man etwas über Tod und Leben.“ Während Soutines Zeitgenosse Marc Chagall freundlich und warm gewesen sei, sei Soutine rau und kalt gewesen. Der Kurator von Ein Charod ist überzeugt: „Soutine hat nie eine Familie gegründet, eigentlich hat er nie ein Zuhause gefunden. Mit unserer Ausstellung wollten wir ihm ein Zuhause geben.“

Von: mh

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