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Wie Scho‘ah-Opfer zum Leben zurückkehrten

JERUSALEM (inn) – Der israelische Holocaust-Gedenktag steht in diesem Jahr unter der Überschrift: „Schmerz und Befreiung und Rückkehr zum Leben: 70 Jahre nach Kriegsende“. Die Überlebenden, die bei der staatlichen Gedenkzeremonie die traditionellen sechs Fackeln entzünden, haben genau das erlebt.
Auch bei privaten Zeremonien werden am Jom HaScho'ah sechs Fackeln entzündet.
Der diesjährige Holocaust-Gedenktag, Jom HaScho‘ah, beginnt am Mittwochabend. Bei der staatlichen Zeremonie werden sechs Fackeln entzündet, die für die sechs Millionen ermordeten Juden stehen. Jeder der sechs Fackelentzünder hat auf andere Weise die Schrecken der Judenvernichtung überlebt.

Flucht aus Auschwitz

Avraham Harschalom wurde 1925 in Pruzhany im damaligen Polen geboren, heute gehört es zu Weißrussland. Im August 1941 kam seine Familie ins Ghetto, Anfang 1943 begann die Deportation nach Auschwitz. „Bei der Selektion sagte ich, dass ich Jahrgang 1924 sei – ein Jahr älter, als ich war. Ich dachte, dass es besser ist, zu sagen, dass ich kein Junge mehr bin“, erzählt er laut der Tageszeitung „Ma‘ariv“. Seine Eltern, die Großmutter und der Bruder wurden vergast. Avraham gelang im Juni 1944 mit zwei Kameraden die Flucht: „Wir tauschten die Häftlingskleidung gegen zivile Kleidung ein. Am Nachmittag entwichen wir von den Arbeitsplätzen. Wir stiegen in eine Grube, und ein Kamerad bedeckte uns mit Abfall. Er streute Staub auf den Abfall und verstreute Tabak, damit die Spürhunde der SS uns nicht entdecken konnten. Wir hörten die Warnsirenen und das Bellen der Hunde über uns und hielten unseren Atem an.“ Doch nach ein paar Tagen wurden Avraham und einer der Kameraden von den Nazis gefasst. Sie erhielten schwere Schläge und den runden roten Flicken, der Verbrecher kennzeichnete. Im Oktober 1944 wurde Avraham nach Buchenwald gebracht, wo er sich als Pole ausgab. Als sie mit dem Zug in ein weiteres Lager deportiert werden sollten, ergriff er mit zwei Kameraden die Flucht und gelangte nach Prag. Eine Tschechin versteckte ihn. Im Untergrund kämpfte er gegen die zurückweichenden Deutschen und erhielt später die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Im März 1949 wanderte er nach Israel aus und schloss sich der Luftwaffe an.

Überleben im Ghetto und im Wald

Dov Schimoni kam 1919 als Erwin Schwarz in der ungarischen Hauptstadt Budapest zur Welt. Er arbeitete im jüdischen Krankenhaus. Dieses wurde Ende 1944 ins Ghetto verlegt. Doch das Gebäude war zu klein, also eröffnete er 18 Nebenstellen – auch außerhalb des Ghettos. Dank ihrer Passierscheine konnten die Angestellten Nahrung und Medikamente ins Ghetto mitnehmen und Kranke hinausbringen. Schimonis Angehörige wurden von den Besatzern zwischenzeitlich inhaftiert. Doch es gelang ihm, ihre Freilassung zu erwirken. Im Januar 1949 emigrierte er mit seiner Familie nach Israel. Er hat verschiedene Krankenhäuser geleitet und eine großeKrankenkasse. Sarah Winstein wurde 1935 in Polen geboren, das Gebiet ist heute Teil der Ukraine. 1939 wurde es durch die Sowjetunion besetzt. Ihre beiden älteren Brüder mussten in der Roten Armee dienen. Die deutsche Besatzung begann im Juli 1941. Aus dem Ghetto konnte Sarahs Familie kurz vor dessen Auflösung fliehen. Doch nach ein paar Wochen brachen Ukrainer in das Haus des Mannes ein, der ihnen dazu verholfen hatte. Sie erschossen den Wohltäter und dessen Ehefrau sowie Sarahs Mutter. Anschließend zündeten sie das Haus an. Die Überlebenden versteckten sich im Wald. Im Sommer 1944 eroberte die Rote Armee das Gebiet zurück. Sarahs Vater wurde durch ukrainische Dorfbewohner ermordet. Sie kam mit ihren Schwestern in ein Waisenhaus, wo sie gut behandelt wurde. 1947 machte sie Alija.

Menschenversuche und ein hilfsbereiter Bauer

Ephraim Reichenberg stammt aus Ungarn. Dort kam er 1927 zur Welt, er hatte sechs Geschwister. Im Juli 1944 wurde seine Familie nach Auschwitz deportiert. Er und sein älterer Bruder gaben sich als Zwillinge aus, um den Gaskammern zu entgehen. In der Zone für die Menschenversuche erfuhren sie vom Tod ihrer Eltern. Im Januar 1945 wurden sie nach Sachsenhausen gebracht. In ihrem Waggon überlebten nur 22 der 160 Insassen die Fahrt. Ein Todesmarsch führte sie später nach Norddeutschland. Nach der Befreiung durch die Rote Armee Anfang Mai gelangten sie nach Prag. Der Bruder wurde dort in einem Krankenhaus behandelt. Ephraim traf bei seiner Rückkehr nach Budapest keinerlei Angehörige mehr an. Ein Jahr nach dem Krieg erfuhr er, dass sein Bruder in Prag gestorben war. Er wanderte Anfang 1948 ins Mandatsgebiet Palästina aus. Infolge der medizinischen Misshandlung verlor er 1967 seine Stimme. Seit 1984 kann er wieder sprechen – mittels eines Gerätes, das in Deutschland hergestellt wurde. Ernst-Günter Louison wurde 1924 in der damals deutschen Stadt Breslau geboren. Seine ältere Schwester zog 1937 zu einer Verwandten nach Großbritannien. Im Dezember 1938 ließ sich der Junge für die Jugend-Alija registrieren. Allerdings verhinderte der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die Ausreise nach Großbritannien für eine landwirtschaftliche Fortbildung. Stattdessen kam die Gruppe nach Dänemark. Der Vater brachte ihn an den Zug. „Uns war beiden klar, dass wir uns nicht wiedersehen würden“, erinnert er sich. In Dänemark nahm ein Bauer den jungen Juden wie seinen eigenen Sohn auf. Die Gruppe traf sich wöchentlich, um sich mit Hebräisch, jüdischer Geschichte und Zionismus zu befassen. Nach Beginn der deutschen Besatzung im April 1940 musste sich Ernst-Günter regelmäßig bei der Polizei melden. Im Oktober 1943 wurde er ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort musste er in einem Propagandafilm der Nazis mitwirken. Im April 1945, noch vor der Befreiung, brachte ihn das Rote Kreuz mit weiteren Juden in einem Bus durch Deutschland nach Dänemark. Nach dem Krieg kehrte er zu dem Bauern zurück, doch 1951 machte auch Louison Alija.

„Nimm die Kleine mit!“

Schila Altaratz ist Jahrgang 1934 und stammt aus Mazedonien. Ihr Vater starb bereits vor dem Krieg. Infolge der deutschen Besatzung wurde die Familie 1943 in den Lagerräumen einer Zigarettenfabrik untergebracht. Schilas Schwester durfte den Ort jedoch verlassen, weil sie die italienische Staatsbürgerschaft besaß. Die Mutter forderte sie auf Ladino auf: „Nimm die Kleine mit!“ Nach ihrer Flucht beobachteten die Schwestern von einem Hügel aus die Deportation der Juden. Alle ihre Angehörigen wurden in Treblinka ermordet. Die beiden Fliehenden hingegen erreichten Pristina. Dort nahm sich Schilas Schwester allerdings nach der Festnahme ihres Mannes das Leben. Das Mädchen arbeitete im Haus einer Freundin der Schwester. Als im Frühling 1944 die Juden von Pristina deportiert werden sollten, flohen die beiden in ein muslimisches Dorf. Später wurden sie entdeckt und in ein Konzentrationslager für politische Häftlinge gebracht. Dort war Schila das einzige Mädchen und musste Hinrichtungen mit ansehen. Wegen ihrer Schweigsamkeit erhielt sie den Spitznamen „die Stumme“. Nach der Befreiung durch die Rote Armee kam Schila in ein Waisenhaus in Belgrad. Dort waren viele Kinder, die ähnliches durchgemacht hatten wie sie. Deshalb gestattete sie sich selbst, zu weinen und wieder ein Kind zu sein. Sie blieb vier Jahre in dem Heim. Im Juli 1949 gelangte sie nach Israel und wurde Krankenschwester.

Hintergrund

Mit dem Gedenktag für den Holocaust und das Heldentum wird der sechs Millionen Juden gedacht, die durch die Nationalsozialisten ermordet wurden. Am Donnerstagmorgen um 10 Uhr heulen dazu in ganz Israel die Sirenen, und die Menschen verharren für zwei Schweigeminuten. Auch die Fernsehsender richten sich nach dem zentralen Thema dieses Tages. Entweder zeigen sie gar kein Programm, oder sie strahlen Sendungen aus, die sich mit der europäischen Judenvernichtung befassen. Der „Jom HaScho‘ah“, der auf den 27. Tag des jüdischen Monats Nissan fällt, endet am Donnerstag mit Sonnenuntergang. (eh)

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