Saeb Erekat liebt die Medien, fühlt sich wohl im Rampenlicht der Bühne und weiß äußerst geschickt mit Zuckerbrot und Peitsche – sprich Komplimenten und Zurechtweisungen, Charme und Zorn – die Fragen der Medienleute in Schach zu halten. Er spürt, wenn ein Slogan ausgelutscht ist. Deshalb hat er auch die Melodie verändert: „Ich verstehe die palästinensische Bevölkerung. Sie hat Abu Masen gewählt, um Frieden zu bringen. Aber wir haben versagt. Wir konnten keine einzige Straßensperre entfernen, noch unsere Büros in Ostjerusalem eröffnen. Ich kann heute einem Bauern aus Jericho nicht garantieren, dass seine Produkte den Markt in Ramallah erreichen.“ Erstaunt hört der Berichterstatter auf: Erekat übernimmt Verantwortung!
„Die Palästinenser sehen die Fakten vor Ort“, meint der geschniegelte Politprofi im Nadelstreifenanzug und scheint sich selbst reumütig an die Brust zu klopfen. Wie aus dem Maschinengewehr fliegen den verzweifelt kritzelnden Journalisten aus aller Herren Länder die Fakten um die Ohren: 358 tote Palästinenser, 1.200 Verletzte, mehr als 2.000 Verhaftete, 35 zerstörte Häuser – während auf der anderen Seite, in Ostjerusalem, Givat Seev, Maale Adumim, Adam, Ephrata, Alfei Menasche, Ariel und Karnei Schomron insgesamt 5.378 Wohnungen neu gebaut werden. In welchem Zeitraum das alles geschehen ist, geht im Tastengeklapper, Bleistiftgekratze und Klicken der Kameras unter. Entscheidend ist auch der Eindruck, und dass die Palästinenser sich deshalb entschieden haben, „nicht mehr darauf zu hören, was Saeb Erekat über Frieden sagt.“ So Saeb Erekat.
Trotzdem will er 2008 „zum Jahr des Friedens machen“. „Dazu brauchen wir zwei Staaten in den Grenzen von 1967, Frieden zwischen Israel und den Palästinensern und Demokratie in der arabischen Welt.“ Der Politikprofessor, der sich profitlich nickend rühmen lässt, acht Bücher geschrieben zu haben, weiß, welche Schlagworte ziehen. – „Deshalb würde ich heute sagen: [Hamas-Chef Ismail] Hanije, du bist mein Premierminister! Der Premierminister aller Palästinenser!“ Diese Schlussfolgerung, die seine westlichen Sponsoren keineswegs gerne hören, schiebt er eher verschämt, leise, aber unüberhörbar nach. Angenehmer ist da schon der Satz: „Der Coup in Gaza ist das Schlimmste, was uns seit der Katastrophe von 1967 passiert ist!“ Auf jeden Fall: „Keine von beiden Seiten wird konvertieren“ – darüber sollten sich nach Erekats Meinung alle im Klaren sein.
Deshalb heißt sein Patentrezept für den Fortgang des politischen Prozesses „Tahdije“, ein arabisches Wort, das heutzutage jedem politischen Berichterstatter im Nahen Osten geläufig von der Feder fließt. Auf die Rückfrage eines Neuen, wie „Tahdije“ denn zu übersetzen sei, erklärt der Politikprofessor: „Es bedeutet nicht ‚Frieden’, und nicht ‚Waffenstillstand’, und auch nicht ‚Feuerpause’“ – worauf er eine lange (rhetorische?) Pause folgen lässt. „Was bedeutet es dann?“, wagt einer aus der letzten Reihe zu fragen. „Tja“, meint Erekat, „vielleicht ist es ‚Ruhe’, wenn eben beide Seiten aufhören zu schießen, eine totale Stille…“ Die Journalisten schreiben fleißig mit.
Saeb Erekat weiß sich interessant zu machen: „Ich stehe unter Eid, das nicht zu veröffentlichen, was hinter geschlossenen Türen geredet wurde.“ Und er ist stolz auf das, was er erreicht hat: „Wir haben die besten Unterhändlerteams aufgebaut – im gesamten Nahen Osten…“ Den Einwand, dass diese „besten Verhandlungsteams“ auch nach zwei Jahrzehnten nichts erreicht hätten, will er nicht gelten lassen. „Einmal wurden Kinder dafür getötet, dass sie eine palästinensische Flagge in die Höhe hielten. Als sich Olmert und Abbas das letzte Mal trafen, stand die palästinensische Flagge gleichberechtigt neben der israelischen Flagge. Und die PA-Flagge war größer als die in meinem Büro!“ Professor Erekat ist sich gewiss: „Wir haben keine einzige Verhandlungsstunde verschwendet.“ Und: „Israelis und Palästinenser waren einem Frieden noch nie näher.“
Dass die Hamas den Gazastreifen im Griff hat und im Westjordanland sehr populär ist, tut er mit einer Handbewegung ab: „Die Hamas hat zugestimmt, dass die PLO die Verhandlungen im Namen des palästinensischen Volkes führt.“ Deshalb, so vermutet Saeb Erekat, wird sie sich wohl auch an Verhandlungsergebnisse halten. Überhaupt: „Wir brauchen heute keine Verhandlungen mehr, sondern Entscheidungen!“ Er weiß: „Israelis und Palästinenser müssen Frieden schließen!“ Jetzt oder nie, denn „wenn es uns nicht gelingen wird, 2008 Frieden zu schließen, werden wir verschwinden.“ Auf die Rückfrage, wer „wir“ sei, zögert er, fährt sich mit der Hand über den Mund und meint dann: „Nun, wir eben, das ist die Palästinensische Autonomiebehörde, und eben all das, was ich repräsentiere.“
Im Laufe des Gesprächs ist dann irgendwann das Ende der Diplomatie erreicht. In Richtung Amerika weiß Erekat: „Bush kann nicht entscheiden. Er hat überhaupt kein Recht, mit Olmert über die Grenzen zu diskutieren.“ In Richtung Israel zeigt er sich an einem Punkt kompromisslos: „Die Siedlungsaktivitäten müssen aufhören. Es gibt nur entweder Siedlungen oder Frieden!“ Vom Terror und den Sicherheitsbedürfnissen der Israelis kein Wort – außer vielleicht folgender Satz: „Mein Gewissen schert sich nicht um das Leiden der Israelis – genauso wenig, wie die unser Leiden kümmert.“
Vermutlich liegt der Verhandlungsveteran Saeb Erekat nicht ganz im Abseits, wenn er behauptet: „Es geht heute nicht darum, jemanden zu zwingen, ein Abkommen zu unterzeichnen. Es geht um den Tag danach“ – um die Frage, wie Israelis und Palästinenser ein Leben miteinander oder wenigstens nebeneinander einigermaßen erfolgreich gestalten können. Dabei ist allerdings, so Erekat, das Problem: „Israelis und Palästinenser sind wie Katzen in der Nacht. Die machen viel Krach miteinander – und niemand weiß, ob das jetzt Liebe oder Krieg ist.“