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Wer in Syrien kämpft

Am syrischen Bürgerkrieg sind laut Schätzungen Bürger aus etwa 50 Staaten weltweit aktiv beteiligt. Einige Israelis haben sich den Rebellen angeschlossen – nun ist der erste von ihnen ums Leben gekommen.
Der Bürgerkrieg ist schon lange keine innersyrische Angelegenheit mehr.

„Erster Israeli im Kampf gegen Assad gefallen“ – so titelten israelische Medien am Vorabend des Laubhüttenfestes im Spätsommer 2013. Einen Tag zuvor hatte die Familie Dschuma’ah aus Muschirfa, einem kleinen Dorf neben Um el-Fahm im israelischen Wadi Ara, eine Nachricht und das Bild von einem zerschossenen Leichnam aus Syrien bekommen. Die Familie glaubt, ihren Sohn Mu’eid eindeutig identifizieren zu können. Offensichtlich wurde er bei einem Schusswechsel getötet.
Nur wenige Monate zuvor hatte der 28-jährige Mu’eid Zachi Agabaria geheiratet. Weder seine Frau noch der Rest der Großfamilie will gewusst haben, dass er vor drei Wochen ausgezogen war, um sich den Aufständischen in Syrien anzuschließen. Zeitgleich verschwanden noch zwei weitere israelische Bürger aus dem Wadi Ara.

Einreise über Türkei

Insgesamt wird in den israelischen Medien mittlerweile über mindestens zehn israelische Araber gemunkelt, die sich dem Kampf gegen den syrischen Diktator aktiv angeschlossen haben. So meldete Anfang September ein Vater aus Zentralisrael seinen Sohn bei der Polizei als vermisst, nachdem er feststellen musste, dass der ein Ticket in die Türkei ohne Rückflug gekauft hatte. Der 26-jährige Student Abd el-Kader Altala aus dem israelischen Taibe muss sich vor dem Bezirksgericht in Lod verantworten, weil er sich der radikal-islamischen Dschabhat al-Nusra angeschlossen haben soll. Ende Juli hatte ein Medizinstudent, der aus der Gegend bei Karmiel im Norden Israels stammt und im Ausland studiert, seine Familie wissen lassen, er werde sich den Rebellen in Syrien anschließen.

Im April war der 29-jährige Hechmat Masrawa aus Taibe zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, nachdem er im Februar über die Türkei nach Syrien eingereist war. Bei seiner Rückkehr am 19. März wurde er auf dem Ben-Gurion-Flughafen verhaftet. In der Anklageschrift gegen ihn steht, er habe sich eine Woche lang bei einer Rebelleneinheit aufgehalten, dort seinem Willen, sich Kampfhandlungen anzuschließen Ausdruck verliehen, beim Aufbau eines militärischen Trainingslagers geholfen und an Übungen mit Waffen teilgenommen zu haben. Masrawa behauptet, in Syrien seinen Bruder gesucht zu haben, der dort verschollen sei.
Wie eng die Beziehungen zwischen den Ländern des Nahen Ostens allen feindlichen politischen Beziehungen zum Trotz sind, zeigte sich nicht zuletzt, als die Familie Waqed in Nazareth im August erfuhr, dass 21 ihrer Verwandten bei dem Chemiewaffen-Massaker in einem Vorort von Damaskus ermordet worden waren – darunter eine Mutter und ihre sechs Kinder, sowie ein Ehepaar mitsamt seinen vier Kindern. Über Verwandte in Jordanien war die Nachricht nach Israel gelangt. Im selben Vorfall waren auch elf Mitglieder der Familie Churani – im Alter von drei bis 75 Jahren – aus dem palästinensischen Dschenin im nördlichen Westjordanland ums Leben gekommen.
Der Onkel eines mutmaßlichen israelischen Dschihadkämpfers in Syrien, der gerne anonym bleiben möchte, bezeichnete das Phänomen, dass junge israelische Araber nach Syrien in den Kampf ziehen, gegenüber der israelischen Tageszeitung „Ha‘aretz“ als Besorgnis erregend. Er appellierte an die Führung der israelischen Muslime, sich öffentlich und vor allem in den Moscheen dagegen auszusprechen.

Wer kämpft für wen?

Natürlich stellt sich angesichts dieser Meldungen die Frage: Wer kämpft da eigentlich in dem Bürgerkrieg, der Syrien seit mehr als zwei Jahren zerfleischt und bereits weit mehr als 120.000 Menschen das Leben gekostet hat?
Das Regime von Präsident Baschar al-Assad wird in der eigenen Bevölkerung von einer Minderheitenkoalition aus Alawiten, Drusen, Kurden, Christen und Schiiten gestützt. Hinzu kommen aber auch viele sunnitische Muslime, die zwar wenig begeistert von der Diktatur Assad sind, ihren säkularen Charakter aber der radikal-islamischen Alternative, die sich am Horizont unverkennbar abzeichnet, vorziehen. Aktiv im Kampf wird Assad noch von der schiitischen Hisbollah aus dem Libanon und Revolutionsgardisten aus dem Iran unterstützt. Hinzu kommen noch säkular orientierte palästinensische Gruppierungen, wie etwa die „Volksfront zur Befreiung Palästinas – Generalkommando“ (PFLP-GC). Auf der internationalen Bühne schließlich stehen neben dem Iran vor allem Russland und China hinter der syrischen Regierung, die sie auch mit Rüstungsgütern massiv unterstützen.
Gegen das syrische Regime unter Präsident Assad steht ein Konglomerat aus lose verbundenen und kaum koordinierten Milizen, die sich grob in drei Gruppierungen einteilen lassen.
Erstens gehört dazu die so genannte „Freie Syrische Armee“ (FSA), ein Zusammenschluss von Milizen, die sich aus desertierten Soldaten der syrischen Armee gebildet haben. Sie wollen ein vereintes, säkulares Syrien, wie es einmal war, allerdings ohne Assad. Islam ist definitiv nicht ihre Agenda. Dies ist die Gruppe, die westliche Länder, allen voran die USA und Europa, unterstützen möchten.
Neben der FSA gibt es lokale Milizen, die in der sunnitischen Bevölkerung verwurzelt sind. Sie sind von der sunnitischen Ideologie der Muslimbruderschaft geprägt und streben einen normalen Staat an. Eventuell sehen sich dieser zweiten Gruppe eine ganze Reihe der eher islamistischen Palästinenserorganisationen, wie etwa die Hamas oder der Islamische Dschihad, verbunden. Bei den palästinensischen Flüchtlingen, die teilweise schon in vierter Generation in Syrien leben, stellt sich nicht selten die Frage, ob sie als „Ausländer“ oder „Einheimische“ zu betrachten sind. Sie haben zwar keine Staatsbürgerschaft, können Syrien aber auch nicht verlassen, weil sie niemand weltweit haben will.
Als dritte Gruppierung, die in vieler Hinsicht einen entscheidenden Einfluss auf den Fortgang der Ereignisse in Syrien ausübt, sind die „internationalen Dschihadisten“ erkennbar. Von Antiterrorexperten sind Gruppen und Individuen aus Afghanistan, Ägypten, Australien, Bahrain, Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Indonesien, Irak, Irland, Israel, Jemen, Jordanien, Kuwait, Libanon, Libyen, Norwegen, Pakistan, Palästina, Russland, Somalia, Tunesien, Türkei, Tschetschnien, USA und den Vereinigten Arabischen Emiraten identifiziert worden. Man geht davon aus, dass am syrischen Bürgerkrieg Bürger aus etwa 50 Staaten weltweit aktiv beteiligt sind. Insofern ist es nicht ganz unrichtig, wenn Baschar al-Assad behauptet, der Krieg in seinem Land sei eine internationale Anstrengung, sein Regime zu stürzen. Somit stehen die etwa 200.000 Soldaten, die nach wie vor dem Regime Assads loyal sind, schätzungsweise 100.000 Kämpfer gegenüber, die ebenfalls „schätzungsweise“ mehrere Hundert Milizen ganz unterschiedlicher Prägung, Ausbildung, Kampfstärke, Ideologie und Zielsetzung.

Kampf für Großsyrien

In dieser dritten Gruppe sticht ein Verbund besonders heraus, durch seine klare ideologische Zielsetzung, aber auch durch seine effektive Vorgehens- und Kampfesweise: „Die Dschabhat an-Nusrah li-Ahl Asch-Scham“, was übersetzt so viel wie „Unterstützungsfront für das Volk von Großsyrien“ bedeutet. Kurz wird die Organisation gemeinhin „Dschabhat al-Nusra“ genannt. Als ihr Anführer gilt Abu Mohammad al-Golani, über den allerdings wenig bekannt ist. Diese Gruppierung wird nicht selten als „al-Qaida-nahestehend“ bezeichnet. Sie lehnt „Staaten“ als eine westlich-kolonialistische Erfindung grundsätzlich ab – wie übrigens auch nicht wenige Ideologen der Hamas. Ihre Anhänger reden nicht von „Syrien“, sondern von „Asch-Schams“, einem Gebiet, das man als „Großsyrien“ bezeichnen könnte, und das auch den Libanon, Israel und Jordanien umfasst. Sie wollen die alawitischen „Götzenanbeter“ beseitigen, sehen den Kampf gegen das jüdische Israel erklärterweise als nächsten Schritt und haben als Ziel die Verbreitung des Islam über die ganze Welt. Die Türkei hat die „Al-Nusra-Front“ in der Vergangenheit mehrfach mit Waffen versorgt.

Der israelische Inlandsgeheimdienst „Schin Beit“ fürchtet, dass vor allem internationale Dschihadisten junge israelische Araber dazu benutzen könnten, um Informationen über Israel zu sammeln oder dort gar einen Anschlag auszuführen. Ebenso wenig dürften sich andere westliche Polizei- und Geheimdienste bei dem Gedanken wohl fühlen, dass Hunderte von Bürgern ihrer eigenen Länder in Syrien nicht nur ideologisch radikalisiert werden, sondern zudem eine Ausbildung und Kampferfahrung in der Praxis erhalten.

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