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Warum ein Palästinenser den Holocaust-Gedenktag beging

Die meisten Palästinenser wissen nichts oder nur wenig über die Judenvernichtung während der Nazizeit. Viele sehen im Holocaust nur einen Vorwand der Israelis, um sie zu unterdrücken. Anders der Palästinenser Asis Abu Sarah - er besuchte einst Yad Vashem und beging in diesem Jahr sogar erstmals den israelischen Holocaust-Gedenktag.

„Viele Jahre lang war dieser Tag für mich als Palästinenser eine Quelle des inneren Konfliktes“, schreibt er im „Blog für Frieden in Israel-Palästina„. „Deshalb beschlossen meine Frau Marie und ich in diesem Jahr, unser eigenes Gedenken abzuhalten, indem wir etwas taten, was ich lange vor mir hergeschoben hatte: wir sahen den Film ‚Schindlers Liste‘, der die Geschichte eines Deutschen erzählt, der sein Leben riskierte, um Hunderte Juden während des Holocaust zu retten.“

„Ich wollte mein eigenes Leiden nicht verraten“

Doch wie kam der gebürtige Jerusalemer dazu, sich mit der Schoah zu befassen? Von Haus aus hatte er kaum Wissen über die europäische Judenverfolgung. „Als Palästinenser lernten wir einfach nichts darüber. Ein Stigma war damit verbunden, eine Vorstellung, dass Israel den Holocaust nutzte, um sich für Sympathie einzusetzen, und dann eine Kehrtwende machte und die Sympathie als furchtbare Waffe gegen das palästinensische Volk benutzte. Wenn ich also nach dem Holocaust gefragt wurde, empfand ich immer diesen defensiven Drang, zu sagen: ‚Es war nicht meine Schuld! Ich habe auch dafür gelitten.‘ Tief in mir, denke ich, hatte ich das Gefühl, wenn ich ihren Schmerz anerkannte, würde ich mein eigenes Leiden verraten oder an den Rand drängen.“

Auch habe er gedacht, wenn er mit seinem „Feind“ sympathisiere, könne ihm womöglich das Recht genommen werden, für Gerechtigkeit zu kämpfen. „Jetzt weiß ich, dass dies Unsinn ist: Man ist stärker, wenn man zulässt, dass Menschlichkeit Feindseligkeit überwindet. Doch ich habe lange gebraucht, um diese Lektion zu lernen.“ Vor vielen Jahren hatte er beschlossen: „Es gibt keinen Weg, meine jüdischen Freunde zu verstehen und mit ihnen zu kommunizieren, wenn ich nicht ihre Geschichte kennenlerne.“ Diese „Reise“, wie er es nennt, begann der Palästinenser in der zentralen Holocaustgedenkstätte Israels.

„Mein Herz raste, als ich die Schwelle von Yad Vashem überschritt“, beschreibt der Blogger sein damaliges Erlebnis. „Ich fing an, die Bilder anzuschauen und die Geschichten zu lesen mit dem klaren Bewusstsein, dass ich der einzige Palästinenser dort war. Als ich durch das Museum ging, wurde mein Selbstbewusstsein jedoch durch Schock ersetzt.“ Er konnte nicht glauben, dass sich Menschen so weit nach unten begaben, dass sie zu solchen Grausamkeiten fähig wurden. „Wie konnte Rassismus Menschen aller Menschlichkeit berauben?“

Jüdische Freunde erzählten von eigenen Erfahrungen

Einige Tage später sprach der Palästinenser mit jüdischen Freunden über seinen Besuch im Holocaustmuseum. Viele reagierten überrascht. „Als ich meine Beweggründe erklärte, konnte ich die Mauern, die uns trennten, bröckeln sehen. Jakov, ein Holocaustüberlebender, erzählte mir seine persönliche Geschichte. Als kleiner Junge in Polen war er von seinen Eltern getrennt worden. Er wurde gezwungen, sich als Christ auszugeben, indem er die katholischen Gebete sprach und zur Kirche ging. Sein Vater wurde während des Krieges ermordet. Einer meiner besten Freunde, Rami, beschrieb die Schrecken, die sein Vater im Konzentrationslager Auschwitz erlitten hatte. Wieder wurde mein Herz von Schmerz und Sympathie ergriffen, als ich ihre Geschichten hörte.“

Der Besuch in der Gedenkstätte und das Gespräch darüber sei lebenswichtig für die Beziehung zu seinen Freunden gewesen, schreibt Abu Sarah. „Ich konnte verstehen, woher sie kamen. Ich konnte ihre Gefühle nachempfinden, dass die Welt gegen sie ist. Der Holocaust hatte ihr Bewusstsein für die Welt um sie herum geschärft, und mein Verständnis für diese Tragödie war wichtig für sie, damit sie erfolgreich mit mir kommunizieren konnten.“

Deshalb entschied sich der Palästinenser, das Andenken der jüdischen Opfer zu ehren. Während Juden in Israel und andernorts am 21. April den Gedenktag an die Schoah begingen, setzten sich die beiden Palästinenser mit dem Film von Steven Spielberg auseinander: „Obwohl es für einen Palästinenser seltsam erscheinen mag, sich Zeit zu nehmen, um an den Holocaust zu erinnern, fühlte ich, dass es ein wichtiger Schritt für mich war. Ich musste mich mit dem Schmerz derjenigen verbinden, die gelitten hatten, und ich musste über die Nationalität hinweggehen, um den Verlust menschlichen Lebens zuzugeben.“

„Ich konnte die Tränen nicht zurückhalten“

Abu Sarah erzählt weiter: „Als ich ‚Schindlers Liste‘ sah, war ich in einem Maße bewegt von der Geschichte, dass ich es nicht beschreiben kann. Es war unmöglich, gegen die Tränen zu kämpfen, die aus meinen Augen strömten. Die Verbindung, die ich zu denen knüpfte, die den Holocaust erlitten haben, geht über Nationalität, Religion oder Rasse hinaus; es war die Verbindung eines Mannes zu einem anderen angesichts eines universell verständlichen Schmerzes.“

Der Palästinenser weist auf den Ring hin, den die geretteten Juden Oskar Schindler bei der Flucht mitgaben. Darin ist ein Zitat aus dem Talmud eingraviert: „Wenn einer ein Menschenleben rettet, ist es so, als ob er eine ganze Welt gerettet hat“. Der Tagebucheintrag endet mit den Sätzen: „Ich möchte, dass wir darüber nachdenken, ob wir einen Preis für die Rettung eines Lebens aussetzen können. Können wir einen Preis dafür aussetzen, die Welt zu retten? Es ist lebenswichtig, unsere Werte und Menschheit zu schützen – ungeachtet der Kosten, die wir dafür zahlen müssen. Oskar Schindler konnte eintausend Leben retten, und es war das wert. Wie viele Leben kannst Du retten?“

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