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Von Hebräisch bis Amharisch

Die Wiederbelebung der hebräischen Sprache ist weltweit ein einmaliger Prozess. Wenn sie sich auch in Israel seit langem durchgesetzt hat – bei weitem ist Hebräisch nicht die einzige Sprache, die Israelis beherrschen.
Straßen sind in Israel in der Regel dreisprachig ausgeschildert: Hebräisch, Arabisch und Englisch.

Wohl niemand hätte vor 160 Jahren zu träumen gewagt, dass es einmal einen Staat geben würde, in dem die Bürger ihre Fahrkarten auf Hebräisch kaufen oder Bankgeschäfte in dieser Sprache erledigen würden. Dass es einmal Menschen gäbe, die Hebräisch allen anderen Sprachen vorzögen und denen diese sogar als Muttersprache diene. Dass es Popmusik auf Hebräisch geben würde oder sich in dieser Sprache flirten ließe. Immerhin wurde Hebräisch seit dem dritten Jahrhundert fast ausschließlich als Sakralsprache in den Synagogen und für die Abfassung philosophischer, poetischer, medizinischer und juristischer Texte verwendet.

Doch das Jahr 1858 markiert einen Wendepunkt: Am 21. Tevet 5618, dem 7. Januar, kam Elieser Ben-Jehuda im Russischen Kaiserreich zur Welt. Er sollte zum Wiederbeleber der hebräischen Sprache werden. In Israel wird deshalb bis heute jährlich der 21. Tevet als „Tag der hebräischen Sprache“ gefeiert. Der promovierte Linguist und Moderator Avschalom Kor stellt im israelischen Fernsehen fest: „Die ‚tote‘ Sprache Hebräisch hat immer gelebt. Aber dieser großartige Mann hat die Sprache zurück auf die Straße gebracht. Er hat eine Zeitung gegründet und ein Wörterbuch geschrieben. Nach 1.700 Jahren sind wir zu unserer Sprache zurückgekehrt, und erst die machte den Weg frei für die zionistische Bewegung.“

Sprachprofi Kor ist dafür bekannt, die grammatikalische Wurzel jedes hebräischen Wortes aus dem Stegreif zu erkennen, das zugrundeliegende biblische Wort und dessen Kontext zu beleuchten. Darin ähnelt er Ben-Jehuda: Dieser erweckte Begriffe aus Bibel und Talmud zu neuem Leben, deutete sie um oder erfand völlig neue Ausdrücke.

Zwei Amtssprachen in Israel

Auch wenn sie nicht per Gesetz festgelegt sind: Heute gibt es im jüdischen Staat die Amtssprachen Hebräisch und Arabisch. Amtliche Mitteilungen werden in beiden Sprachen herausgegeben, und auch wenn in der Knesset, dem Parlamentsgebäude, alle Abgeordneten Hebräisch sprechen, ist es erlaubt, Reden auf Arabisch zu halten. Das israelische Schulsystem ist getrennt: So findet an Schulen, auf denen Juden lernen, der Unterricht auf Hebräisch statt, für Araber auf Arabisch.

Hebräisch und Arabisch sind als semitische Sprachen eng miteinander verwandt. Sie haben jeweils ein eigenes Schriftsystem, werden aber beide von rechts nach links geschrieben und haben die Eigenschaft, dass sich fast jedes Wort auf drei Grund-Konsonanten zurückführen lässt. Dass sich Hebräisch als Sprache und Amtssprache durchgesetzt hat, ist keineswegs selbstverständlich. Ende des 19. Jahrhunderts stritten sich Juden über die geeignete Sprache, die künftig in „Eretz Israel“ gesprochen werden sollte. Viele Zionisten aus Europa sprachen sich für Deutsch aus, weil es vielen als Sprache der Gelehrsamkeit galt.

Doch die Befürworter des Hebräischen setzten sich gegen alle Widerstände durch. Und dass Hebräisch zu einem Teil des täglichen Lebens wurde, ist vor allem Ben-Jehuda zu verdanken. Im Jahr 1890 schuf er den „Rat der hebräischen Sprache“. 1921 erkannten schließlich die Briten Hebräisch neben Englisch und Arabisch als offizielle Sprache für das Mandatsgebiet Palästina an. Auf Beschluss der israelischen Regierung wurde 1953 aus dem Rat die „Akademie für die hebräische Sprache“ gegründet, die sich bis heute für den Erhalt der hebräischen Sprache einsetzt. Regelmäßig veröffentlicht sie Listen mit neuen hebräischen Wörtern, die sich allerdings nicht immer in der gesprochenen Sprache durchsetzen.

Englisch auch heute von Bedeutung

Auch wenn Englisch seit der Staatsgründung Israels 1948 nicht mehr als Amtssprache gilt, im amtlichen Gebrauch ist es trotzdem noch wichtig, etwa wenn sich öffentliche Verlautbarungen an internationale Medien wenden. Auch im Alltag spielt Englisch weiterhin eine wichtige Rolle.

Das wird spätestens dann deutlich, wenn die vielen amerikanischen Juden Jerusalems und Tel Avivs Innenstädte überfluten, sich lautstark in Bussen unterhalten und sich Israelis dann demonstrativ Kopfhörer auf die Ohren setzen. Oder wenn ein Student der Politikwissenschaft mit Hebräisch als Muttersprache fest davon überzeugt ist, dass auch Englisch in Israel Amtssprache ist. Und sich erst durch einen Blick ins Internet vom Gegenteil überzeugen lässt. Natürlich ist Englisch auch die Sprache der Wissenschaft, sodass die meisten Konferenzen auf Englisch stattfinden und Forschungsergebnisse auf Englisch veröffentlicht werden, selbst solche, die jüdische Themen zum Gegenstand haben. Und letztlich sind vor allem Straßen in der Regel dreisprachig ausgeschildert.

Bunte Bevölkerung

Die Vielfalt der israelischen Bevölkerung wird unter anderem durch die Vielzahl der Sprachen deutlich, die im Land gesprochen werden: Laut einer Erhebung des Zentralen Statistikamts aus dem Jahr 2013 werden in Israel mehr als 30 Sprachen gesprochen. Für knapp die Hälfte der Bevölkerung Israels ist bei den über 20-­Jährigen Hebräisch die Muttersprache, für knapp ein Fünftel Arabisch. Mit etwa 15 Prozent, die Russisch als Muttersprache haben, ist Israel außerhalb der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland und den USA das Land, in dem die meisten russischsprachigen Menschen wohnen. Das Statistikbüro zählt weitere zwei Prozent Jiddisch-Muttersprachler. Etwas weniger Einwohner sprechen Französisch und Englisch. Die 125.500 Äthiopier, die überwiegend Amharisch sprechen, sind in der Studie nicht extra aufgezählt. Ebensowenig werden Spanisch und Persisch erwähnt oder Neuaramäisch, das von den betroffenen Juden selbst häufig fälschlicherweise als Kurdisch bezeichnet wird.

Eine Statistik zeigt, dass von den 2015 in Israel veröffentlichten 7.646 Büchern fast 84 Prozent auf Hebräisch herausgegeben wurden. 5,1 Prozent wurden in Englisch publiziert, 3,2 Prozent in Arabisch und 2,8 Prozent in Russisch. Der Rest war zweisprachig oder in anderen Sprachen veröffentlicht. Etwa 60 Prozent der israelischen Araber können sich gut auf Hebräisch verständigen. Umgekehrt sprechen jedoch nur wenige jüdische Israelis gut Arabisch. Und das, obwohl vor allem unter jungen Israelis als „hipp“ gilt, wer Arabisch spricht. Auch stammt ein großer Teil der Israelis von Juden ab, die nach 1948 aus arabischen Ländern in den jüdischen Staat eingewandert sind.

Kor ist überzeugt: „Arabisch ist keine fremde Sprache, sie ist ein Teil unseres Lebens hier. Eigentlich sollten wir alle auch Arabisch sprechen. Ich würde es begrüßen, wenn in allen Schulen Arabisch zum Pflichtfach gemacht würde. Arabisch ist wie schwimmen oder Autofahren lernen. Das sollte einfach jeder können.“ Neueinwanderer und arabische Israelis lernen in den sogenannten Ulpanim Hebräisch. Diese haben sich den logischen Aufbau der semitischen Sprache zunutze gemacht und ein System entwickelt, das es Anfängern ermöglicht, in wenigen Monaten passabel Hebräisch zu sprechen.

Wenn Israelis bei ihrem Gesprächspartner einen Akzent ausmachen, führt das häufig zu wissbegierigen Fragen nach der Herkunft. Sobald das aber geklärt ist, sind sie tolerant: Immerhin ist Israel ein Einwanderungsland. Die sogenannte Gründergeneration, große Politiker wie David Ben-Gurion, Golda Meir oder Schimon Peres, oft auch die eigenen Großeltern – alle hatten einen Akzent. Bis heute gibt es Neueinwanderer, die zu Parlamentariern gewählt oder als Pressesprecher eingesetzt werden. Und niemand scheint sich daran zu stören.

4.000 Jahre zurück

Kor macht noch eine überraschende Beobachtung: „Vor 4.000 Jahren schrieb man nicht, sondern malte Bilder. Heute sind wir zu den Bildern zurückgekehrt.“ Er macht eine Handbewegung, die das Tippen auf dem Smartphone andeutet. Kor erklärt weiter: „Dabei ist unsere Sprache sehr reich und bietet so viele Möglichkeiten, Dinge auszudrücken. Durch den logischen Aufbau lässt sie sich auch immer weiterentwickeln.“ Der Linguist beobachtet weiter: „Wir sollten wieder mehr hebräisch denken. Der Fehler, den viele begehen, ist, dass sie ihren Gedanken englische Redewendungen zugrunde legen und diese dann ins Hebräische übersetzen. Dabei gibt es keinen Grund dazu, weil sich auch komplizierte Sachverhalte hebräisch denken und ausdrücken lassen.“

Das hebräische Wort für Mobiltelefon heißt übrigens Pele-fon. Pele heißt Wunder und wenn die Israelis mit ihrem Handy unterwegs sind, sprechen sie permanent mit ihrem Wunder-Fon. Was Ben-Jehuda wohl zu diesem Gerät gesagt hätte? Zumindest über dessen Bezeichnung hätte er sich wohl gefreut.

Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe 1/2018 des Israelnetz Magazins. Sie können die Zeitschrift kostenlos und unverbindlich bestellen unter der Telefonnummer 06441/915152, via E-Mail an info@israelnetz.com oder online.

Die neue Ausgabe 2/18 befasst sich mit dem 70-jährigen Bestehen des Staates Israel. Von diesem besonderen Themenheft können Sie gerne zusätzliche Exemplare zum Verteilen bestellen.

Von: mh

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