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Von Flaggentanz, Raketen und antiken Gräbern

Der Jerusalem-Tag erinnert an die Vereinigung der Stadt nach dem Sechs-Tage-Krieg. Jugendliche feiern mit Fahnen und einer Parade. Für Erwachsene gibt es Führungen, die sich mit der Identität der jüdischen Hauptstadt beschäftigen.
Um die Einheit Jerusalems zu feiern, kommen Tausende von Jugendlichen zum Singen und Tanzen nach Jerusalem

JERUSALEM (inn) – Seit 1968 gedenkt Israel am Jom Jeruschalajim, dem Jerusalem-Tag, der Vereinigung Jerusalems nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967. Damals, vor 54 Jahren, eroberte Israel den Ostteil Jerusalems und damit auch seine historischen heiligen Stätten wie die Klagemauer.

In den 19 vorangegangenen Jahren hatten Juden keinen Zugang zu diesem Teil der Stadt. Daher ist die Freude über die Wiedervereinigung umso größer. Obwohl das Fest keinen religiösen Bezug hat, rufen sich viele Israelis den traditionellen Festgruß „chag sameach“ zu.

Mit Flaggen und Tänzen von West nach Ost

In den Nachmittagsstunden des 28. Ijar im jüdischen Kalender führt der traditionelle Flaggenmarsch vom Westen der Stadt in die östliche Altstadt. In den ersten Jahren nach 1967 war der Rabbiner Jehuda Zwi Kook mit seinen Schülern singend und tanzend durch die Jaffastraße im Westen zur Klagemauer gezogen.

1974 hatte Jehuda Chasani, ein Schüler Kooks, die Tradition eingeführt, die Route der Oberschüler mit einem Schülerorchester zu begleiten. Bis heute machen Tausende von Schülern den größten Teil der Teilnehmer des Marsches aus. Jeweils in Gruppen der Schulen organisiert, singen sie Lieder, die Jerusalem oder den Glauben an Gott zum Thema haben.

Nachdem der Marsch im vergangenen Jahr pandemiebedingt ausgefallen war, konnte er in diesem Jahr wieder stattfinden. Die israelische Tageszeitung „Ha’aretz“ hatte wenige Stunden vor dem Marsch getitelt: „Der Flaggenmarsch schadet und ist in jedem Jahr überflüssig, doch in diesem Jahr ist er brandgefährlich“. Die Stimmung im Jerusalem der vergangenen Tage ist aufgeheizt. Allabendlich dokumentieren Fotojournalisten das Geschehen anlässlich des Ramadans rund um das Damaskustor. Dass die Route in diesem Jahr nicht auf den Tempelberg führen würde, stand daher schon einige Tage zuvor fest.

Die Hoffnung, dass der Marsch durch das Damaskustor und das muslimische Viertel führen würde, blieb bei den Teilnehmern dennoch bestehen. Erst um 16 Uhr, eine Stunde vor Beginn des Marsches, titelten israelische Medien, dass die Route angepasst worden sei. Der Stimmung der aus dem ganzen Land angereisten Schüler Dutzender religiöser Oberschulen tat das keinen Abbruch. Mit Tanz, Musik und Gesang versammelten sie sich auf dem Paris-Platz, um durch das Mamilla-Viertel, über die Agron-Straße und die König-Salomo-Straße zum Zahal-Platz zu laufen, der die Neustadt von der Altstadt trennt. Zum Höhepunkt, dem Einzug durch das Jaffator in die Altstadt und von dort an die Klagemauer, kam es nicht mehr.

Unmittelbar nach den Raketeneinschlägen tanzten die Jugendlichen weiter, doch nur wenige Minuten später wurde der Marsch abgebrochen Foto: Israelnetz/mh
Unmittelbar nach den Raketeneinschlägen tanzten die Jugendlichen weiter, doch nur wenige Minuten später wurde der Marsch abgebrochen
Das „Felsengrab des Zacharias“ stammt vermutlich aus der Zeit um 50 vor Christus Foto: Israelnetz/mh
Das „Felsengrab des Zacharias“ stammt vermutlich aus der Zeit um 50 vor Christus
Angrenzend an den Unabhängigkeitspark sind bis heute muslimische Gräber aus der osmanischen Zeit erhalten Foto: Israelnetz/mh
Angrenzend an den Unabhängigkeitspark sind bis heute muslimische Gräber aus der osmanischen Zeit erhalten

Raketeneinschläge in Jerusalem zu hören

Inmitten der Gesänge ist gegen 18 Uhr eine Sirene zu hören. Es dauert wenige Sekunden, bis sich der Ruf „Tilim, Raketen!“ in der Menge der Teilnehmer ausbreitet. Die offensichtlich überraschten Sicherheitskräfte, die den Marsch am Rand sichern, rufen dazu auf, sich in Sicherheit zu bringen. Viele Schüler bleiben im Pulk auf der Straße, andere rennen von der Agron-Straße in den angrenzenden Unabhängigkeits-Park, um sich flach auf den Boden zu legen. Drei Einschläge sind deutlich zu hören. Ein Jugendlicher ruft seinem Freund aufgeregt zu: „Hörst du die Einschläge? VIER! FÜNF!“

Insgesamt schlagen sieben Raketen der Hamas in den westlichen Hügeln von Jerusalem ein, eine Warn-App zeigt auf den Smartphones die Orte der Einschläge, darunter Kiriat Anavim, Givat Jearim und Abu Gosch. Verletzte gibt es keine und mehrere Raketen konnten vom Abwehrsystem „Eisenkuppel“ abgewehrt werden. Direkt nach dem Verstummen der Sirene geben Polizisten Entwarnung: „Es ist alles in Ordnung. Ihr könnt wieder aufstehen.“ Die Jugendlichen zeigen sich nur kurz irritiert und fangen unmittelbar an, die bekannten Siegesworte zu singen: „Am Israel chai, das Volk Israel lebt.“ Andere singen von der Schönheit Jerusalems, nur an einer Stelle tanzen Jungen zu den Worten „Muhammad ist tot“.

Marsch nach Angriffen abgebrochen

Die Jugendlichen ziehen singend weiter und noch bevor die Nachricht alle Teilnehmer des Marsches erreicht, melden israelische Medien, dass der Marsch abgebrochen wird. Die Teilnehmer werden über Lautsprecher gebeten, zu ihren Bussen zurückzukehren. Vereinzelt sind Rufe zu hören, ob man nicht zur Klagemauer gehen wolle. Doch ein solcher Besuch ist nur Einzelnen gestattet. Die Polizei riegelt die Straßen ab, sodass der Zug in mehrere Gruppen geteilt wird. Die Schüler singen weiter und langsam lösen sich die einzelnen Knotenpunkte auf.

Wenige Minuten, bevor die Raketen der Hamas fliegen und für den Abbruch des Marsches sorgen, sagt ein Beobachter über die singenden Jugendlichen schwärmerisch: „Schau, diese nationalreligiösen Jugendlichen stellen unsere Zukunft dar. Sie sind intelligent und optimistisch. Sie sind bereit, sich für unsere Gesellschaft einzusetzen und gehen zur Armee. Wie schade, dass es nur die Nationalreligiösen sind, die diesen Tag feiern und nicht etwa auch der säkulare Teil der Gesellschaft.“

Selbiger Beobachter geht nach dem Marsch zur Klagemauer und berichtet später von einem brennenden Baum. Seine Begleiterin sagt: „Auf dem Tempelberg haben Muslime nach dem Fastenbrechen Feuerwerkskörper geworfen.“ Er ergänzt: „So dicht liegt die Freude der Juden und der Ärger der Muslime über das geeinte Jerusalem beieinander!“

Vorträge zur Erinnerung

Neben Privatinitiativen gibt es zahlreiche offizielle Veranstaltungen. So bietet das Bildungsinstitut Jad Ben Zvi in diesem Jahr 180 Führungen für Interessierte aus dem ganzen Land an. Gegen eine Schutzgebühr von umgerechnet 2,50 Euro können Besucher über die Geschichte der Stadt lernen. Oder über historische Entwicklungen und Bräuche der Stadtviertel und ihrer Gründer. Ein Tourguide führt durch das Kidrontal und erklärt den Besuchern die Hintergründe der jüdischen Gräber.

Während die Touren von Jad Ben Zvi sich vor allem mit jüdischen Inhalten beschäftigen, möchte die Nichtregierungsorganisation „Emek Schaveh“ durch archäologische Touren über das kulturelle Erbe „aller Gemeinschaften, Glaubensrichtungen und Völker“ informieren. Jonathan Misrachi, Archäologe und Geschäftsführer der Organisation, führt unter anderem durch den Unabhängigkeitspark, dort, wo die Jugendlichen vor den Raketen Zuflucht suchen. An den Park grenzen diverse muslimische Gräber, die zwischen dem 12. und 19. Jahrhundert entstanden sind.

Misrachi ist überzeugt: „Wenn wir die Archäologie der Orte kennen, an denen wir uns bewegen, bekommen wir ein tieferes Verständnis für unsere Wurzeln. Das schließt die Beschäftigung anderer Religionen mit ein.“ Das moderne Jerusalem sei nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern habe eine umfangreiche Geschichte, die durch verschiedene Religionen und Kulturen geprägt worden sei.

Von: mh

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