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„Vielleicht ist die Welt verrückt”

BERLIN / TEL AVIV (inn) – Die in Tel Aviv lebende Comic-Zeichnerin Rutu Modan zählt zu den populärsten ihrer Branche. Gefeiert wird sie vor allem für ihren humorvollen Umgang mit den politischen Umständen in ihrer Heimat Israel. Bei einem Auftritt in Berlin berichtete sie vom Leben in der grotesken Realität des Krieges.
Rutu Modan hat in Berlin ihr Comic "Das Erbe" vorgestellt.

In „Exit Wounds” erzählt Modan die Geschichte eines Mannes, der sich auf die Suche nach der wahren Identität seines Vaters macht, nachdem dieser bei einem Selbstmordattentat umgekommen sein soll. „Das Erbe” dreht sich um eine Holocaust-Überlebende, die in Polen nach ihrer im Krieg verlorenen Liebe sucht. Beide Geschichten sind typisch für Modans Art, zu erzählen. Immer ist jüdische Geschichte – vom Massenmord durch die Nazis bis zum Geschehen im heutigen Israel – ein tragender Baustein der Handlung. Niemals aber ihr Zentrum. Dabei kommt sie ganz unpolitisch daher und ist in ihren Botschaften deshalb umso vehementer. „Ich hatte nie das Gefühl, meine politische Meinung in der Öffentlichkeit sagen zu müssen”, erklärt Modan am Montagabend im Berliner Tagesspiegel-Haus. Und tut es dann doch.
Etwa dass sie gegen die Art des Holocaust-Gedenkens in Israel ist. Junge Menschen fliegen im Rahmen von Schulausflügen zum Beispiel nach Polen, um das ehemalige Warschauer Ghetto zu sehen. „Sie reisen von Gedenkstätte zu Gedenkstätte – und sehen nichts vom restlichen Land“, kritisiert Modan. Stattdessen würden sie zu Patrioten herangezogen, denen eingetrichtert werde, Israel sei das einzige Land für die Juden, um das man im Zweifel eben auch als Soldat kämpfen müsse. Ihre Kritik gegenüber solchem „Gedenkstätten-Tourismus“ äußert Modan auch im Comic „Das Erbe“. Als die Protagonisten in einer Anfangsszene von Israel nach Polen fliegen, zeigt die Zeichnerin sie im Flugzeug zusammen mit einer Schulklasse. „Okay, Montag Treblinka, Dienstag Majdanek, inklusive Gaskammern …“, fasst der Lehrer die Reiseroute zusammen, während eine Schülerin das mit „Jippie“ kommentiert. „Majdanek steckt Auschwitz in die Tasche. Ist viel grausiger“, sagt der Lehrer. Dann wendet er sich seiner Sitznachbarin zu und deutet auf ihr unangetastetes Essen. Wenn sie es nicht mehr wolle, könne er dann ihr Brötchen bekommen?

Das Leid wird zum Nebenschauplatz

Es ist diese Art tragischer Komik, die Modan berühmt gemacht hat. „Selbst in den düstersten Momenten geschieht Lustiges“, sagt sie bei der Buchvorstellung in Berlin. Das erkennt sie auch in ihrem eigenen Leben, selbst wenn sie als Israelin tagtäglich mit Gewalt und Krieg konfrontiert sei. Sie erinnert sich an einen Morgen, an dem sie ihre Tochter vom Kindergarten abholen wollte. Eine Bekannte stoppte sie mit den Worten: „Hast du von dem Selbstmordattentat gehört …“ Doch Modan hielt kaum inne: „Tut mir Leid, ich muss zum Kindergarten.“ Erst im Nachhinein sei ihr bewusst geworden, wie normal Grausamkeiten im israelischen Alltag sind. „Ich dachte nur: Ich bin verrückt. Oder vielleicht ist die Welt verrückt.“ Die meiste Zeit denke sie mehr darüber nach, was sie sich zum Abend- oder Mittagessen koche als über politische Dinge. Auch das sei israelische Realität. Das Leid wird zum Nebenschauplatz – wie in Modans Comics.
Schon als Kind bekam sie das zu spüren. Ihre Eltern arbeiteten als Ärzte in einem Krankenhaus nahe Tel Aviv. Ganz natürlich lebte Modan zwischen Krankenhausbetten und Weißkitteln. Sie war ein kleines Mädchen, als 1973 der Jom-Kippur-Krieg ausbrach. „Während ich gespielt habe, konnte ich die Hubschrauber beobachten, die die verletzten Soldaten brachten“, sagt sie.
Modans Stil ähnelt dem des Belgiers und „Tim und Struppi“-Erfinders Hergé. Dabei arbeitet die Künstlerin mit Modellen. Jede Szene, die sie zeichnet, stellen Schauspieler zuvor nach. Es werden Fotos gemacht, die Modan anschließend in Zeichnungen umarbeitet. Früher habe sie grotesker und abstrakter gezeichnet. Aber dann habe sie bemerkt, dass das Leben schon grotesk genug sei – und sich fortan realistischeren Zeichnungen gewidmet.
Eine Rezension zum Comic „Das Erbe“ lesen Sie hier: http://www.israelnetz.com/kultur/detailansicht/aktuell/holocaustgedenken-im-comic-komische-tragik/#.UlQ8T2RJU34

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