Suche
Close this search box.

Verzweiflungsdiplomatie

Was von europäischer Friedenssehnsucht als Hoffnungsschimmer für einen Nahost-Friedensprozess gedeutet wird, ist bei näherem Hinsehen oftmals nicht mehr als pure Verzweiflungsdiplomatie. Dabei werden die Diplomaten und Politiker von allem Möglichen zu ihrem Handeln motiviert – nur eben nicht von der realen Aussicht auf einen greifbaren Erfolg ihrer Friedensbemühungen.

Was alle Beteiligten an den jüngsten Friedensinitiativen im Nahen Osten miteinander verbindet, ist ihre Popularität, beziehungsweise ein akuter Mangel an derselben. George Bush hat jüngsten Umfragen zufolge weniger als 40 Prozent der amerikanischen Wähler hinter sich. Ehud Olmert würde mit seiner Kadima-Partei heute kaum ein Drittel der Knessetsitze bekommen, die er tatsächlich innehat. Mahmud Abbas‘ Fatah ist auf dem Wege der Islamisierung und die ihr entsprungenen Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden sind in ihrer Verhaltensweise gegenüber Israel kaum mehr von der so genannten „radikalen“ Hamas unterscheidbar. Dabei hängt über Abbas – und das verbindet ihn mit dem ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak – das Damoklesschwert eines schiitisch-islamistischen Halbmondes, der sich von Teheran über Damaskus und den Libanon bis hinein in die Palästinensergebiete erstreckt. Sein Ruf nach Neuwahlen in der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) wurde in der Welt freudig aufgenommen – und verhallte wirkungslos im Chaos der palästinensischen Realität.

Der Knessetabgeordnete Effi Eitam (Nationale Union) subsumierte den ersten Tag des Nahostbesuchs von US-Außenministerin Condoleezza Rice mit ironischem Bedauern: „Jetzt wurden ihr schon fünf verschiedene Friedenspläne von israelischen Politikern unterbreitet – und Ehud Olmert hat sie dabei noch gar nicht getroffen.“ Unter den Neuheiten, die der afroamerikanischen Akademikerin von israelischen Politikern präsentiert wurden, sind so originelle Vorschläge, wie der von Avigdor Lieberman, der nach dem „unausweichlichen israelischen Einmarsch im Gazastreifen“ dort 30.000 Nato-Soldaten stationieren will. Spöttisch bezeichneten Kommentatoren diesen Vorschlag als so blauäugig wie die dänischen Soldaten, die dann mit den Banden im Gazastreifen fertig werden sollen.

Rice selbst hat kein neues Konzept zu bieten, sondern betont gebetsmühlenartig, dass die Roadmap der einzige Fahrplan zum Frieden sei. Und das nicht etwa, weil seine Funktionsfähigkeit rational nachvollziehbar wäre, sondern einfach, weil sie von allen Seiten anerkannt ist. Selbst der ägyptische Präsident Mubarak wagt dem zu widersprechen, die Roadmap für tot zu erklären und einen eigenen, bislang kaum greifbaren Friedensplan entgegenzusetzen. Das Problem ist außerdem, dass gemäßigte arabische Politiker in den Augen der eigenen Bevölkerung immer weiter in den Verdacht der Kollaboration geraten, je mehr sich das westliche Ausland darum bemüht, ihnen den Rücken zu stärken. Jede Umarmung eines ausländischen Politikers kann sich nur zu schnell als (im besten Falle politischer) Todeskuss erweisen.

Wöchentlich müssen Nahostkorrespondenten einen bevorstehenden Durchbruch zu einer palästinensischen Einheitsregierung kommentieren – bevor die Jubeltöne dann wieder vom Geknatter der automatischen Waffen erstickt werden. Bei Gesprächen mit europäischen wie palästinensischen und israelischen Entscheidungsträgern wird die Aussichtslosigkeit der Lage schnell deutlich. Sie sind sich über alle politischen, kulturellen, religiösen und nationalen Gräben hinweg einig: Welche Alternative haben wir denn?

Ja, welche Alternative haben Nahostpolitiker? – Vielleicht wäre es um der beteiligten und leidenden Menschen im Nahen Osten willen zuerst einmal am besten, die Tatsache einzugestehen, die auf den Straßen in Tel Aviv und Ramallah, in Gaza und Jerusalem längst allgegenwärtig ist: Es gibt keine Lösung. Es gibt keinen Ausweg aus der Misere. Was Philosophen bewunderungswert macht, lässt Politiker unwählbar werden, wenn sie nämlich zugeben, nichts zu wissen. Der Vorteil wäre allerdings, dass das nicht nur ehrlich wäre, sondern vor neuen unrealistischen Erwartungen bewahren würde, denen erfahrungsgemäß nur ein noch schlimmerer Ausnüchterungskater folgt.

Vielleicht wäre auch hilfreich, wenn das Ausland den Aktivisten, die ganz offensichtlich vom israelisch-palästinensischen Konflikt profitieren, zeigte, wie irrelevant sie eigentlich sind. Die seit Jahresbeginn schon wieder so oft wiederholte Formel „der israelisch-palästinensische Konflikt ist das Grundproblem aller Nöte des Nahen Ostens“ gibt denen, die ein Interesse an der Auseinandersetzung haben, Auftrieb. Sie beweist ihre Bedeutung und hebt im Basar der Orientpolitik den Preis. Möglicherweise rückte eine Lösung in greifbare Nähe, wenn Politiker und Medien einmal ihr Desinteresse an dem Konflikt ausdrücklich unter Beweis stellten.

Vielleicht ist es aber gerade die Lösungsversessenheit, die dem israelisch-palästinensischen Dauerkrieg seinen Marktwert verleiht. Was würde passieren, wenn alle, von Jimmy Carter bis George Bush, von Hosni Mubarak bis Vladimir Putin aus eigener Erfahrung einmal bezeugten, dass es sich eigentlich auch mit ungelösten Problemen ganz gut leben lässt. Angela Merkel könnte da beispielsweise erklären, dass Deutschlands letzter Friedensvertrag in Versailles abgeschlossen wurde und jeder Gedanke eines „Land-für-Frieden-Vertrages“ im Falle Deutschlands Panik auslöst. Wir leben als Deutsche eigentlich auch ganz gut ohne Friedensvertrag mit unseren Nachbarn.

Bitte beachten Sie unsere Kommentar-Richtlinien

Schreiben Sie einen Kommentar

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

Israelnetz-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen