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Verkaufsflaute in Jerusalems Altstadt

„Misstrauen Sie Ihrem Reiseleiter! Dem geht’s nur ums Geld!“ Das ist die Grundbotschaft eines Flugblattes, das in der Altstadt von Jerusalem an Touristen verteilt wird. Die „Association of Holy Land Merchants of Handicrafts and Souvenirs East Jerusalem“ (Vereinigung von Heilig-Land-Verkäufern von Handarbeiten und Souvenirs Ostjerusalem) warnt davor, dass die Tourguides die Ängste der ihnen anvertrauten Ausländer ausnutzen und daraus finanziellen Gewinn schlagen.

Acht Mal ist das Wort „TOUR GUIDE“ (sic) mit Großbuchstaben im Text hervorgehoben, womit eigentlich klar sein sollte, wer „die Bösen“ sind. Bis zu 35 Prozent Provision sollen sie in die eigene Tasche stecken, wenn sie ihre Reisegruppen in bestimmte Geschäfte schleppen. Dafür bezahlen die gutgläubigen Pilger dann laut Heilig-Land-Verkäufer-Vereinigung mindestens das Doppelte im Vergleich zu den normalen Geschäften in der Altstadt.

Hassan Oude sitzt seit 1960 in seinem Souvenirladen „Akropolis“ in der Christian Quarter Road No. 19. Sein ganzes Leben lang hat er Kettchen und Ikonen, Olivenholzkrippen, siebenarmige Leuchter, arabische Kopftücher und jüdische Jarmulken verkauft. „Gestern sind mehr als 15 Reisegruppen vor meinem Geschäft vorbeigekommen, aber kein einziger Tourist hat bei mir hereingeschaut“, klagt er. „No time, no time, no time! sagen alle und hasten weiter ihrem Tourguide nach.“

Dann erzählt Hassan von den katastrophalen Auswirkungen der Intifadajahre für die kleinen Händler im Jerusalemer Souk. „Jetzt kommen zwar wieder Touristen“, meint er, „aber die Lage hat sich nicht verbessert. Mein Bruder hat ein Geschäft neben dem Casanova-Hotel. Er hat Schulden von 52.000 Schekel bei der Stadtverwaltung. Aber er weiß nicht, wie er seine Arnona (Stadtsteuer) bezahlen soll. Und dann gibt es noch die Stromrechnung und vor allem die Einkommenssteuer. Das Finanzamt glaubt uns nicht, dass wir nichts verdienen.“

Die Not macht die Straßenhändler erfinderisch und aufdringlich. Sie bieten potentiellen Kunden Tee und Kaffee an oder bemühen alle möglichen und unmöglichen Tricks, um Touristen in ihre Läden zu locken. „Write in your language“ – „Schreib’ mir in deiner Sprache“ ist ein berühmter Angelhaken für Touristen. Aber kürzlich ist selbst Muhammad, der als „Mike“ bekannte „King of the Trick for the Tourists“, auf die Schnauze gefallen. Da meinte ein Passant: „Lass mich in Ruh’. Du probierst das jetzt zum dritten Mal bei mir.“

Hassan Oude findet es peinlich, den Touristen auf der Straße nachzulaufen. Vor vielen Generationen ist seine Familie aus dem heute jordanischen Wadi Musa über Bethlehem nach Jerusalem gekommen. Jetzt sitzt der Vater von sechs Kindern, der mittlerweile auch auf zwei Enkel stolz sein darf, deprimiert in seinem dunklen Kabuff. Gedankenverloren zieht er an einer Zigarette und erinnert sich an alte Zeiten.

„Als ich 25 oder 26 Jahre alt war, lief das Geschäft gut. Damals kamen zwei junge Italiener in den Laden, ein Junge und ein Mädchen. Ich habe gleich gemerkt, dass es zwischen den beiden gefunkt hat“, lächelt Hassan verschmitzt, „aber sie waren noch nicht zusammen.“

Er lebt richtig auf, während er erzählt, wie die beiden sich dann vor seinen Augen gestritten haben. Der Junge wollte dem Mädchen einen Anhänger mit einem blauen Stein schenken. Das Mädchen wollte sich mit Manschettenknöpfen revanchieren. Aber keiner der beiden wollte das Geschenk vom anderen annehmen. „Sie stritten sich auf Italienisch und dachten, ich verstehe sie nicht“, grinst Hassan, der außer in Englisch auch ganz gut auf Deutsch, Griechisch, Spanisch und Hebräisch zurechtkommt. „Schließlich sind sie dann gegangen, ohne etwas zu kaufen.“

„Ein paar Stunden später kam der Junge wieder vorbei, alleine. Ich habe ihn in mein Geschäft gezogen und ihm erzählt, das Mädchen sei noch einmal hier gewesen und habe die Manschettenknöpfe gekauft“, spinnt Hassan seine Geschichte weiter. „Da hat er ganz schnell den Anhänger mit dem blauen Stein gekauft. Als dann am nächsten Morgen die Italienerin mit zwei älteren Frauen vorbeilief, musste ich sie gar nicht anlügen, als ich ihr erzählt habe, dass der junge Mann den Anhänger für sie gekauft hat“, lacht er gewitzt.

„Am Tag darauf ist dann der Junge noch einmal gekommen und wollte auch noch eine Kette zum Anhänger. Da habe ich ihm erzählt, dass das alles mein Trick gewesen sei“, berichtet Hassan Oude. „Du glaubst nicht, wie glücklich der Junge war. Er ist mir um den Hals gefallen und hat sich bei mir dafür bedankt, dass ich das Eis zwischen den beiden gebrochen hätte.“

Hassan ist ins Erzählen gekommen und hat das Flugblatt vergessen. Wir schlürfen den schwarzen arabischen Kaffee, der zu jeder Begegnung gehört. Die Geschichten nehmen kein Ende. Er erzählt, wie 1967 die Israelis die Altstadt erobert haben. Aber irgendwie haben’s ihm die Italiener angetan. „Da war noch der Teenager, der seine Großmutter durch den Souk schleppte und mir erklärte, sie könne kein Englisch. Deshalb müsse er vermitteln. Nachdem die Großmutter dann eingekauft hatte, ist er später noch einmal vorbeigekommen und hat sich die zuvor vereinbarte Provision von sechs Dollar abgeholt.“

Das Telefon klingelt. Die Mobiltelefongesellschaft Orange meldet sich und hat Fragen. Sie hat Hassan das Handy abgestellt. Ein befreundeter Rechtsanwalt aus Tel Aviv hat sich für ihn eingesetzt. Während Hassan am Telefon auf Hebräisch verhandelt, wende ich mich noch einmal dem Flugblatt der „Association of Holy Land Merchants of Handicrafts and Souvenirs East Jerusalem“ zu.

Auffällig ist, dass dort das Leiden „kleiner christlicher, jüdischer und muslimischer Ladenbesitzer“ beklagt wird. Dass die Reiseleiter ausnahmslos Israelis sind, wird nirgends erwähnt. Dagegen wird betont, wie erfolgreich die israelische Polizei nicht zuletzt durch ihre Überwachungskameras die Altstadt von Jerusalem zu einem der sichersten Einkaufsorte gemacht hat.

In einer Zeit, in der jeder Durchschnittsaraber nur noch von „den Juden“ redet (wenn er eigentlich die Israelis meint), in der die Forderung, den jüdischen Staat Israel von der Landkarte zu löschen, hochaktuell ist und aus dem Gazastreifen nicht nur unablässig Raketen und Mörsergranaten fallen, sondern auch Kriegsrhetorik zu hören ist, die nichts Gutes verheißt, ist dieser schlampig kopierte Fetzen Papier auf den holprigen Altstadt-Straßen des Jerusalemer Souk ein Hoffnungsfunke in dunkler Nacht.

Ohne weiteres hätten die arabischen Händler die alten Stereotypen des Nahostkonflikts für ihre Sache bemühen können. Sie haben es nicht getan, sondern sich rein auf ihre geschäftlichen Interessen konzentriert. Sie fordern einen fairen Konkurrenzkampf im Tourismusgeschäft und haben vielleicht gar nicht so Unrecht, wenn sie meinen: „…der direkte Kontakt und die Gespräche mit den Einheimischen sollten zum Vergnügen und zu den Erfahrungen ihrer Reise gehören.“

(Foto: Johannes Gerloff)

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