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Verhandlungserfolg oder Niederlage?

Vielleicht sollte es ein endgültiger Schlussstrich unter den so genannten "Zweiten Libanonkrieg" werden, als das israelische Kabinett am letzten Juni-Sonntag einem Handel mit der libanesischen Hisbollah-Miliz zustimmte. Immerhin wird jetzt nach jahrelangem Tauziehen ein Abkommen unterzeichnet. Dafür soll Israels Unterhändler Ofer Dekel in den nächsten Tagen nach Europa reisen. BND-Mitarbeiter Gerhard Konrad, der im Auftrag der UNO vermittelt hat, wird dann das Papier nach Beirut bringen, wo es von der Hisbollah unterzeichnet werden soll. Der eigentliche Austausch soll dann unter Aufsicht des Roten Kreuzes direkt am Mittelmeer in Rosch HaNikra/Ras an-Nakura an der israelisch-libanesischen Grenze stattfinden.

Vollmundig war Israels Premierminister Ehud Olmert im Juli 2006 gegen die als „verlängerten Arm des Iran“ charakterisierte Hisbollah-Miliz in den Krieg gezogen: „Wir werden uns keiner Erpressung beugen. Wir werden um das Leben von israelischen Soldaten nicht mit Terroristen verhandeln.“ Doch die Sorge, dass das Schicksal der beiden entführten Soldaten Udi Goldwasser und Eldad Regev jetzt ebenso in den Wirren des Orient verloren gehen könnte, wie das des Luftwaffennavigators Ron Arad, hat ihn jetzt doch einknicken lassen. Ehud Olmert hat verhandelt. Man wurde sich einig. Und die Regierung hat die Einigung jetzt abgesegnet – mit 22 gegen drei Ministerstimmen.

Israel soll also die beiden am 12. Juli 2006 entführten Soldaten Regev und Goldwasser zurückbekommen. In der entscheidenden Kabinettssitzung eröffnete der Premierminister, dass die beiden Soldaten tot seien. Vermutlich kamen sie während der Entführung ums Leben oder starben kurz danach an ihren Verletzungen.

Zweitens soll Israel einen Bericht über Ron Arad erhalten, der 1986 über dem Libanon abgeschossen und von der schiitischen Amal-Miliz gefangen genommen wurde. Unmittelbar nach dem Regierungsbeschluss in Jerusalem teilte Konrad den Israelis im Auftrag der Hisbollah mit, Ron Arad sei tot. Ein ausführlicher Bericht über die Nachforschungen der Hisbollah wird folgen. Und schließlich wird Israel noch Leichenteile von Soldaten bekommen, die im Sommer 2006 gefallen sind.

Im Gegenzug entlässt der jüdische Staat den libanesischen Drusen Samir Kuntar, der 1979 in einem grausamen Anschlag fast eine ganze Familie ausgelöscht hat. Kuntar, der seine Aktion übrigens nicht für die schiitische Hisbollah sondern im Auftrag der kommunistischen Palästinensischen Befreiungsfront des Abu Abbas durchgeführt hat, ist für die Libanesen ein Symbol des Kampfes gegen Israel. Im Sommer 2006 gab Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah die Befreiung Kuntars als Kriegsgrund an.

Außer Kuntar sollen vier Hisbollah-Mitglieder, die seit 2006 in Israel gefangen gehalten werden, freikommen und die Überreste von mehreren Dutzend Leichnamen – im israelischen Kabinettskommunique ist von „Eindringlingen und Terroristen“ die Rede – darunter acht gefallene Hisbollah-Kämpfer, in den Libanon überführt werden.

Sodann hat Israel sich noch verpflichtet, einen Bericht über das Schicksal von vier iranischen Diplomaten an UN-Generalsekretär Ban Ki-Mun zu senden, die 1982 von christlichen Falangen an einer Straßensperre im Libanon verhaftet wurden und später ermordet worden sein sollen. Die Stelle, an der sie begraben sind, soll durch Bauarbeiten unkenntlich gemacht worden sein. Wenn all das über die Bühne gelaufen ist, soll Israel noch eine Reihe von Palästinensern aus israelischen Haftanstalten entlassen. Deren Anzahl und Identität bestimmt aber allein der israelische Geheimdienst.

Die Einigung, die Israel und die Hisbollah erreicht haben, hat in Israel heftige Diskussion ausgelöst, quer durch die traditionellen politischen Lager. So meinte etwa der als „Osloarchitekt“ und „Friedenstaube“ bekannte Dr. Jossi Beilin, er hätte als Minister gegen das Abkommen gestimmt.

Harte emotionale Bandagen wurden aufgefahren. Smadar Haran, die Frau, der Samir Kuntar 1979 Mann und Kinder geraubt hat, verkündete, die Regierung solle sich nicht von ihrem persönlichen Schmerz in ihrer Entscheidung beeinflussen lassen. Und Uri Schahak, der selbst acht Monate in syrischer Gefangenschaft verbracht hat und für tot erklärt worden war, dann aber doch freigelassen wurde, mahnte: „Udi und Eldad jetzt nicht zu unterstützen, könnte ihr Todesurteil sein! Ermordet sie nicht!“

Die Geheimdienstchefs Israels sprachen sich einstimmig gegen den Deal mit der Schiitenmiliz aus. Sie befürchten vor allem die langfristigen Auswirkungen der Siegesfeiern im Libanon. Den Ausschlag in der Regierungssitzung selbst gab dann aber das Plädoyer des israelischen Generalstabschefs Gabi Aschkenasi, der meinte: „Ich bin der Kommandeur aller Soldaten… der lebenden und der toten. Der Austausch muss vorgenommen werden.“ Aschkenasi erinnerte daran, dass der Grund für die legendäre Motivation seiner Soldaten das Wissen sei, dass keiner im Feld zurückgelassen werde. Jeder wird um jeden Preis nach Hause gebracht – tot oder lebendig. So waren dann auch unter den 22 Ministern, die für den Austausch stimmten, drei hochrangige Ex-Geheimdienstler: Avi Dichter, Ami Ajalon und Gideon Esra.

Die drei Gegenstimmen im Kabinett kamen von Finanzminister Roni Bar-On, Justizminister Daniel Friedman und Wohnungsbauminister Seev Boim. Sie wollten vor allem verhindern, dass Nasrallah noch mehr Profil als Fürsprecher der Palästinenser gewinnt. Außerdem befürchteten sie, dass der Preis für eine Freilassung des im Gazastreifen entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit entsprechend in die Höhe schnellen werde. So meinte Bar-On: „Wenn wir jetzt für tote Soldaten mit Samir Kuntar bezahlen, werden wir für den lebenden Gilad Schalit mit Marwan Barghouti bezahlen müssen.“ Sie hegen die Sorge, dass der Auftrieb, den dieser Erfolg dem antiisraelischen Terror geben wird, durch nichts aufzuwiegen ist.

Und dann gibt es auch noch Außenseiterstimmen, wie etwa die des Israel Law Center Schurat HaDin, das eine Petition vor dem Obersten Gericht Israels ankündigte. Schurat HaDin vertritt die Interessen der Familien von zwölf iranischen Juden, die in den 1990er Jahren den Iran über Pakistan in Richtung Israel verlassen wollten. Angeblich sollen diese Leute von iranischen Sicherheitsdiensten gefasst worden sein. In den Jahren 1994 bis 1997 verlor sich jede Spur von ihnen. Schurat HaDin fordert jetzt, dass die Informationen über die vermissten iranischen Diplomaten erst im Austausch für Informationen über die vermissten iranischen Juden herausgegeben werden.

Was bleibt nun unter dem Strich, abgesehen davon, dass die Toten begraben werden können, die Familien der Vermissten die Gewissheit ihrer Trauer haben und fünf Araber, die sich einen Namen im Kampf gegen den verhassten Judenstaat gemacht haben, zu ihren Familien zurückkehren können?

Die Hisbollah ist tatsächlich der verlängerte Arm des Iran. Die Schiitenmiliz im Libanon kann ohne das Mullahregime in Teheran nichts tun – ist aber andererseits tatsächlich ein Sprachrohr des Iran.

Zweifellos ist das Abkommen ein Sieg für die Hisbollah – und diese feiert ihn, schon bevor ihre „Helden“ aus israelischen Gefängnissen zurückgekehrt sind. Die Rechnung der Hisbollah aus dem Jahr 2006 ist aufgegangen. Samir Kuntars Bruder, Bassem Kuntar, verkündete unmittelbar nach Bekanntwerden des israelischen Regierungsbeschlusses: „Wer meinen Bruder freigesetzt hat, ist nicht die israelische Regierung, sondern die Hisbollah!“

Aus israelischer Sicht hat Ehud Olmert mit diesem Beschluss genau das getan, was er nie tun wollte, nämlich, vor einer Terrororganisation kapitulieren. Vielleicht ist es ein Trost, dass Israel immer so gehandelt hat, wenn mit Gewalt nichts mehr zu erreichen war. Und es hat schon viel höhere Preise bezahlt. Aber der bittere Nachgeschmack im Mund derer, die im zweiten Libanonkrieg ein Familienmitglied verloren haben, bleibt – und die Frage: Warum?

Und schließlich ist ganz neu offenbart worden, dass die Stärke der israelischen Armee – die Motivation ihrer Soldaten – gleichzeitig die Schwäche der Demokratie Israel ist. Durch den hohen Wert, den die israelische Gesellschaft dem Leben jedes einzigen ihrer Mitglieder zumisst, wird sie in ganz einzigartiger Weise erpressbar. Das Rückgrat der Sicherheitskräfte Israels ist die Achillessehne ihrer Politiker. Das hat Scheich Hassan Nasrallah erkannt und genial für seine Zwecke auszuspielen gewusst.

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