Unheil von Norden: Eskalation an der israelisch-libanesischen Grenze

Der letzte Maisonntag war ein heißer Tag – ganz besonders an der Nordgrenze Israels mit dem Zedernstaat Libanon. „Von Norden her wird das Unheil losbrechen über alle, die im Lande wohnen“, hatte einst Jeremia prophezeit (Jeremia 1,14) und sein Prophetenkollege Jesaja meinte: „Von Norden kommt Rauch“ (Jesaja 14,31). Ein Redakteur des staatlichen israelischen Rundfunks resümierte am späten Abend des Tages: „Das haben wir heute erlebt!“

Noch vor Tagesanbruch waren mindestens sechs Katjuscha-Raketen auf dem mit 1.208 Metern höchsten Berg Galiläas, dem Meron, eingeschlagen. Zwei der Geschosse trafen eine Basis der israelischen Armee unweit des Kabbalistenstädtchens Safed, wobei ein Soldat leicht verletzt wurde und Sachschaden entstand. Das war seit Februar des Jahres der erste Raketenangriff auf Israels Norden. Nur in diesem Falle gelang den militanten Extremisten, die den Südlibanon unter ihrer Kontrolle haben, ein empfindlicher Treffer auf israelischer Seite.

Die Antwort der israelischen Luftwaffe ließ nicht lange auf sich warten. Der „lange Arm Israels“ bombardierte am Sonntagvormittag – noch bevor sich irgendjemand zu dem Raketenbeschuss bekennen konnte – zwei Lager der radikalen marxistischen „Volksfront zur Befreiung Palästinas – Generalkommando“ (PFLP-GC) von Ahmed Dschibril, die von Syrien unterstützt wird. Bei den Angriffen nahe der Ortschaft Luci im Beka´atal, unweit der syrischen Grenze, und südlich von Beirut auf ein Waffendepot in Na´ameh wurden ein Milizionär getötet und fünf verletzt. In Luci beschossen Palästinenser die israelischen Kampfflugzeuge mit automatischen Waffen und Luftabwehrkanonen. In Na´ameh reagierte die Luftabwehr der libanesischen Armee. In beiden Fällen ohne Erfolg.

Kurze Zeit später eskalierte die gespannte Lage, zunächst in der Nähe des nordisraelischen Kibbutz Manara. Die Israelis beantworteten den Beschuss mit automatischen Waffen und Raketen mit massivem Artilleriefeuer auf Stellungen der schiitischen Hisbollah-Miliz. Bis zum Nachmittag weiteten sich die Kampfhandlungen aus, so dass praktisch entlang der gesamten Nordgrenze Israels, von Rosch HaNikra am Mittelmeer, bis zum Fuß des Hermongebirges im Osten die Explosionen zu hören waren. Die Militärführung forderte die Zivilbevölkerung Nordisraels auf, in Bunkern Schutz zu suchen. Zwei Katjuscha-Raketen landeten im Laufe des Nachmittags laut israelischem Rundfunk „so weit südlich wie noch nie“ im Westen von Galiläa.

Libanons Außenminister Fawsi Salluch verurteilte die „kriegsähnliche Aggression“ Israels. Israels Verteidigungsminister Amir Peretz konterte, man könne den Raketenbeschuss nicht ignorieren und halte die libanesische Regierung für die Angriffe von ihrem Territorium aus verantwortlich. Der israelische Regierungschef Ehud Olmert ließ nach einer Beratung mit Präsident Mosche Katzav verlauten, die israelische Reaktion sei eine ernste Warnung an alle palästinensischen Elemente im Libanon.

Der Kommandeur des Nordbereichs der israelischen Armee, Generalmajor Udi Adam, bestätigte am Abend, dass durch den Beschuss seiner Streitkräfte mindestens zwanzig Hisbollah-Stellungen vollkommen zerstört worden seien. In Richtung libanesische Armee meinte er, sie solle die Gunst der Stunde und die Schwäche der schiitischen Miliz nutzen und bis zur Südgrenze vorrücken, um so endlich die Resolution 1559 des UNO-Sicherheitsrates zu erfüllen, die im Mai 2000 den Rückzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon ermöglicht hatte.

Das dadurch entstandene Machtvakuum hatte vor sechs Jahren aber nicht die ordentliche Armee des Libanon ausgefüllt, sondern vor allem die radikale Hisbollah. In der Zwischenzeit hat der Iran diese Schiiten mit modernen Selsal-Raketen ausgestattet, die eine Reichweite von 200 Kilometern haben und praktisch alle Bevölkerungszentren Israels bis nach Tel Aviv erreichen können. Bei einer Feier zum sechsten Jahrestag des Rückzugs der israelischen Armee aus dem Libanon in der Woche vor dem heißen Maisonntag hatte sich Hisbollah-Chef Scheich Hassan Nasrallah in Beirut gebrüstet, mehr als 12.000 Raketen auf Israel gerichtet zu haben.

Wer den Katjuscha-Angriff vom frühen Sonntagmorgen initiiert hatte, war bis zum späten Abend des 28. Mai noch nicht klar. Ein Bekennerschreiben hatte das ganze Debakel zwar als Rache des Palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ) bezeichnet. Dies dementierte jedoch der höchste PIJ-Vertreter im Libanon, Abu Imad Rifai, der Aktionen seiner Organisation im Innern Israels ankündigte. Zwei Tage zuvor waren in der südlibanesischen Stadt Sidon zwei hohe Vertreter des PIJ einem Autobombenanschlag zum Opfer gefallen, den Rifai dem israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad zur Last legte.

Bei den Kampfhandlungen dieses einen Tages wurde ein weiterer israelischer Soldat verletzt. Auf libanesischer Seite gab es offensichtlich mehrere Tote, vor allem unter den Kämpfern der Hisbollah. Gegen Abend legte sich eine gespannte Stille über den Norden Israels. Die Bewohner durften ihre Schutzräume wieder verlassen, weil man in Militärkreisen davon ausging, dass die Ruhe nach der heftigen israelischen Reaktion auch im Interesse der anderen Seite liege.

Libanons Premierminister Fuad Siniora hatte nach Rücksprache mit den UNO-Friedenstruppen, der Hisbollah und den Botschaftern der USA, Frankreichs und Russlands um einen Waffenstillstand gebeten. Allerdings verkündete er auch, er erwarte weitere Kampfhandlungen, solange sich Israel nicht aus den Scheba-Farmen am Fuße des Hermon zurückziehe. Dieses zwischen Syrien und dem Libanon umstrittene Gebiet hatte Israel 1967 von den Syrern erobert. Da die Syrer mittlerweile ihren Anspruch aufgekündigt haben, möchte der Libanon die Scheba-Farmen nun von Israel haben – obwohl sie jenseits der von der UNO demarkierten Grenzen des Zedernlandes liegen.

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