Es gibt in Israel kaum gegensätzlichere Parteien als die ultra-orthodoxe Schas und die radikal-säkulare Schinui. Schas wird von einem Rabbiner-Rat geführt. Dieser hört auf den früheren sephardischen Oberrabbiner von Israel, Ovadia Joseph. Die Partei beschäftigt sich vor allem mit Erziehungsfragen und sozialen Angelegenheiten. Schinui hingegen wendet sich strikt gegen den Einfluß religiöser Parteien auf die israelische Politik. Sie fordert Wehrgerechtigkeit durch die Einberufung Ultra-Orthodoxer zum Militärdienst.
Doch jetzt wollen die beiden eingeschworenen Gegner in Haifa ein gemeinsames Projekt starten: eine Synagoge für Juden mit verschiedenen Traditionen. Konkret geht es hier um Aschkenasen und Sepharden, berichtet die Tageszeitung „Ma´ariv“. In Israel gibt es für jede der beiden Richtungen einen Oberrabbiner.
Aschkenas hieß nach biblischer Überlieferung ein Enkel von Japhet, dem Sohn Noahs (1. Mose 10,1-3). Auch ein Königreich am oberen Euphrat wurde so genannt (Jeremia 51,57). Im Mittelalter war Aschkenas die hebräische Bezeichnung für Deutschland. Heute sind Aschkenasen die Juden, deren Vorfahren aus Mittel- und Osteuropa stammen. Dort hatte sich im Laufe der Jahrhunderte eine eigene Tradition mit speziellen Riten entwickelt. Die meisten aschkenasischen Juden sprachen bis Mitte des 20. Jahrhunderts Jiddisch, das aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangen ist und hebräische sowie slawische Elemente enthält.
Sepharad ist der hebräische Name für Spanien. Als Sepharden werden die Juden bezeichnet, die 1492 aus Spanien und Portugal vertrieben wurden. Auch die sephardische Tradition hat eine eigene Sprache: Ladino. Wie das Jiddische wird es in hebräischen Buchstaben geschrieben, ist aber mit dem Spanischen verwandt.
Unterschiede zwischen den beiden Traditionen beruhen auf verschiedenen Auslegungen des babylonischen Talmuds oder auf speziellen Bräuchen. Sie betreffen die Anordnung der Gegenstände in der Synagoge, Riten zu Festtagen und die Aussprache des Hebräischen bei der Lesung aus der Torah. Beispielsweise ist beim Pessach-Fest in unterschiedlicher Weise definiert, was „gesäuert“ ist und deswegen nicht gegessen werden darf.
Das tägliche Leben wird von diesen Unterschieden im Prinzip nicht beeinflußt. Es gibt viele Mischehen zwischen Aschkenasim und Sephardim. Mehrere Synagogen in Israel werden bereits von beiden Gruppierungen genutzt. Allerdings gibt es meist getrennte Gebetsräume.
Das Motto der ungewöhnlichen Initiative in Haifa lautet: „Ein Volk, ein Gebet“. Verantwortlich ist von Schinui der stellvertretende Bürgermeister von Haifa, Zvi Dahari. Mit ihm arbeitet der Fraktionsvorsitzende der Schas in der Küstenstadt, Rav Avi Weizman, zusammen.
„Die Vereinigung von Kräften und Mitteln in der aschkenasischen und der sephardischen Öffentlichkeit wird es möglich machen, in vielen gemischten Vierteln Synagogen zu bauen, in denen es bisher überhaupt keine gibt“, kommentiert Weizman das Projekt. „Wenn die Synagogen errichtet sind, werden die Beter zu einem gemeinsamen Gebet kommen, das von der ganzen Öffentlichkeit akzeptiert wird.“
Dahari träumt von mehr Einigkeit zwischen den beiden Traditionen: „In Zukunft werden wir es in einer gemeinsamen Initiative zur Wahl eines einzigen Oberrabbiners bringen können, ohne daß wir die überflüssige Trennung zwischen Aschkenasen und Sepharden benötigen.“
Der Schas-Vorsitzende, Eli Jischai, zeigte sich begeistert von den Plänen für Haifa: „Ich freue mich, daß wenigstens in Haifa die Schinui-Leute mit der Umkehr begonnen haben. Ich freue mich, daß die Vertreter der Schinui sich den Schas-Leuten anschließen bei dem Bestreben, eine Synagoge für das Wohl der Bewohner zu errichten.“ Er begrüße den Bau jeder einzelnen Synagoge, egal, in welchem Stil. „Nur viel Gebet wird uns aus den schwierigen Notlagen retten“, so Jischai.