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Tischa BeAv: Trauer um den Tempel

Die Zerstörung der beiden Jerusalemer Tempel, die Vertreibung der Juden aus Spanien und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges: all dies fiel nach jüdischer Tradition auf dasselbe Datum, den 9. Av. Nicht nur deshalb ist Tischa BeAv ein Trauertag, der die besondere Bedeutung Jerusalems hervorhebt.
Der Tempelplatz wird heute vom islamischen Felsendom dominiert
Im Vorfeld des diesjährigen Trauertags Tischa BeAv hat Israels Staatspräsident Reuven Rivlin am Donnerstag jüdische Gelehrte empfangen. In dem pluralistischen religiösen Seminar war das Reformjudentum ebenso vertreten wie Konservative, Orthodoxe und Säkulare. Das Thema lautete: „Gedenken an Jerusalem“. Mitveranstalter war die Denkfabrik „Jewish People Policy Institute“ (JPPI). Zwischen den religiösen Strömungen des Judentums gibt es mehrere aktuelle Streitpunkte. Unter anderem geht es um die Aufteilung der Gebetsbereiche an der Klagemauer und um die Zivilehe, die in Israel nicht existiert. Rivlin sagte laut der OnlineZeitung „Times of Israel“ zum Auftakt des Seminars: „Meinungsverschiedenheiten müssen mit Respekt, Ausdauer und Aufmerksamkeit ausgetragen werden, aber nie mit Oberflächlichkeit oder Heuchelei.“

Viele Anlässe zum Trauern

Am 9. Tag des hebräischen Monats Av wurde im Jahr 70 der Zweite Tempel, der nach dem babylonischen Exil gebaut und von König Herodes dem Großen prunkvoll erweitert worden war, von den Römern zerstört. Zuvor war am selben Datum im Jahr 586 vor Christus der Erste Tempel, den der israelitische König Salomo gebaut hatte, von den Babyloniern zerstört worden. Die jüdische Tradition legt auf den 9. Av, hebräisch „Tischa BeAv“, schließlich noch die Entscheidung Gottes, die Israeliten nach dem Auszug aus Ägypten nicht unmittelbar in das verheißene Land Kanaan ziehen zu lassen. Vierzig Jahre lang mussten die zwölf Stämme durch die Wüste irren. Diese biblischen Ereignisse wären Grund genug, Tischa BeAv zu einem Nationaltrauertag für das jüdische Volk werden zu lassen. Orthodoxe Juden fasten an diesem Tag, nachdem sie sich zuvor seit dem 17. Tammus, also drei Wochen lang, nicht rasiert haben – was als Zeichen der Trauer gilt. Am 9. Av selbst sind neben Essen und Trinken auch das Baden, die Verwendung von Kosmetika, der Geschlechtsverkehr und das Tragen von Lederschuhen verboten. Um der Trauer und dem Leid Ausdruck zu verleihen, soll man, der Tradition zufolge, auf einem niedrigen Stuhl oder Hocker sitzen, nicht arbeiten und auch nicht die Torah studieren, weil das eine Quelle der Freude wäre. Nur die Klagelieder, das Buch Hiob, die Flüche im 3. Mose (26,14–42) und einige Kapitel des Buches Jeremia dürfen gelesen werden. Am Vorabend des 9. Av bleiben im modernen Staat Israel Restaurants und Vergnügungsstätten geschlossen. Doch auch in nachbiblischer Zeit fielen eine ganze Reihe traumatischer Ereignisse ausgerechnet auf den 9. Av. Im Jahr 135 fiel Beitar in Judäa, die letzte Festung des Bar Kochba, im Aufstand gegen die Römer. Auf den Tag genau ein Jahr später errichtete der römische Kaiser Hadrian einen heidnischen Tempel auf dem Tempelberg, nachdem er Jerusalem in „Aelia Capitolina“ umbenannt und Juden den Zugang zur Stadt bei Todesstrafe untersagt hatte. 1096 verübten Kreuzfahrer auf ihrem Weg ins Heilige Land am 9. Av Pogrome in Speyer und Worms. 1492 sollen die Juden genau an diesem Tag aus Spanien vertrieben worden sein. Am Tischa BeAv des Jahres 1914 begann der Erste Weltkrieg, in dessen Verlauf 134.000 jüdische Soldaten fielen, davon 12.000 aus Deutschland. Orthodoxe Juden behaupten, am 9. Av seien die ersten Züge in Richtung Auschwitz gefahren.

Eine offene Wunde

Ursprünglich hatte die israelische Regierung 2005 die Räumung der jüdischen Siedlungen aus dem Gazastreifen auf Mitte Juli gelegt. Da aber zu den in der Trauerzeit zwischen dem 17. Tammus und dem 9. Av verordneten Bräuchen auch das Verbot gehört, etwas Neues zu kaufen, wäre ein Umzug für orthodoxe Juden unmöglich gewesen. Dass der Termin dann um einen Monat, ausgerechnet auf den Vorabend des geschichtsträchtigen Tischa BeAv, verschoben wurde, zeigt, wie weit manche Regierungsplaner in Israel von den Sitten und Gebräuchen ihres eigenen Landes entfernt leben. Am Tischa BeAv des Jahres 5765 seit Erschaffung der Welt – im bürgerlichen Kalender war es der 14. August 2005 – konzentrierten sich die Gebete in den Synagogen auf den Gazastreifen, der übrigens zum biblischen Stammesgebiet Juda gehört. Da die Aufgabe dieser Ortschaften keinen Frieden für Israel brachte, sondern die Bedrohung durch Raketen und Krieg mit der Hamas, ist das Ganze eine offene Wunde im kollektiven Bewusstsein der israelischen Öffentlichkeit. In diesem Jahr, 5776 nach jüdischer Zeitrechnung, fällt Tischa BeAv auf einen Sabbat, den 13. August. Der Sabbat bleibt aber nach jüdischer Vorstellung auch in schlimmsten Zeiten ein Vorgeschmack auf den Schalom und das Glück der kommenden Welt. Deshalb darf an einem Sabbat niemals getrauert oder gefastet werden. Nur der Große Versöhnungstag Jom Kippur ist der „Sabbat der Sabbate“ und wird deshalb als Fasttag auch am Sabbat gehalten. So wird der Trauer- und Fasttag um der Zerstörung Jerusalems willen in diesem Jahr vom 9. auf den 10. Av verschoben und am 14. August begangen. (jg)

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