Tempelberg vor dem Einsturz?

Jeden Morgen fegen die Angestellten des islamischen Waqf, der Behörde, die den Tempelberg in Jerusalem verwaltet, den Sand von den Teppichen in der neuen Moschee, die in den vergangenen Jahren in den traditionellen Pferdeställen Salomos gebaut wurde. Seit einem Erdbeben im Februar weiten sich die Risse in den Wänden und Decken des von den Kreuzfahrern auf alten Fundamenten erbauten Gemäuers ständig aus. Die Altertumsbehörde des Staates Israel warnt: Die Südost-Ecke des Tempelberges kann jeden Augenblick zusammenbrechen.

Der israelische Sicherheits- und Tourismusminister Gideon Esra befürchtet eine „unvorstellbare Katastrophe“, bei der Tausende von Betern in den Trümmern des Tempelberges begraben werden könnten. Für den schlechten Zustand der Bausubstanz machen die Israelis neben Erdbeben und Wasserproblemen vor allem Bauarbeiten der Muslime verantwortlich. Im Februar war nach heftigen Schneefällen an der Westseite eine Stützmauer aus der Mamelukkenzeit abgerutscht. Seit einigen Monaten zeigen sich Risse an der Ostmauer des Tempelbezirks und die „Beule“, die jordanische Ingenieure seit langem an der Südmauer zu reparieren suchen, ist weithin sichtbar.

Vor dem Außen- und Sicherheitsausschuss der Knesset hatte Regierungschef Ariel Scharon seiner Sorge über die Bauarbeiten in den Ställen Salomos Ausdruck verliehen. Dabei bemerkte er, dass in der Frage des Tempelberges nicht nur Ägypten und Jordanien beteiligt seien, sondern auch andere, nicht näher benannte arabische Staaten und die Amerikaner. Der Waqfhatte in Eigeninitiative jordanische Ingenieure zu Rate gezogen, als klar geworden war, dass die Bauschäden an dem Bauwerk, dessen Fundamente aus der Zeit des Königs Herodes stammen, ernsthafte Ausmaße annahmen.

Die islamische Bewegung in Israel ruft ihre Anhänger zu einem Massenbesuch des Haram a-Scharif, wie Muslime den Tempelberg nennen, während des Fastenmonats Ramadan auf, der am Freitag beginnt. Sie wirft der Regierung des jüdischen Staates vor, unter dem Vorwand der Gefährdung die Ausübung ihrer Religion einschränken zu wollen. Einer ihrer Anführer, Scheich Kamal Chatib, meinte: „Der Premierminister sollte den Palästinensern und allen Muslimen ein frohes Fest wünschen, statt ihnen den Zugang zur Al-Aksa-Moschee zu verbieten.“ Der Waqf spricht von einer Provokation der Israelis, die lediglich darauf abziele, den jüdischen Anspruch auf den Tempelberg zu untermauern. Und der oberste Richter des islamischen Gerichtshofes in Jerusalem, Taisier Tamimi, meinte gar: „Die Einschränkung der Zahl der Beter ist eine Kriegserklärung der Juden an Allah.“

Die Muslime haben einerseits den israelischen Behörden jede Einmischung in die Bauarbeiten auf dem Haram a-Scharif verweigert. Andererseits befürchtet Israel, dass im Falle einer Katastrophe die islamische Welt den zionistischen Erzfeind verantwortlich machen werde. Sollte sich die Regierung Israels aber aus Sicherheitsgründen gezwungen sehen, die Zahl der Beter während des Fastenmonats Ramadan von mehreren Hunderttausend auf 60.000 einzuschränken, rechnet sie mit Unruhen. Schon immer war der Ramadan eine Zeit der besonderen Spannungen zwischen den Muslimen und dem Staat Israel.

Im Sechstagekrieg 1967 hat Israel den Tempelberg mit dem Ostteil der Stadt Jerusalem erobert. Für das jüdische Volk ist dieser Ort, an dem der Tempel Salomos und später der zweite, von König Herodes ausgebaute jüdische Tempel stand, die heiligste Stätte auf Erden. Muslime bestreiten, dass an der Stelle je ein jüdischer Tempel gestanden hat und verehren die Al-Aksa-Moschee und den Felsendom als drittheiligste Stätte des Islam, von der aus der Prophet Muhammad in den Himmel gefahren sein soll.

Nachdem der israelische Polizeichef Mosche Karadi den Tempelplatz am Donnerstag noch einmal in Augenschein genommen hatte, entschied Premierminister Ariel Scharon, die Zahl der muslimischen Beter während des Fastenmonats Ramadan nicht zu beschränken. Zuvor hatte sich der Waqf verpflichtet, Auflagen der Polizei nachzukommen und alles zu unternehmen, um einen Einsturz im Bereich der so genannten Pferdeställe Salomos zu verhindern. Trotz aller Maßnahmen bleibt die Altertumsbehörde Israels aber dabei: Der Ort ist akut einsturzgefährdet. Und das Zentralkommando der Heimatfront der israelischen Armee bleibt in erhöhter Alarmbereitschaft, obwohl der Polizei keine konkreten Erkenntnisse für geplante Unruhen vorliegen.

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