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Systematische Folter in palästinensischen Gefängnissen

Willkürliche Festnahmen, Einschüchterung und Folter bestimmen den Alltag in palästinensischen Gefängnissen. Zu diesem Schluss kommt die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ in einer Studie – und sieht als einen Grund die Unversöhnlichkeit zwischen Fatah und Hamas.
HRW erhebt schwere Vorwürfe wegen der Ermittlungsmethoden in palästinensischen Gefängnissen

NEW YORK (inn) – In palästinensischen Gefängnissen ist systematische Folter an der Tagesordnung. Diesen Vorwurf erhebt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) mit Sitz in New York in einem neuen Bericht. Dabei hat sie nach eigenen Angaben zwei Jahre lang recherchiert. Die Beobachtungen beruhen auf 86 Einzelfällen und Gesprächen mit 147 Personen. Die meisten von ihnen sind ehemalige Häftlinge, aber auch Angehörige, Anwälte, Vertreter von nichtstaatlichen Organisationen und ein Arzt kamen zu Wort.

HRW weist darauf hin, dass seit 25 Jahren zumindest teilweise palästinensische Autonomie im Westjordanland und dem Gazastreifen herrscht. In dieser Zeit „haben die Behörden Maschinerien von Unterdrückung geschaffen, um abweichende Meinungen zu brechen, einschließlich durch Anwendung von Folter“. Das gelte für die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) ebenso wie für die Hamas. Häufig gebe es willkürliche Festnahmen wegen friedlicher Kritik an Behörden, die vor allem in Sozialen Medien geäußert werde.

„Als sich die Fehde zwischen Fatah und Hamas trotz Versöhnungsbemühungen vertiefte, haben PA-Sicherheitsdienste Unterstützer der Hamas ins Visier genommen, und umgekehrt“, merkt die Organisation an. Autonomiebehörde und Hamas „nutzen Inhaftierung, um Kritiker zu bestrafen und sie und andere vor weiterem Aktivismus abzuschrecken“. Verhöhnung von Häftlingen, Drohungen, Prügel oder Folter gehörten in den Gefängnissen zur Routine.

Als Quellen dienten den Menschenrechtlern neben den Gesprächen Fotos, Videos, Medienberichte und gerichtliche Dokumente. Auch haben sie Sicherheitsorgane und Regierungsbehörden angeschrieben und auf die Missstände aufmerksam gemacht. Alle antworteten dem Bericht zufolge, es handele sich um Einzelfälle. Diese würden untersucht und den zuständigen Behörden zu Gehör gebracht. Die Gruppe betont: „Das Beweismaterial, das von Human Rights Watch gesammelt wurde und in diesem Bericht vorgestellt wird, widerspricht diesen Behauptungen.“

Verhaftung politischer Gegner

Im Westjordanland wurde etwa der 38-jährige Osama al-Nabrisi mindestens 15-mal festgenommen, seit er 2014 seine zwölfjährige Haftstrafe in Israel abgesessen hatte. Die erste Verhaftung ereignete sich nur zwei Tage nach seiner Freilassung. Im Gefängnis war er in den politischen Block der Hamas involviert, das war offenbar der Anlass für die Inhaftierung. HRW spricht von einer Art Verwaltungshaft.

Im Gazastreifen wurde Abdel Basset Amum, ein ehemaliger Angestellter des Präventiven Sicherheitsdienstes der PA, im Januar 2017 verhaftet. Er hatte gegen Kürzungen in der Stromzufuhr protestiert. Nach seinen Angaben sagten die Vernehmungsbeamten: „Ihr Fatah-Mitglieder wollt Anarchie und Chaos schaffen, ihr wollt unsere Sicherheit destabilisieren.“ Konkrete Anklagepunkte hätten nicht vorgelegen.

Ein weiterer Fall im Westjordanland betrifft Issa Amro aus Hebron: Im September 2017 wurden zehn Beamte zu seinem Haus in Hebron geschickt. Nur eine Stunde zuvor hatte er auf Facebook die Inhaftierung eines Journalisten kritisiert und die PA aufgefordert, die Redefreiheit zu respektieren. Er wurde für eine Woche inhaftiert. Die Behörden beschuldigten ihn, einen Coup zu planen, „höhere Autoritäten“ zu beleidigen und „die öffentliche Ordnung des Staates“ zu gefährden.

Facebook-Posts im Visier

Im Mai 2016 wurde Hamsa Sbeidat, der im Westjordanland für eine Entwicklungsorganisation tätig ist, zwei Tage lang festgehalten. Beamte fragten ihn über einen Post aus, in dem er Palästinenser aufrief, „gegen die PA zu kämpfen, wie wir gegen die Besatzung kämpfen“. Sie fragten ihn, warum er die PA kritisiere und nicht die Hamas.

Der Journalist Amer Baluscha musste im Juli 2017 im Gazastreifen für 15 Tage in Haft. Auf Facebook hatte er geschrieben, Hamas-Führer sollten ihre Kinder „auf dem Boden schlafen lassen, so wie unsere es tun“. Er wurde nach eigenen Angaben als „Quelle des Aufruhrs“ bezeichnet und bekam zu hören: „Es ist verboten, gegen die Hamas zu schreiben, wir werden Sie erschießen.“ Zudem warfen ihm die Ermittler den „Missbrauch von Technologie“ vor.

Folter und Einschüchterung

Aus Sicht der Menschenrechtsorganisation sind zudem Misshandlung und Folter in palästinensischem Gewahrsam Routine. Sie geschähen systematisch und ohne Einschreiten der Behörden. Oft müssten sich Häftlinge in der sogenannten „Shabeh“-Position umgekehrt über einen Stuhl beugen, dabei sind Hände und Füße unten gefesselt. Im Gazastreifen sei es auch üblich, Gefangene stundenlang auf einem Kinderstuhl stehen oder sitzen zu lassen. Prügel, um Geständnisse zu erzwingen oder Gefangene zu bestrafen oder einzuschüchtern, seien üblich.

Als weiteren Zeugen nennt der Bericht Sarie Samandar, einen Christen aus Jerusalem. Er wurde nach einem Straßenkampf im Juni 2017 inhaftiert. Die PA-Polizei habe ihn als „christliches Schwein“ beschimpft und ihm mit der Terrorvereinigung „Islamischer Staat“ gedroht. Er sei geschlagen und getreten worden, seinen Körper hätten die Ermittler gegen eine Wand gestoßen.

Zur Methode von Strafen und Abschreckungen gehört es auch, elektronische Geräte zu beschlagnahmen. Auch beschaffen sich Beamte den Zugang zu Mobiltelefonen und Sozialen Medien. So gab der Mathematiklehrer Abdullah Abu Scharech sein Facebook-Passwort preis, um nicht sechs Monate in Haft bleiben zu müssen. Er unterrichtet an einer Schule des UN-Hilfswerkes für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) in Gaza. Der 55-Jährige hatte Äußerungen eines Hamas-Führers kritisiert, der Gazastreifen sei stabil und wohlhabend.

Appelle an Fatah und Hamas

In dem HRW-Bericht heißt es: „Während Militärstaatsanwälte die Macht haben, Fehlverhalten durch Mitglieder der Sicherheitskräfte ungeachtet ihres Ranges unabhängig zu belangen, ist Human Rights Watch kein einziger Fall bekannt, in dem ein Mitglied der Sicherheitskräfte verurteilt worden wäre, weil es willkürlich verhaftet oder Häftlinge misshandelt hat.“

Die Organisation hat den PA-Präsidenten Mahmud Abbas aufgerufen, öffentlich ein Ende der willkürlichen Verhaftungen, Folter und Straflosigkeit für Sicherheitskräfte zu fordern. Gleichzeitig müsse er ein glaubwürdiges, unabhängiges Regierungsgremium ermächtigen, Haftanstalten zu inspizieren und Vorwürfe wegen Fehlverhaltens zu untersuchen. Ein ähnlicher Appell erging auch an die Hamas-Behörden im Gazastreifen. Die Terror-Organisation teilte in einem Brief an HRW mit, sie habe sich verpflichtet, alle internationalen Verträge einzuhalten, die die PA ratifiziert hat. Das palästinensische Grundgesetz gewährt überdies die Freiheit, seine Meinung zu äußern – mündlich, schriftlich oder in irgendeiner Form der Kunst.

Der Bericht geht auch auf die internationale Unterstützung der Palästinenser ein: „Die Sicherheitsbehörden der PA operieren mit bedeutsamer Unterstützung aus den Vereinigten Staaten und Europa und in Koordinierung mit der israelischen Armee. Die Hamas erhält finanzielle Hilfe aus dem Iran, Katar und der Türkei.“

Abschließend stellen die Verfasser der Studie fest: „Sowohl die PA als auch die Hamas sprechen regelmäßig von palästinensischer Unabhängigkeit und Einheit. Aber Haft und Folter von Rivalen und Kritikern unterminieren ihr bestes Argument: das Versprechen größerer Freiheit. Nationale Versöhnung und Freiheit werden es erfordern, mit diesen Missbräuchen abzurechnen, Täter zur Verantwortung zu ziehen und ihre Maschinerien der Unterdrückung aufzulösen.“

Von: eh

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