Nach Slenczkas Darstellung sind in der protestantischen Theologie Orte nur heilig, solange dort Gott mit einem Menschen direkt kommuniziert. Deshalb könne auch das geographische Israel nicht als heiliges Land verstanden werden. Der Einsatz von Christen für Israels Existenzrecht sei dennoch zu begründen, weil das Judentum gerade auch auf der Basis religiös motivierter antijudaistischer Ressentiments in der Zeit der Diaspora eine leidvolle Geschichte erfahren habe. „Dieser Verpflichtungsgrad ist nicht spezifisch christlich motiviert und hat daher zugleich Anspruch auf Verbindlichkeit für alle Menschen guten Willens“, fügte der Systematische Theologe hinzu. Er ist auch Mitglied im Ausschuss „Juden und Christen“ der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Eine völlig andere Perspektive hat die große Mehrheit der Juden, die an Jesus als ihren Erlöser glauben. Wie sie über die in der Bibel notierten Verheißungen zum Land Israel denken, fasste Dr. Richard Harvey vom „All Nations Christian College“ in London in seinem Vortrag zusammen. Dabei wies er darauf hin, dass messianisch-jüdische Theologie auf dem Nebeneinander von anhaltender Erwählung des jüdischen Volkes und Anerkennung von Jesus als dem auferstandenen Messias und dem Mensch gewordenen Sohn Gottes basiere. Unter den jesusgläubigen Juden gebe es eine generelle Zustimmung, dass Israels Gegenwart und Zukunft eine hohe theologische Bedeutung hätten – ein klarer Konsens sei hingegen nicht auszumachen. Der Hauptstrom vertrete die Meinung, dass Israels Wiedergeburt als Nation und das Überleben in den Folgejahren durch ein göttliches Einschreiten in der Geschichte bewirkt worden sei und dies durch Gottes Handeln fortgeführt werde.
Dem läuft die Ansicht des palästinensischen Christen Salim Munayer aus Bethlehem entgegen. Er war nicht persönlich beim Symposion zugegen, aber eine Zusammenfassung seines englischen Referats wurde vorgelesen. Der ehemalige Muslim sieht im göttlichen Versprechen an Abraham einen kosmischen Aspekt. Durch Jesus sei die Landverheißung für alle verfügbar geworden. Gott sei unabhängig vom Ort der Anbetung, wenn sie in Geist und Wahrheit geschehe. Nach seiner Auffassung hat das Verhalten des Volkes Israel einen Einfluss auf das Land. Der Nahostkonflikt fasse den zerstörerischen Einfluss unserer Sünde zusammen und zeige, wie sehr Versöhnung noch nottue. Die Palästinenser müssten allerdings die besondere Bindung der Juden an das Land in Betracht ziehen.
Islamische Quellen sind widersprüchlich
Die islamische Sicht der Landfrage skizzierte Pfarrer Dr. Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin. Anhand zahlreicher Koransuren und weiterer Quellen legte er die Widersprüchlichkeit dar, die dieses Thema kennzeichne. So spiele die Landverheißung im Zusammenhang mit der koranischen Abraham-Überlieferung keine Rolle. Auch hätten die Muslime etwa zehn Jahre nach der Gründung ihrer Religion die Gebetsrichtung von Jerusalem nach Mekka verändert. Israel komme im Koran nicht als Land vor, nur die „Kinder Israels“ als Israeliten. Diese erbten das Land, in das Abraham geführt wurde. Jerusalem werde höchstens umschrieben.
Andererseits sei nach den islamischen Eroberungszügen Land als Kriegsbeute verteilt worden – auch wenn Grundbesitz für die Nomaden nicht erstrebenswert war. Der zweite Kalif, Omar Ibn al-Chattab, machte sich nach der Überlieferung auf die Suche nach einem heiligen Ort und fand diesen lediglich auf dem Tempelberg. So werde Jerusalem, das Omar eroberte, mit dem heiligen Land gleichgesetzt. Eißler ging auch auf die Charta der radikal-islamischen Hamas ein, in der es als unveräußerliches Stiftungsgut gelte, dass Palästina ein islamisches Wakf-Land sei – also Land, das Muslime gewaltsam erobert haben und demzufolge aus ihrer Sicht nicht aufgeben dürfen.
Kirche will sich nicht zu eindeutig positionieren
Einen Überblick über die kirchliche Wahrnehmung des Staates Israel nach 1948 gab Pfarrer Dr. Gerhard Gronauer aus Dinkelsbühl den Konferenzteilnehmern. Dabei seien verschiedene Phasen zu erkennen. Im ersten Jahrzehnt nach seiner Gründung habe der jüdische Staat vor allem als eine Irritation der christlichen Missionsarbeit gegolten, sonst sei er kaum wahrgenommen worden. Ab 1958 habe eine Reisewelle aus Deutschland nach Israel eingesetzt, der christlich-jüdische Dialog sei angekurbelt worden. Eine Delegationsreise der EKD 1962 blieb allerdings inoffiziell, weil nur Vertreter der Bekennenden Kirche eingeladen wurden. Nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 seien alte Positionen neu durchgemischt worden, die Zahl der kirchlichen Publikationen zu Israel sei rapide angestiegen. Stellungnahmen blieben allerdings bis heute nebulös, weil sich die EKD wegen der palästinensischen Christen nicht zu eindeutig politisch positionieren wollte.
Direkten Bezug auf die biblischen Quellen nahmen Dr. Siegbert Riecker von der Bibelschule Kirchberg und Prof. Dr. Richard Schultz aus Wheaton im US-Bundesstaat Illinois. Riecker konzentrierte sich in seinem Vortrag auf Gottes Bund mit Abraham und den Bundesschluss am Sinai nach 5. Mose 29-30. Schultz befasste sich mit Prophezeiungen aus den Kapiteln 2 und 60-66 des Jesajabuches. Dabei wies er auf Probleme hin, die sich etwa durch die Versuchung ergäben, bei der Auslegung eine neutestamentliche „Brille“ zu verwenden. Die Texte zeigten eine Verflechtung der Zukunft Israels mit der der Nationen. Auch göttliches Gericht und Heil würden miteinander verknüpft.
Jan Carsten Schnurr von der Freien Theologischen Hochschule (FTH) in Gießen stellte unterdessen das so genannte „Blackstone Memorial“ vor, in dem der amerikanische Judenmissionar William Blackstone im Jahr 1891 einen eigenen Staat für die vor allem in Russland verfolgten Juden gefordert hatte, und zwar in Palästina. Dabei argumentierte der Methodist nicht nur theologisch, sondern auch politisch und wirtschaftlich. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte formulierte er mehrere ähnliche Petitionen und sammelte zahlreiche Unterschriften. Trotz seiner Missionsarbeit hatte Blackstone zeit seines Lebens viele jüdische Freunde.
In seiner Einführung in die Thematik hatte der Rektor der FTH, Prof. Dr. Helge Stadelmann, den „Kampf um Palästina“ als zentralen Brennpunkt des Nahostkonfliktes vorgestellt. Der württembergische Landesbischof im Ruhestand, Dr. Gerhard Maier, sprach in einer Videoübertragung über die neutestamentliche Evidenz vor dem Hintergrund zwischentestamentlicher Entwicklungen und frühjüdisch-apokalyptischer Geschichtstheologie. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Johannes Gerster, aus Mainz stellte die Landverheißung und die Staatsgründung in einen Zusammenhang mit Israels aktueller Bedrohung.
Der Leiter des Institutes für Israelogie, Pfarrer Dr. Berthold Schwarz, betonte in seinen Ausführungen, dass die Hebräische Bibel mit ihren Aussagen zur Landverheißung den ersten Christen als Grundlage für die Verkündigung des Evangeliums gedient habe. Dennoch habe es in den späteren Jahrhunderten immer wieder Versuche gegeben, das Alte Testament aus dem Kanon zu nehmen. Dr. Andreas Hahn aus Wroclaw (Breslau) brachte den Zuhörern verschiedene Ansätze systematischer Theologen zu den Landbesitzaussagen nahe.
Vorträge erscheinen als Buch
In einer abschließenden Diskussionsrunde waren sich Referenten und Teilnehmer darin einig, dass das „heilige“ Land letztlich Gott gehört. Auch ein grundsätzliches Wohlwollen gegenüber Israel wurde als gemeinsames Element genannt. Alle Beiträge des Symposions sollen in einem Buch veröffentlicht werden.
Das Institut für Israelogie wurde 2004 gegründet. Es will in Forschung und Lehre ein biblisch-heilsgeschichtlich begründetes und geschichtlich fundiertes Verständnis von Israel fördern.