Ausgerechnet der erste Kanal des israelischen Fernsehens veröffentlichte am Donnerstag exklusiv, dass Mustafa Badr Aldin, ein Cousin des in Damaskus ermordeten Militärchefs der Hisbollah, Imad Mughnijeh, von der Untersuchungskommission als Hauptverdächtiger des Mordes an Hariri gesehen wird. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah erklärte, dass kein Verlass auf eine Kommission sei, an der Amerikaner teilnehmen, die Kontakte zum Mossad hätten.
Am Wochenende fand nun in Beirut ein historischer „Beruhigungsgipfel“ statt. Im gleichen Flugzeug kamen aus Damaskus der syrische Präsident Baschar Assad, sowie der saudische und jordanische König angeflogen, um den heutigen libanesischen Regierungschef Sa´ad Hariri zu treffen – er ist ein Sohn des ermordeten Rafik Hariri.
Droht ein neuer Bürgerkrieg?
Sollte sich die in Israel veröffentlichte Information als richtig erweisen, könnte das den Libanon in einen neuen Bürgerkrieg stürzen und den Nahen Osten zur Explosion bringen. Der ungewöhnliche Gipfel in Beirut, die erste Visite eines saudischen Königs nach 50 Jahren und der Besuch von Präsident Assad fünf Jahre nachdem die Syrer ihre Truppen aus dem Libanon abgezogen haben, deutet auf den Ernst der Lage hin.
Parallel zum Gipfel erklärten führende Hisbollah-Leute dem syrischen Außenminister Walid Muallem ihre Planungen zur „Operation Libanon durchschütteln“. Sollte die UNO ihren Report mit einer namentlichen Beschuldigung führender Hisbollah-Befehlshaber veröffentlichen, würde die Hisbollah die Regierung verlassen, Hariri entmachten und den Libanon ins Chaos stürzen. Gleichzeitig würde Syrien ein Ultimatum gestellt, dass nur ein verschwommener UNO-Bericht ohne Namensnennungen den Libanon vor dem Untergang bewahren könne. Denn die Hisbollah geriete innenpolitisch in eine Zwickmühle, weil sie sich einerseits als Beschützer des Libanon aufspielen würde, indem sie dem israelischen Feind die Stirn bietet, und andererseits für die Ermordung des libanesischen Ministerpräsidenten Verantwortung trägt.
Sa´ad Hariri steht offenbar vor einem anderen Dilemma: Gemäß der arabischen Mentalität müsste er den Mord an seinem Vater rächen. Doch dessen mutmaßliche Mörder sitzen mit ihm am Regierungstisch. Gleichzeitig hat Hariri als Regierungschef eine moralische Pflicht, die Ruhe in seinem aufblühenden Land zu wahren.
Syriens Präsident Assad, selbst nun die Hände in Unschuld waschend, warnte in Beirut davor, Befehlshaber der Hisbollah vor den internationalen Gerichtshof zu zerren. „Bis vor zwei Jahren galt Syrien als Hauptverdächtiger und Dutzende Syrer wurden von Libanesen aus Rache ermordet“, sagte Assad. Der syrische Präsident forderte von der UNO, die Untersuchung des Hariri-Mordes umgehend einzustellen und nichts zu veröffentlichen, weil sie „eine Bürde für den Libanon darstellt und die Stabilität des Landes gefährdet“.
Syrien steht vor einem mehrfachen Dilemma. Die Aufrüstung der Hisbollah mit über 40.000 Raketen aus dem Iran ist nur mit logistischer Hilfe Syriens möglich. Gleichzeitig vermuten arabische wie israelische Experten, dass das Land die Intention habe, „den Libanon wieder zu übernehmen“. Der Iran will seine Kontrolle über die Hisbollah nicht verlieren, um die mit Raketen ausgestattete Miliz im gegebenen Fall zu benutzen, „jeden Punkt in Israel gezielt zu treffen“, wie Israelis befürchten. Der iranische UNO-Botschafter, Mohammed Chazaee, drohte am Wochenende bei einer Pressekonferenz für den Fall einer Attacke auf iranische Atomanlagen: „Teheran wird Tel Aviv niederbrennen“. Das könnte der Iran am besten durch einen konzertierten Raketenbeschuss Israels aus dem Libanon und dem Gazastreifen bewerkstelligen.
Hisbollah will Veröffentlichung verhindern
Saudi-Arabien hat wegen umfangreicher Investitionen im Libanon ein eigenes Interesse an Ruhe im Land der Zedern. Der jordanische König Abdullah wiederum ist mit Sa´ad Hariri befreundet. Zusammen mit dem syrischen Präsidenten besprachen sie mögliche Kompromisse. Gemäß arabischen Pressemeldungen wurden diese allerdings von der Hisbollah zurückgewiesen. So wurde vorgeschlagen, dass der libanesische Präsident Michel Suleiman sich an die UNO mit der Bitte wenden sollte, die Arbeit der Kommission zu bremsen und vorläufig nichts zu veröffentlichen. Dann kam die Idee, nicht Befehlshaber der Hisbollah namentlich zu nennen, sondern nur „undisziplinierte Elemente innerhalb der Organisation“ zu erwähnen.
Doch das reicht der Hisbollah nicht. Denn in jedem Fall würde behauptet, dass die Ermordung Hariris nicht ohne Wissen des Chefs, Hassan Nasrallah, passieren konnte. Nasrallah könnte wegen des Verbrechens in Den Haag angeklagt werden. Das freilich würde das gesamte Machtgefüge im Libanon aufwühlen und Schockwellen bis nach Tel Aviv, Teheran und in zahlreiche arabische Hauptstädte in der Region ausstrahlen.