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„Spiegel“-Kolumnist auf Antisemiten-Liste

Die Texte des Journalisten und Verlegers Jakob Augstein sind vom Simon-Wiesenthal-Zentrum auf Rang neun der „antisemitischen Beschimpfungen 2012“ gewählt worden. Der „Spiegel“-Kolumnist bezeichnete die zweifelhafte Ehre als Diffamierung.
Jakob Augstein - seine Texte sind laut Auffassung des Simon-Wiesenthal-Zentrums antisemitisch.

Seit 2011 schreibt Augstein für „Spiegel Online“ die wöchentliche Kolumne „Im Zweifel links“, bereits seit 2008 verlegt er die linksliberale Wochenzeitung „Der Freitag“. Auch in Fernsehtalkshows ist die Meinung des bekannten Journalisten häufig gefragt. Ende Dezember überraschte das Simon-Wiesenthal-Zentrum (SWC), eine Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Los Angeles, Augstein mit einer zweifelhaften Ehre: Die Gruppe listet den Journalisten und seine Kolumnen auf Platz neun der „2012 Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs“, – der „Ersten Zehn der antisemitischen und antiisraelischen Beschimpfungen“.
Augstein ist der einzige Deutsche auf der Liste, die von den ägyptischen Muslimbrüdern angeführt wird. Platz Zwei belegt das Regime von Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad, gefolgt von einem brasilianischen Karikaturisten. Das Wiesenthal-Zentrum zitiert in seiner Begründung verschiedene Kolumnen, die Augstein über die Politik Israels auf „Spiegel Online“ publiziert hatte. Darin behauptet er unter anderem, Israel züchte sich seine Feinde im Gazastreifen selbst heran. Im Zusammenhang mit den gewalttätigen islamischen Protesten gegen das so genannte „Mohammed-Schmähvideo“ schrieb Augstein: „Wem nützt solche Gewalt? Immer nur den Wahnsinnigen und den Skrupellosen. Und dieses Mal auch – wie nebenbei – den US-Republikanern und der israelischen Regierung.“
Broder: Augstein ist „lupenreiner Antisemit“
Der Publizist Henryk M. Broder hatte Augstein daraufhin vorgeworfen, ein „lupenreiner Antisemit“ zu sein, da er sich einer „Cui bono?“ (Wem nützt es)-Logik bediene, die er bei Neonazis abgekupfert habe: „Die behaupten auch, Hitler sei mit Hilfe vom amerikanischen und jüdischen Finanzkapital an die Macht gekommen, die Zionisten hätten mit den Nazis kooperiert und den Tod von Millionen Juden billigend in Kauf genommen, nur um am Ende ihren Staat gründen zu können“, so Broder.
Augstein selbst sieht sich durch das Ranking diffamiert. Auf seiner Facebook-Seite schrieb er: „Das SWC ist eine wichtige, international anerkannte Einrichtung“, die für ihren Kampf gegen Antisemitismus seinen „ganzen Respekt“ genieße. „Um so betrüblicher ist es, wenn dieser Kampf geschwächt wird. Das ist zwangsläufig der Fall, wenn kritischer Journalismus als rassistisch oder antisemitisch diffamiert wird.“ Bereits im November beklagte Augstein die inflationäre Verwendung der Bezeichnung Antisemit. Unter der Schlagzeile „Überall Antisemiten“ schrieb er auf „Spiegel Online“: „Inzwischen muss man einen solchen Vorwurf nicht mehr ernst nehmen. Im Meer der hirn- und folgenlosen Injurien des Internets geht auch diese Beschimpfung einfach unter.“
Untergegangen ist die Kritik an Augstein jedoch nicht: Zahlreiche Medien, auch in Israel, haben die Platzierung eines deutschen Journalisten auf dem Antisemitismus-Ranking des SWC aufgegriffen. Die „Tageszeitung“ berichtet, der entsprechende Artikel über Augstein sei auf der Homepage der „Jerusalem Post“ unter den am häufigsten gelesenen. Der Berliner „Tagesspiegel“ wertet die Nennung Augsteins auf der Negativliste als „starken Tobak“. Der Feuilleton-Chef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Nils Minkmar, nennt die Entscheidung des SWC einen schweren intellektuellen und strategischen Fehler. Broder hingegen ist Augsteins neunter Platz zu wenig: „Er gehört weiter nach oben, auf Platz drei etwa“, sagte er der „Tageszeitung“.
Politiker unterschiedlicher politischer Lager sind Augstein inzwischen zur Seite gesprungen. Der Fraktionsvorsitzende der „Linken“ im Bundestag, Gregor Gysi, bezeichnete Augstein als einen „herausragenden kritischen Journalisten“, der teils berechtigte, teils unberechtigte Kritik an der Politik der israelischen Regierung übe. „Deshalb aus ihm einen Antisemiten schmieden zu wollen, geht völlig fehl und unterstützt den schleichenden Antisemitismus“, sagte Gysi am Donnerstag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Julia Klöckner, Chefin der rheinland-pfälzischen CDU, erklärte: „Wenn jemand in einer freien Gesellschaft Regierungen kritisiert, ist das sein gutes Recht.“ Klöckner, die im Dezember auch zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU gewählt wurde, weiter: „Wenn man daraus Antisemitismus ableitet, dann ist das sehr gewagt.“
Zu einem anderen Schluss kommt Clemens Wergin, Nahost-Experte bei der Tageszeitung „Die Welt“: „Man wird bei der Frage, ob Augsteins Kolumnen antisemitisch grundiert sind, nicht darum herum kommen, intensive Textarbeit zu betreiben“, schreibt er in seinem Blog „Flatworld“. Er habe dies getan und festgestellt, dass die Summe an Verzerrungen, Einseitigkeiten und fragwürdigen Passagen den Schluss zulassen, „dass Augstein einen Juden- und Israelknacks hat und ein links-antisemitisch gefärbtes Weltbild.“
Jakob Augstein ist der anerkannte Sohn von „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein und der Übersetzerin Maria Carlsson. Sein leiblicher Vater ist der Schriftsteller Martin Walser. Jakob Augstein vertritt in der Gesellschafterversammlung des „Spiegel“-Verlags den 24-Prozent-Anteil der Familie Augstein. Zum Jahresbeginn 2013 hat der 45-Jährige die Chefredaktion des linksliberalen Wochenblatts „Der Freitag“ übernommen, das er auch selbst verlegt.
Das Simon-Wiesenthal-Zentrum wurde 1977 gegründet und setzt sich hauptsächlich mit der Aufarbeitung von Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus auseinander. Benannt ist es nach dem österreichischen Holocaust-Überlebenden Simon Wiesenthal. Der Hauptsitz ist in Los Angeles, Büros existieren in Israel, Europa und Lateinamerika.

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