BEITAR ILLIT (inn) – Im Siedlungsblock Gusch Ezion haben Einwohner die Gewalt verurteilt, die von Siedlern ausgeht. Sie verfassten dazu eine Petition, die sich an Politiker und geistliche Führer richtet. Ziel ist es, eine Diskussion in der Siedlergemeinschaft anzustoßen.
„Angesichts der schrecklichen Welle der Gewalt in den vergangenen Wochen können wir nicht schweigen“, heißt es in dem Text. Zu den „schrecklichen Taten“ gehörten „das Anzünden von Häusern und Fahrzeugen, Zerstörung von Eigentum und Vieh, Schüsse sowie körperliche Übergriffe auf Araber“. Diese Taten zielten auf Araber, die im Gusch-Ezion-Block leben. Sie „verstoßen gegen das Gesetz, die Moral und die Halacha.“ Die Halacha ist das jüdische Religionsgesetz.
Rabbiner Schaul Judelmann sagte gegenüber der israelischen Zeitung „Times of Israel“, dass die Petition von einer Gruppe von etwa 40 Bewohnern im Gusch Ezion gestartet worden sei. Diese organisieren demnach seit mehr als einem Jahr, um der Gewalt aus den eigenen Reihen entgegenzutreten.
Von den 30.000 Bewohnern des Siedlungsblocks hätten etwa 400 unterzeichnet. „Viele Menschen unterschreiben grundsätzlich keine Petitionen, und wir haben auch keinen großen Aufwand betrieben, um Unterschriften zu sammeln; wir haben sie in unseren sozialen Netzwerken und in einigen WhatsApp-Gruppen geteilt, aber wir sind nicht in die großen Medien gegangen.“ In Kriegszeiten sei es schwer, etwas Selbstkritisches zu tun, und viele seien sich des Ausmaßes dieser Angriffe nicht bewusst.
Spannung zwischen Verteidigung und Selbstverteidigung
Seit Beginn des Krieges vor mehr als zwei Jahren häuften sich die Berichte über Angriffe extremistischer Jugendlicher, hauptsächlich gegen Palästinenser in der Region. „Hier zogen Menschen los, nicht etwa, um sich zu verteidigen, sondern um Häuser anzuzünden oder Schafe zu töten.“ Die Gruppe um Judelmann habe oft das Gefühl gehabt, dass die Jugendlichen häufig aus ihrer Umgebung kommen. „Wir haben die Verantwortung, diesem Tun entgegenzuwirken.“
Seit Jahresbeginn hat die Armee mehr als 752 Vorfälle nationalistisch motivierter Kriminalität und Gewalt durch Siedler registriert. Die Gesamtzahl für 2024 lag bei 675 Vorfällen.
„Nach dem Angriff des 7. Oktober ist das Gefühl sehr präsent, dass das, was in den Gemeinden an der Gaza-Grenze passiert ist, überall passieren könnte“, erklärte Judelmann weiter. „Viele Menschen in unserer Gruppe sind in der Reserve, sie bewachen unsere Städte oder dienen in Gaza“, sagte er. „Aber gleichzeitig stellt sich die Frage, wo die rote Linie verläuft, wie wir uns verteidigen und welche Handlungen wir nicht als Selbstverteidigung verstehen, sondern als Dinge, die uns schwächen — zumindest vor Gott, und ich denke auch moralisch, in dem Sinne, was es bedeutet, hier zu leben.“
Die Petition beziehe sich bewusst nicht auf das gesamte Westjordanland, sondern speziell auf Gusch Ezion, weil die Bewohner vor allem die Realität dort kennen. Eine ähnliche Petition macht aber inzwischen im zentralen Westjordanland in der Siedlung Kfar Adumim die Runde.
Verbindungen zwischen Juden und Palästinensern gebe es in Gusch Ezion seit vielen Jahren. Bisweilen ist es Judelman und anderen Israelis auch möglich, den palästinensischen Opfern von Gewalt zu helfen. Etwa als vergangene Woche in der palästinensischen Stadt Dschab’a mehrere Autos in einer Werkstatt zerstört wurden.
Wegen seiner günstigen Preise habe der Besitzer Muhammad auch bei israelischen Kunden einen guten Ruf. Zudem arbeite er ehrenamtlich bei einer israelischen Organisation mit, die Autofahrern hilft, wenn sie auf der Straße liegen bleiben, sagte Judelman. „Eines der Autos gehörte einem Israeli, der gerade seinen Einsatz in Gaza beendet hatte.“
Petition soll Diskussion anstoßen
Eine Unterzeichnerin ist Nechama Goldman Barasch. Die Dozentin für jüdische Studien an mehreren Institutionen lebt seit 29 Jahren in der Siedlung Elasar. „In meiner Ortschaft habe ich das Gefühl, dass viele nicht darüber reden wollen. Viele haben die Einstellung: ‚Natürlich verurteilen wir Gewalt, aber sie greifen uns ständig an‘ oder ‚Es ist nicht so schlimm, wie du denkst‘.“
Doch wenn es auch um verhältnismäßig geringe Täterzahlen geht, sei es entscheidend, Alarm zu schlagen – nicht zuletzt, um die Aufmerksamkeit der lokalen Entscheidungsträger zu gewinnen. „Wir sollten gegen Menschen protestieren, die auf unsagbare Weise gewalttätig sind, damit wir uns dem stellen und es bewältigen können“, sagte Goldmann Barasch. „Die Idee der Petition war, Druck auf den Leiter des Regionalrats auszuüben, damit er sieht, dass dieses Thema den Menschen wichtig ist.“ Zu Beginn der Petition stehe der Vers aus 3. Mose als Warnung für Juden, sich nicht so zu benehmen, dass „das Land … euch sonst ausspucken“ werde, „weil ihr es verunreinigt, wie es auch das Volk, das vor euch dort lebte, ausgespuckt hat.“
Auch Judelman beschreibt die Gewalt als einen Affront gegen seine jüdischen Werte. „Das ist nicht mein Judentum, dafür sind wir nicht hierher gekommen“, sagte der 46-Jährige, der im Jahr 2000 aus den USA eingewandert ist. „Als jüdisches Volk haben wir Tausende von Jahren darauf gewartet, eine Armee zu haben, die uns verteidigt. Diese Armee hat das Recht, Gewalt anzuwenden, um zu tun, was nötig ist, um uns zu schützen. Und natürlich gibt es ein Recht auf Selbstverteidigung – aber es gibt kein Recht, loszugehen und jemanden anzugreifen.“ Er fügte hinzu: „Nach dem 7. Oktober ist das Gefühl, dass die Armee uns im Stich gelassen hat, in ganz Israel sehr stark ausgeprägt. Wir haben die Pflicht, das Vertrauen in die Armee wiederherzustellen.“
Doch das Phänomen sei vielschichtiger. „Eine Ebene hat mit Erziehung zu tun. Es gibt viele gefährdete Jugendliche, und ich denke, die große Herausforderung ist, wie Jugendliche gerade jetzt durch diesen Konflikt gehen.“ Das Problem erfordere eine vielschichtige Antwort auf den Ausbruch der Gewalt. „Wenn wir das Thema der Gewalt aus unseren Reihen wirklich angehen wollen, brauchen wir Sozialarbeiter, Therapeuten, Rabbiner und die Eltern“, sagte er. Doch auch der Staat müsse seine Schutzfunktion erfüllen. „Es gibt ein ideologisches Problem, aber auch eines, das daraus entsteht, dass Menschen sich vom Staat nicht geschützt fühlen.“
Armeechef Samir warnt vor Flächenbrand in der Region
Erst vor wenigen Tagen hatte sich auch Armeechef Ejal Samir gegen die Gewalt ausgesprochen: „Diese Anarchisten könnten in einem Augenblick die ganze Region in einen Flächenbrand entzünden.“ Die Armee müsse Truppen für das Westjordanland bereitstellen, die es dringend zur Sicherung seiner Grenzen mit dem Gazastreifen und Libanon benötige.
Erstmals äußerte sich auch Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud) öffentlich zu den Vorfällen im Westjordanland: „Wir werden entschlossene Maßnahmen ergreifen, um gegen diese Krawalle vorzugehen.“ Er bekräftigte: „Israel ist ein Rechtsstaat.“ Am Sonntag beriet Netanjahu mit Militärs und Geheimdienstmitarbeitern darüber, wie sich die Siedlergewalt eindämmen ließe.
Bezüglich der zahlreichen Angriffe von Palästinensern auf Siedler fühlen sich viele Siedler vom Staat und der Armee allein gelassen. Sie erheben den Vorwurf, dass in den Medien, sowohl im In- als auch im Ausland, Gewalt vonseiten der Hamas oder Palästinensern im Westjordanland oft relativiert oder komplett ignoriert würde. Die einzelnen Gewalttaten vonseiten weniger Siedler würden hingegen oft so dargestellt, als wären sie repräsentativ für alle Siedler oder für den gesamten Staat Israel. (mh)
Eine Antwort
Meine Anerkennung für die jüdischen Siedler aus Gusch Etzion. Um das Bild Israels nicht noch negativer zu machen, als es in aller Welt gesehen wird, ist es wichtig klarzustellen, dass nicht alle Siedler so gewalttätig sind. Selbstverteidigung ist Eines, aber ohne Veranlassung aus Aggression heraus Brände zu legen, Olivenhaine zu vernichten, sowie Schafe zu töten und Autos anzuzünden, ist ein Anderes, das nicht zu der Einstellung und Demokratie Israels passt. Deshalb ist diese Petition ein wichtiger Schritt, um Diskussionen darüber anzukurbeln und Maßnahmen zu entwickeln, gegen ungerechtfertigte Gewalt anzugehen. Natürlich immer unter dem Aspekt wachsam zu bleiben und ihrerseits gewalttätige Palästinenser im Auge zu behalten. Rabbiner Judelmann hat das richtig erkannt. Viel Erfolg!