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„Sie sollen aufhören mit dem Terror“

Ein kurzer dumpfer Knall. „Du weißt es einfach, es ist eine Bombe“, sagt Orli. Sie ist Israelin und hat drei Anschläge erlebt. Den letzten in Jerusalem. Da saß die Design-Studentin in einem Cafe, und in der Nachbar-Kneipe ging die Bombe hoch. Mit dem Selbstmordattentäter starben 15 Menschen. „Du springst auf, draußen heulen die Sirenen, die Helfer laufen hin und her. Du störst nur, wenn du raus gehst. Also setzt du dich wieder, unterhältst dich weiter – dann klingeln die Handys. Eltern, Freunde und Verwandte fragen sich gegenseitig ab: Alles in Ordnung?“

Orli Rozenzwejg steht mit ihren Kommilitonen Benny Feifel und Micha Legmann im überfüllten Seminarraum der TU in Chemnitz. Orli streckt die Hand nach vorn, die Handfläche weist auf die Zuhörer in den ersten Bankreihen. Eine einladende Geste. Sie wirkt ein bisschen verloren, hilflos. Auch wie eine Frage: Ist es denn so schwer zu verstehen, dass ich genauso leben will wie ihr – ohne Bombenterror. „Sagt mir, wonach ihr die Disco auswählt: nach der Musik, dem billigen Bier, dem Essen?“ Orli wartet die Antwort nicht ab. Sie weiß, dass ihre deutschen Kommilitonen nach solchen oder ähnlichen Kriterien entscheiden, wo sie den Abend verbringen. Es drängt sie, zu erzählen, dass das bei ihr früher auch so war. Mit der Zweiten Palästinensischen „Intifada“ hat sich ihr Leben verändert. Seit dem Anschlag in dem Nachbarcafe fährt Orli zum Tanzen nur noch in die Außenbezirke, auch wenn die Musik dort nicht so gut sei, das Bier teurer und das Essen – na ja. „Für mich ist nur noch wichtig, dass ich lebend nach Hause komme.“ Vor den Anschlägen nehmen die Attentäter Videos auf. Sie sprechen über die Motive für den Mordanschlag. „Sie wollen als Märtyrer sterben. Ich will nicht sterben, für nichts und niemanden.“ Orli schüttelt ihre dichten roten Korkenzieherlocken.

Die drei israelischen Studenten Orly, Benny und Micha sind für ein paar Tage nach Deutschland gekommen. Es interessiert sie, was deutsche Studenten über Israel denken. Dafür wollen Orli, Benny und Micha ihnen sagen, wie Israel ist. Sie waren schon an der Berliner Uni, nun stehen sie im Chemnitzer TU-Raum. Ein Bild wie auf einem der Votiv-Gemälde im Taschenformat aus der Christenlehre. Irgendwie biblisch. Sie verteidigen das „Heilige Land“, es ist ihr Heimatland. Sie ahnen, dass es schwer ist, den Alltag in Israel, die Politik des Landes, zu erklären. Sie wissen, dass sie auf Vorbehalte treffen werden.

Einer der deutschen Studenten sagt: Es gebe mehr als 2.000 palästinensische Opfer, das seien schließlich mehr als die rund 900 Toten auf israelischer Seite.

Benny wirkt ungeduldig. Zahlen seien manipulierbar, sagt er. Die Palästinenser zählten zu ihren Opfern auch die Attentäter, die beim Bombenbauen umkommen und die, die sie selbst erschossen haben, weil sie mit Israel zusammengearbeitet hätten. Die 900 getöteten Israelis seien ausnahmslos Zivilisten gewesen.

Er glaubt, das Bild in den Köpfen der Deutschen schon erkannt zu haben: „Da sind die modern ausgerüsteten Soldaten, und auf der anderen Seite die armen Palästinenser.“ Das Bild wird nach jedem Anschlag via Satellit in die deutschen Wohnstuben geliefert. Manchmal guckt Benny in Israel deutsches Fernsehen. Die Bilder stimmen nicht, sagt er. „Es geht kein Palästinenser wütend in die Küche und holt sich die Bombe aus dem Schrank. Sprengstoff muss gekauft werden, ein Attentat wird streng geplant – bis zu den Videos, auf denen die Attentäter erklären, dass sie in den Heiligen Krieg ziehen.“ Und die israelischen Kampfflieger stiegen auch nicht einfach auf und bombardierten irgendwelche Häuser. „Es sind Häuser von Attentätern, und die Bewohner werden gewarnt, sie sollen die Häuser verlassen.“

Aber was sollen die Palästinenser machen, wenn die Israelis die Häuser und die ganze Infrastruktur zerstörten, wird aus dem Auditorium gefragt. Sie sollen aufhören, mit dem Terror, sagt Micha. Er studiert Maschinenbau. Als Micha 18 Jahre alt wurde, musste er zur Armee, wie jeder Israeli. Dort wurde er ausgebildet als Panzerkommandant. Nun wird er einmal im Jahr 30 Tage lang zum Reservedienst eingezogen. „Die Armee nimmt keine Rücksicht, ob ich Prüfungen habe – die muss ich in den Semesterferien nachholen.“ Ihm sei es unangenehm, die Palästinenser nach Waffen zu durchsuchen. Die meisten fahren nur zur Arbeit nach Israel, ganz normale Leute. „Aber als ich einmal einen Terroristen festgenommen habe, da wusste ich, dass mein Dienst wichtig ist – ich kann Leben retten.“

Ein deutscher Student sagt: „Es ist schwer zu verstehen, dass die Gewalt nur mit Gewalt beantwortet wird.“ Und Benny fragt zurück: „Was soll Israel tun, hast du einen Vorschlag? Wir sind umgeben von 400 Millionen Arabern, warum helfen die ihren palästinensischen Brüdern nicht? Wieso geben sie denen nicht einen Teil ihres Reichtums aus dem Öl? Warum finanzieren sie dagegen den Terror der Islamisten? Weil sie Israel weghaben wollen, in ihrer Nähe keinen demokratischen Staat dulden.“ Wenn es den Palästinensern gut ginge, vermutet Benny, würde es bald keine Bomben mehr geben.

„Weißt du wie das ist, wenn der erste, den du in der Uni triffst, ein Sicherheitsmann ist?“ fragt Orli. „Er packt deine Tasche aus – weißt du wie das ist? Dann gehst du in die Bibliothek, da steht der nächste, du gehst in die Cafeteria, wirst wieder kontrolliert. Aber: steht kein Sicherheitsmann draußen – das ist paradox – dann geh ich da nicht rein.“

„Moment mal“, sagt einer der deutschen Zuhörer, „ihr müsst euch doch nicht verteidigen, das ist hier kein Tribunal. Vielleicht ist es ja richtig, dass ihr die Mauer baut. In Deutschland wurden damit die feindlichen politischen Blöcke getrennt – das muss ja nicht für ewig sein, wie sich in Deutschland zeigte“, begründet der Chemnitzer Student. 14 Jahre nach ihrem Fall wird die Mauer als Modell der Konfliktbewältigung an einer deutschen Uni vorgeschlagen.
Benny: „Es sind acht Kilometer Mauer von 180 Kilometern Zaun-Grenze, doch diesen Abschnitt siehst du vor Fernseh-Kameras nicht.“

Orli meint: „Der Zaun soll nicht die Grenze sein, aber wenn er uns mehr Sicherheit gibt, dann ist er okay.“ Aber warum – jede Antwort provoziert die nächste Frage als Widerspruch: Aber warum geht ihr nicht weg aus dem Land, wenn es dort so gefährlich ist? Vielleicht drückt die Frage Mitgefühl aus. Vielleicht. Die drei jungen Israelis sind entsetzt: „Es ist unser Land, wir leben da, mit unseren Familien, unseren Freunden – die Geschichte der Juden reicht dort 5.000 Jahre zurück“, antwortet Benny als erster. „Wo sollen wir denn hingehen?“ fragt Orli. „Es ist der einzige Platz, wo ein Jude sich wohl fühlen kann – in seinem eigenen Land“, ergänzt Micha.

Die anderthalb Stunden sind um. Ein Mädchen mit schulterlangen schwarzen Haaren stellt sich zu Orli, Benny und Micha. Wie sie mit dem Tod von Freunden oder Verwandten umgingen, fragt sie ganz schüchtern, fast flüsternd. Micha sieht sie verlegen an. Er weiß nicht, ob er die Frage richtig verstanden hat. „Ich meine“, sagt das Mädchen, „ich würde das nicht schaffen, wenn Freunde in der Disco von Bomben getötet werden.“ Micha versteht jetzt: „Wir versuchen, einfach weiter zu leben.“ (Foto: H. Petersohn)

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