Serach Bat Ascher – eine persisch-jüdische Ortsheilige

Jakobs Enkelin Serach findet in der Bibel kaum Erwähnung. Dennoch nimmt sie in der Tradition der persischen Juden eine wichtige Rolle ein.
Von Gundula Madeleine Tegtmeyer

Iranische Muslime bezeichnen ihre jüdischen Landsleute als kalimi. Das Wortgeht auf kalimullah zurück und kann mit „der Prophet, der mit G`tt sprach“ übersetzt werden. Nach sunnitischem und schiitischem Verständnis trifft dies auf den Propheten Mose zu und erklärt, warum ihm auch im Islam eine große Verehrung zuteil kommt. In der iranischen Bevölkerung herrscht zudem die für uns etwas befremdlich anmutende, aber weitverbreitete Vorstellung, einheimische Juden stünden dem Islam näher als Juden andernorts.

Das Judentum im Iran geht auf Kyros II. zurück. Der Perserkönig hatte einst durch seine Eroberung Babylons das babylonische Exil der Juden beendet. Um die 75.000 iranische Juden sind bislang nach Israel eingewandert. Circa die Hälfte kam unmittelbar nach der Staatsgründung, die andere Hälfte wanderte nach der iranischen Revolution 1979 ein.

Laut Jehuda Gerami, seit 2011 iranischer Oberrabbiner, lebten Im Jahr 2022 um die 20.000 Juden und Jüdinnen im Iran. Damit stellt die Gemeinde die größte jüdische Minderheit in einem mehrheitlich muslimischen Land dar. Neben Teheran ist Isfahan, ehemalige Hauptstadt der safawidischen Dynastie, eines ihrer Zentren.

Fährt man von Isfahan aus 20 Kilometer in südwestlicher Richtung, erreicht man Pir-i-Bakran, auch Linjan genannt. Dieser beschauliche Ort beherbergt auf dem historischen jüdischen Friedhof das älteste jüdische Grab im Iran sowie eine Gedenkstätte für die jüdische Ortsheilige Serach Bat Ascher.

Gedenkstätte als Synagoge

Um diese biblische Frauenfigur ranken sich viele Mythen und Legenden, auch im Iran. An der Stelle, an der Serach Bat Ascher, die Enkelin des biblischen Patriarchen Jakob, im Iran vorbeikam, wurde eine Gedenkstätte namens „Schrein des Propheten Jakob“ errichtet. Im Laufe der Zeit wurde dieser Ort zu einer Synagoge. Auch Muslime verehren Jakobs Enkelin, nennen die jüdische Ortheilige respektvoll chanume Sarah, auf deutsch „Dame Sarah“. Sie pilgern nach Pir-i-Bakran, um persönliche Bittgebete zu sprechen.

Seit einem verheerenden Brand tragen Synagoge und Friedhof ihren Namen. Er ist in Form des hebräischen Buchstaben Chet angelegt. Nach jüdischer Tradition symbolisiert der achte Buchstabe des hebräischen Alphabets „Leben“.

Foto: Gundula M. Tegtmeyer
Die älteste Synagoge des Iran erinnert an Serach Bat Ascher

Serachs Leben ist eng verwoben mit der israelitischen Migration nach Ägypten, Versklavung, Erlösung und Rückkehr nach „Erez Israel“. Die Tora erwähnt sie in 1. Mose 46,17, als Jakobs Nachkommen nach Ägypten ziehen: Und die Söhne Assers: Jimna und Jischwa und Jischwi und Beri und ihre Schwester Serach. Und die Söhne Berias: Heber und Malkiël. (Eberfelder Bibel)

Eine weitere Erwähnung findet sich in 4. Mose 26,13, der Aufzählung der Israeliten in den moabitischen Steppen: von Serach die Sippe der Serachiter; von Schaul die Sippe der Schauliter. (Elberfelder Bibel)

Midraschim,Auslegungen religiöser Texte im rabbinischen Judentum, widmen sich eingehend Jakobs Enkelin. Nachdem Josef mit seinen Brüdern wiedervereint war und sie nach Kanaan schickte, um seinen Vater zu ihm nach Ägypten zu bringen, wies Josef seine Brüder an, den hochbetagten Vater nicht zu verängstigen.

Jakob informiert, dass Josef lebt

Laut Midrasch Ha-Gadol, der in Targum Jonatan zu 1. Mose 46,17zitiert wird, war es Serach, die Jakob darüber unterrichtete, dass sein tot geglaubter Sohn Josef nicht von einem wilden Tier zerrissen worden sei: „Sie nahm ihre Leier, setzte sich neben Jakob und sang: Josef, mein Onkel, lebt und herrscht über ganz Ägypten“. Targum Jonatan ist eine aramäische Übersetzung der Hebräischen Bibel.

Als Serach die freudige Nachricht Jakob, ihrem Großvater, überbrachte, drückte er seine Dankbarkeit mit einem Gebet für sie aus: „Du hast mir mit deiner schönen Stimme das Leben wiedergegeben, deshalb wünsche ich mir, dass du ewig bleibst.“ Der Patriach segnete seine Enkelin Serach mit dem Versprechen ewigen Lebens.

Die Geschichte von Josefs Wiedersehen mit seinem Vater Jakob ist auch in die persische Literatur eingegangen. Sie findet sich in der Poesie der Dichter Hafiz, Ferdowsi, Nezami, Saadi und anderer wieder.

Die Bibelstelle 1. Mose 46,17 zählt Serach unter den 70 Familienmitgliedern auf, die Rabbiner kamen hingegen auf nur 69 Namen. Eine gewisse Logik spricht dafür, dass der Patriach Jakob das 70. Familienmitglied war, das nach Ägypten zog. Ein Midrasch hingegen verficht, dass Serach das 70. Mitglied des Gefolges war.

Folgt man der rabbinischen Auslegung weiter und zudem einer alten Tradition, wurde Serach nicht unter den siebzig Nachkommen aufgezählt, weil sie nach dem Tod ihrer leiblichen Eltern von Jakobs Sohn Ascher adoptiert worden war und somit nicht als Nachkommin zählt. Diese Auslegung findet sich im Buch Sefer ha-Jaschar zum Wochenabschnitt Va-Jeschev (Kapitel 14).

Schlüsselrolle bei Bestätigung von Moses Funktion

Die Rabbiner schreiben Serach eine Schlüsselrolle bei der Bestätigung Moses als Erlöser zu, der die Israeliten aus Ägypten in die Freiheit führen wird. Midrasch Rabbah (Schemot Rabbah 5,13) erklärt, dass Serach Bat Ascher zur Zeit des Exodus aus Ägypten noch lebte.

In 1. Mose 50,25lesen wir: Und Josef ließ die Söhne Israels schwören und sprach: Hat Gott euch dann heimgesucht, dann führt meine Gebeine von hier hinauf! (Elberfelder Bibel)

Der Midrasch stellt folgenden Zusammenhang her: Das Geheimnis der Erlösung war an Abraham gegeben worden, dieser übergab es an Isaak, Isaak an Jakob und Jakob an Josef.

Ascher gab das Geheimnis an seine angenommene Tochter Serach weiter. Laut Midrasch war es Serach, die Mose dabei unterstützte, Josefs Begräbnisstätte zu finden, ­um das gegebene Versprechen zu erfüllen, seine Gebeine aus Ägypten zu tragen.

Midraschim: Serach hatte langes Leben

Weitere Midraschim beschäftigen sich mit dieser erstaunlichen biblischen Frauenfigur. Einer besagt, sie sei zu Zeiten König Davids noch am Leben gewesen (Bereschit Rabbah 94,9). Als Joab, Davids Feldherr, sie fragte, „wer bist du?“, antwortete Serach: „Ich bin eine derjenigen, die Wohlergehen der Gläubigen [schelomei emunei] in Israel anstreben.“

Nach rabbinischer Auslegung sagte Serach folgendes zu Joab: „Ich bin eine der Israeliten, die nach Ägypten zogen. Ich habe die Anzahl Israels vervollständigt [schelumai]. Willst du die ganze Stadt umbringen, auch mich, die ich eine wichtige Frau bin?“. Serach rettete das Leben aller Bewohner ihrer Stadt (Kohelet Rabbah 9:18:2).

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Eine exegetische Tradition geht weiter: Serach sei nicht gestorben, sondern unter denjenigen, die das Paradies als Lebende betreten haben, wie auch Henoch (1. Mose 5,24): Und Henoch wandelte mit Gott; und er war nicht mehr da, denn Gott nahm ihn hinweg. (Elberfelder Bibel) Die Bibel erzählt das auch über den Propheten Elia. Auch gemäß christlicher Tradition lebt der Prophet Elia noch immer und wird bis zum zweiten Kommen Christi auf Erden den wahren Glauben an G`tt verteidigen.

An diese Tradition der Unsterblichkeit knüpft eine rabbinische Erzählung an, in der Serach in einem Beit Midrasch (Lehrhaus) erscheint. Rabbiner Jochanan Ben Sakkai interpretierte 2. Mose 14,22: Dann gingen die Söhne Israel auf trockenem ⟨Land⟩ mitten in das Meer hinein, und das Wasser war ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken (Elberfelder Bibel) mit einem undurchlässigen Netz. Serach, als Zeugin der Teilung des Roten Meeres auf der Flucht vor den Ägyptern: „Ich war da, das Wasser war kein Netz, aber als durchsichtige Fenster“.

Die erzählerische Tradition hinsichtlich ihres außergewöhnlich langen Lebens stützt sich auf zwei Ereignisse: Eines ist ihre Erwähnung unter den 70 Nachkommen Jakobs, die nach Ägypten zogen. Zudem war sie unter den Exodus-Israeliten, die „Eretz Israel“ betreten haben.

Darüber hinaus tradieren iranische Juden seit vielen Generationen, Serach Bat Ascher sei durch Persien gewandert und habe sich im 9. Jahrhundert nach der Zeitrechnung in Isfahan niedergelassen. Fest im lokalen jüdischen Volksglauben verankert ist die Vorstellung, ein tiefer unterirdischer Gang führe von Serach Bat Aschers Gedenkstätte direkt nach Jerusalem. Am Tag des Erscheinens des Messias seien die Toten von Pir-i-Bakran unter den Ersten am Jüngsten Tag.

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Eine Antwort

  1. Hoffentlich existiert die jüdische Gemeinde auch noch in Zukunft, wie z.B. in 200 Jahren, im Iran. Ihr Verschwinden wäre eine katastrophale Entwicklung.

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