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„Schweigen ist Gleichgültigkeit“

Gemeinsam mit Überlebenden gedenkt die UN-Vollversammlung der Opfer der Scho'ah. In Nepal erfahren viele Schüler erstmals von den Gräueltaten der Natioalsozialisten.
(v.l.) Meron, Shashar, Guterres, Leiter der Generalversammlung Tijjani Muhammad-Bande, Milstein und der Leiter des Kontaktbüros der OSZE für Angelegenheiten von Sinti und Roma, Dan Pavel Doghi

NEW YORK / KATHMANDU (inn) – Die Vereinten Nationen haben am Montag in New York mit einer besonderen Vollversammlung an den Holocaust erinnert. UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte in seiner Rede Antisemitismus und ergänzte: „Heute vor 75 Jahren, als Soldaten nach Auschwitz kamen, waren sie erschüttert von den Anblicken. Es ist unsere Pflicht, von Neuem die Lektionen des Holocaust zu lernen und zu lehren, damit er sich niemals wiederholt.“

Der israelische Botschafter Danny Danon wies darauf hin, dass eine direkte Erinnerung an die Scho’ah bald nicht mehr möglich sein werde: „Wir sind die letzte Generation, die das Vorrecht hat, über die Scho’ah von denen zu lernen, die gezwungen wurden, die Schrecken zu durchleben. Wenn die Erinnerung zu schwinden beginnt, schwindet auch die Möglichkeit, zu glauben, dass ein Ereignis wie die Scho’ah wirklich passiert ist.“ Wie in den 1930er Jahren reiche es auch heute nicht aus, dass die Weltöffentlichkeit Antisemitismus verurteilt. „Es ist Zeit für Taten.“

Bei der Veranstaltung zum Internationalen Holocaust-Gedenktag kamen auch Überlebende zu Wort. Einer von ihnen war der ehemalige Richter am UN-Kriegstribunal Theodor Meron, der neun Jahre alt war, als die Nazis seine Heimat Polen überfielen. Er sagte, die Ereignisse des Holocaust seien für viele weit weg, abgetrennt durch „Jahrzehnte des Fortschritts“. Doch: „Für diejenigen, die sie durchlebt haben, wie ich als Junge im besetzten Polen, sind sie nur allzu wirklich.“ Der größte Teil seiner Familie sei dem Holocaust zum Opfer gefallen.

Meron erinnerte daran, dass nicht nur ein Drittel der Juden ausgelöscht worden sei. „Oft wird vergessen, dass Millionen Russen und Polen ebenfalls der Mordmaschinerie der Nazis zum Opfer fielen.“ Zudem würdigte der israelisch-amerikanische Jurist Menschen, die für die Rettung von Juden ihr Leben riskiert hatten.

„Wenn du nicht weinst, wird das bald vorüber sein“

Irene Shashar erlebte ihren zweiten Geburstag im Warschauer Ghetto. Sie habe gehofft, jemand würde sagen, dass das alles nur ein großer Irrtum sei, sagte sie in ihrer Rede. Aber das Ghetto sei erst der Beginn des Leidens der Juden gewesen. Ihr Vater wurde dort ermordet. Mit ihrer Mutter gelangte sie durch die Kanalisation auf die „arische“ Seite von Warschau. Bis Ende des Krieges versteckten sie sich. Ihre Mutter habe gesagt: „Wenn du nicht weinst und ein gutes Mädchen bist, wird das bald vorüber sein.“

Die Mutter starb 1948. Als zehnjährige Waise wurde Shashar von einer Familie in Peru aufgenommen und fand dort eine neue Heimat. Ihre Mutter habe ein großes Opfer gebracht und viel Mut gezeigt, damit sie leben könne. „Dank ihrer wurde ich mit der Möglichkeit gesegnet, Kinder und Enkel zu bekommen. Weil ich einen Stammbaum gepflanzt habe, hat Hitler nicht gesiegt. Ich habe genau das getan, was er so sehr zu verhindern suchte“, betonte Shashar. Die UNO müsse ihre Stimme gegen Antisemitismus erheben. „Denn Schweigen ist Gleichgültigkeit.“

Auch Shraga Milstein, bei Kriegsausbruch sechs Jahre alt war, lebte einige Zeit im Ghetto. Später war er in einem Arbeitslager. 1944 wurde er ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Seine Mutter wurde nach Ravensbrück verschleppt, er sah sie nie mehr wieder. Der Vater erinnerte seine Kinder nach der Ankunft in Buchenwald daran, dass sie Verwandte im britischen Mandatsgebiet Palästina hätten. Einen Tag später wurde er im Alter von 43 Jahren getötet.

Der Sohn erlebte die Befreiung in Bergen-Belsen. Dort „gab es keine Hinrichtungen“, erzählte er der UN-Vollversammlung. Aber Menschen seien an Hunger und Kälte gestorben. Britische Soldaten hätten ihn dann in eine Behausung mit einem sauberen Bett auf einem Militärgelände gebracht. An jenem Tag „veränderte sich meine Welt von völliger Vernachlässigung und Apathie zu menschlicher Anteilnahme und einer echten Bemühung, den Verstörten, Hungrigen und Kranken zu helfen“. Milstein folgerte aus seinen Erlebnissen: „Es ist unsere Pflicht, jegliche Intoleranz auf Grundlage von ethnischer Herkunft oder Religion zu verurteilen und zu verhindern.“

Gedenken in Nepal und Litauen

Der Internationale Holocaust-Gedenktag erinnert an die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945. Indes organisierte auch die israelische Botschaft in Nepal eine Gedenkveranstaltung. Gemäß der Zeitung „Yediot Aharonot“ stellte sich dies als große Herausforderung dar. Denn die Naziherrschaft werde in dem ostasiatischen Land noch von vielen als positiv und pragmatisch angesehen. So zeige ein zentrales Café in der Hauptstadt Kathmandu ein Bild des ersten Autos, das ins Land kam: Es war 1940 ein Geschenk von Adolf Hitler an den nepalesischen König.

Deshalb veranstaltete die israelische Botschaft Vorträge zur Scho’ah an etwa 40 Schulen in drei Städten. Dazu hatten sich etwa 100 Freiwillige der Vereinten Nationen von Botschafter Benny Omar und dessen Stellvertreter Tal Schwarzman schulen lassen. Auf diese Weise hörten viele nepalesische Schüler erstmals vom Holocaust. Gleichzeitig fand in der Residenz des deutschen Botschafters eine offizielle Gedenkzeremonie statt.

In Litauen posierte die gesamte Regierung samt Premier Saulius Skvernelis für ein Gruppenfoto. Dabei trugen die Politiker Pappschilder mit Buchstaben, die sich zum Hashtag „#Weremember“ (Wir erinnern) zusammenfügten. Vor der Scho’ah lebten in dem baltischen Staat mehr als 220.000 Juden. Von ihnen wurden 95 Prozent ermordet, oft waren daran auch Litauer beteiligt. Unlängst sorgte eine Initiative für einen Gesetzesentwurf für Aufregung, der eine litauische Mitverantwortung am Massenmord leugnet. Vor knapp zwei Jahren verabschiedete das polnische Parlament ein ähnliches Gesetz, das zu einem Zwist mit Israel führte.

Von: eh

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