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Schiwah – Sieben Tage der Trauer

Nicht nur das Leben, sondern auch der Umgang mit dem Tod ist im Judentum ein wichtiges Thema. Die Trauer um einen Menschen wird ernst genommen und eingebettet in eine Fülle von Regeln und Traditionen, die oft ihren Ursprung in der Bibel haben. Eine Reportage von Israelnetz-Autorin Krista Gerloff (Jerusalem) über „Sieben Tage der Trauer“.

Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, ab und zu bellt ein Hund, ein Auto fährt vorbei. Es ist ruhig. Nur die Nachrichten aus Radio und Fernsehen drängen sich immer wieder in diese Idylle und drohen sie zu zerstören. Heute morgen ist wieder ein Soldat umgekommen. Jeden Tag zahlen junge Männer im Kampf gegen den Terror einen hohen Preis für den Frieden, den wir erleben dürfen. Und dieses Mal war es einer aus unserer Gegend.

Im Kindergarten erfahre ich, dass es sich um den jungen Mann handelt, der freitagvormittags immer die frischen Schnittblumen verkauft hat. An ihn kann ich mich gut erinnern. Ein Blumenstrauß gehört in Israel zu den Einkäufen vor dem Schabbateingang.

Umgang mit dem Tod

Kurz darauf wird unsere Straße von der Polizei und vom Militär gesperrt, so als erwarte man einen offiziellen Staatsbesuch. Aber nein, die Befürchtungen werden zur Gewissheit. Der gefallene Soldat stammt direkt aus unserer Nachbarschaft. Meine Tochter erzählt, dass in einem Haus viele Menschen ein- und ausgehen, darunter viele Soldaten. Noch wird der Name in den offiziellen Medien nicht genannt, aber es ist klar: Wieder ist eine Familie ganz aus der Nähe betroffen.

Nicht nur das Leben, sondern auch der Umgang mit dem Tod ist im Judentum ein wichtiges Thema. Die Trauer um einen Menschen wird ernst genommen und eingebettet in die Fülle von Regeln und Traditionen, die oft ihren Ursprung in der Bibel haben. Man begegnet dem Tod mit Respekt, aber auch mit Einfühlungsvermögen.

Ein herausragendes Beispiel sind die Freunde Hiobs, die mit dem Leidgeplagten „weinten, und ein jeder zeriss sein Kleid, und sie warfen Staub gen Himmel auf ihr Haupt und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war“ (Hiob 2,12-13).

Sieben Tage Trauer

Sieben Tage lang wird in einem Hause, in dem ein Familienmitglied gestorben ist, getrauert. Diesen Zeitraum nennt man auf Hebräisch „Schiwah“, was wörtlich übersetzt die Zahl „Sieben“ bedeutet. Die Schiwah wird dann noch einmal aufgeteilt in die ersten drei Tage der intensivsten Trauer. In dieser Zeit sollen vor allem die engsten Freunde und Familienangehörige kommen, um die betroffene Familie zu trösten. Liberalere Juden begrenzen ihre Trauerzeit oftmals auf diese drei Tage. In den darauf folgenden vier Tagen kommt dann jeder, der der trauernden Familie sein Mitgefühl bekunden möchte.

Die Besucher des „Schiwah-Hauses“ sollen weder klingeln noch klopfen. Sie treten einfach ein. Sie sollen niemanden grüßen und werden auch nicht begrüßt. Ganz auf die Trauernden eingestellt sollen sie nur einfach anwesend sein und sich danach richten, ob diese reden wollen oder nicht. Triviale Aussagen und Fragen, etwa „Wie geht es Dir?“ oder „Ich kann mir vorstellen, wie dir zu Mute ist“, sollen unter allen Umständen vermieden werden. Beim Abschied sagt man dann: „Möge Gott dich trösten unter den anderen Trauernden in Zion und in Jerusalem!“ Niemand wird aus dem Haus begleitet.

Besucher: keine Gäste, sondern Tröstende

Unmittelbar nach der Beerdigung beginnen die sieben Trauertage der „Schiwah“. Freunde sollen einer Vorschrift zufolge ein Mahl für die trauernde Familie vorbereiten. Die Besucher werden in dieser Woche nicht als Gäste betrachtet und werden auch nicht von den trauernden Bewohnern bedient. Es ist ein Gebot, die Trauernden zu trösten. Dazu gehört auch, an den Gebeten, die in dem Trauerhaus verrichtet werden, teilzunehmen.

Zum Morgen- oder Abendgebet braucht man zehn Beter, einen sogenannten „Minjan“. Wenn der Minjan nicht in das Haus kommen kann, nehmen die Trauernden an den Gebeten in der Synagoge teil. Manche traditionelle Teile der Synagogengebete fallen während der Schiwah weg. Dazu gehört beispielsweise zum Monatsanfang Psalm 115,17: „Die Toten, werden dich, Herr, nicht loben.“ Oder Psalm 118,24: „Dies ist der Tag, den der Herr macht, lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein.“

„Der Frieden in Seinen Höhen schafft…

Nur wenn der Rosch Chodesch, der Monatsanfang, auf einen Schabbat fällt, soll der Lobpreis trotzdem gelesen werden, denn der Schabbat hat Vorrang vor der Trauer. Ähnliches gilt für Festtage, die unter dem Gebot stehen: „Du sollst dich freuen an deinem Fest.“ Dann wird die Schiwah verkürzt oder auf die Zeit nach dem Fest verlegt.

In der Trauerzeit wird, wie schon am offenen Grab, das „Kaddisch“ gebetet, ein jüdisches Loblied, das mit der Friedenshoffnung endet: „Der Frieden in Seinen Höhen schafft, der schaffe Frieden über uns und über ganz Israel, und sprechet Amen.“ Orthodoxe Juden ziehen während der Trauerzeit keine Lederschuhe an, arbeiten nicht, baden nicht, und ziehen auch keine frischen Kleider an. Sie nehmen nicht an Feierlichkeiten teil und haben keinen Geschlechtsverkehr.

In der Bibel gehört die „Kriah“, das Zerreißen der Kleider zu den Zeichen der Trauer. Wenn nicht ein Kleidungsstück am Hals eingerissen wird, wird die „Kriah“ heute noch oft symbolisch angedeutet, zum Beispiel durch ein schwarzes Band an der Kleidung.

Ins Leben zurück

Im Judentum ist es wichtig, dass die Trauerzeit ein Ende findet und diejenigen, die den Verlust erlitten haben, wieder ins Leben zurückkehren. Armen Menschen erlaubt die jüdische Tradition, ein zerrissenes Kleid wieder zusammenzunähen.

An manchen Orten wurden aus dem Zusammennähen des zerrissenen Kleidungsstückes eine Art Abschlusszeremonie für die Trauerzeit entwickelt, die den Prozess der Heilung darstellen soll. Dabei wird dann Psalm 23 zitiert: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ Wie der Abschluss der Schiwah aussehen soll, wird aber nirgends zwingend vorgeschrieben. Manche Trauernde gehen zum Grab, andere machen einen Spaziergang als Zeichen dafür, dass sie jetzt bereit sind, wieder in die Welt zu treten.

„Parallele zur Schöpfung“

Neben dem oben erwähnten Vorbild der Freunde Hiobs wird die siebentägige „Schiwah“ auch darauf zurückgeführt, dass Josef sieben Tage um seinen Vater Jakob trauerte (1. Mose 50,10). Rabbi Jack Riemer erklärt die Trauerzeit als Parallele zur Schöpfung. Jeder Mensch sei eine Welt für sich. Deshalb verabschieden sich Juden sieben Tage lang von dieser individuellen Welt. Letztendlich berührt die Schiwah aber die tiefste Dimension der menschlichen Beziehungen, die Beziehung zu Gott und zu den Mitmenschen.

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