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Rückzug ins Ghetto

Die israelische Friedensbewegung "Schalom Achschav" ist im Schock. Akribisch verfolgen die israelischen Siedlungsgegner und ihre ausländischen Sympathisanten die Entwicklung der 149 Siedlungen im Westjordanland und in Ostjerusalem, sowie der ungefähr einhundert Siedlungsaußenposten, die auch nach israelischem Recht illegal sind.

In den vergangenen zwölf Monaten allein ist die Siedlerbevölkerung außerhalb Jerusalems von 260.645 auf 275.156 angewachsen, was einer Wachstumsrate von 5,45 Prozent entspricht. Die Einwohnerschaft der nach internationalem Recht samt und sonders illegalen Siedlungen ist mehr als doppelt so schnell gewachsen, wie die jüdische Bevölkerung Israels. Mitte 2007 lebten somit ungefähr 450.000 Israelis in den Gebieten, die Israel nach dem Sechstagekrieg von 1967 erobert hat. Mehr als die Hälfte von ihnen sind in den Jahren seit den Abkommen von Oslo im Jahre 1993 zugezogen.

Die USA fordern im Vorfeld der Ende November im amerikanischen Annapolis geplanten Konferenz von Israel vertrauensbildende Maßnahmen. Dazu gehört zu allererst die Räumung der Siedlungsaußenposten. EU-Außenminister Javier Solana, der die Siedlungsaktivitäten der Israelis in den besetzten Gebieten als Haupthindernis für die Entstehung eines palästinensischen Staates begreift, zeigte sich Anfang 2007 schockiert über das Ausmaß des Wachstums der israelischen Ortschaften.

Jariv Oppenheimer aus Tel Aviv, der die Bewegung „Schalom Achschav“ leitet, beklagt eine tiefe Kluft zwischen politischen Verlautbarungen der Regierung und den Fakten vor Ort: „Aus Sicht der Siedler gibt es keine Friedensverhandlungen, kein Annapolis, keine Roadmap, sondern nur immer mehr Häuser.“ Seine Organisation, deren Name übersetzt „Friede jetzt“ bedeutet, hat im Jahr 2007 fortgesetzte Bautätigkeiten in 88 Siedlungen, die nach israelischem Recht legal sind, und in 34 Siedlungsaußenposten registriert. Allen Friedensinitiativen zum Trotz wird vor allem der Ausbau des Siedlungsgürtels um Jerusalem herum unverändert fortgesetzt. In den abgelegenen Gebieten von Judäa und Samaria umgehen die meist national-religiösen Siedler laut Oppenheimer die Anordnungen der Regierung, indem sie bei Räumungsbefehlen einfach Karavans von einem Ort an den nächsten transferierten.

Die Karavans von Mitzpe Abigail liegen in der kahlen Berglandschaft südlich von Hebron am Rande der judäischen Wüste. Die einfach angelegten Gärten zeugen vom Eifer und der Sorgfalt der Bewohner. Eine junge Frau eilt freundlich lächelnd mit einer Schaufel in der Hand an mir vorbei und verschwindet zwischen den offenen Kleinviehställen, in denen Hühner, Gänse, Schafe und Ziegen gemeinsam untergebracht sind. Gesprächsbereit zeigt sich lediglich Ajub, ein junger Druse aus dem nordisraelischen Beit Dschan. In voller Kampfmontur, das Gewehr im Anschlag, sorgt er als Berufssoldat in der Armee des jüdischen Staates für die Sicherheit dieser in keiner Weise legalen Ansiedlung. Die Idylle spricht allen Räumungsgerüchten Hohn.

Die Rechercheergebnisse, von „Schalom Achschav“ als Kritik gemeint, begreift der „Jescha-Rat“, die Vertretung der israelischen Siedler in Judäa und Samaria, als Lob. „Terror, Baustopps und politischer Druck können die Besiedlung des biblischen Kernlandes Israel nicht aufhalten“, meinte ein Vertreter des „Jescha-Rates“ gegenüber der englischsprachigen Tageszeitung Jerusalem Post und bedankt sich bei „Schalom Achschav“ für die akribische Arbeit, die dies beweise. Der „Jescha-Rat“ hofft auf 300.000 israelische Bürger, die bis Ende 2008 im biblischen Judäa und Samaria außerhalb Jerusalems wohnen sollen.

Dodi sieht die größte Gefahr für die religiöse Siedlerbewegung von innen. „Es ist die selbstgewählte Ghettomentalität, die unsere Existenz in diesem Land in Frage stellt“, meint der 47-jährige zweifache Großvater und Vater von sechs Kindern. Er kennt die Gefahren der Ideologisierung aus eigener Erfahrung. Fast zwei Jahre hat er als Mitglied des jüdischen Untergrundes in israelischen Gefängnissen gesessen – für den Versuch, die Moscheen auf dem Tempelberg in Jerusalem in die Luft zu sprengen.

Dodi, dessen jugendlicher Fanatismus reifer Einsicht gewichen ist, versteht seine Landsleute, die sich täglich vor arabischem Terror fürchten müssen – er selbst hat das Schnellfeuergewehr ständig an der Schulter hängen, wenn er das Haus verlässt. Die westliche Welt bringt diesen national-religiösen Juden und ihrem Glauben kein Verständnis entgegen. Die überwiegende Mehrheit des eigenen Volkes betrachtet sie als das Hindernis zum Frieden schlechthin, und ständig sehen sie deshalb ihre Existenz durch neue Einschränkungen oder gar Räumungen bedroht. Das Verhältnis zwischen der israelischen Polizei in den südlichen Hebronbergen und der jüdischen Bevölkerung ist gespannt. Nur zu oft stellen sich die israelischen Behörden bei Streitigkeiten auf die Seite der arabisch-palästinensischen Bevölkerung – das beklagen zumindest die Siedler.

Der Eindruck „die ganze Welt ist gegen uns“ ist die natürliche Folge – wobei die Erfahrung der Räumung israelischer Siedlungen im Gazastreifen und in Nordsamaria im Spätsommer 2005 einen gewichtigen Beitrag zu dieser Stimmung geleistet hat. Dodi beklagt die Tatsache, dass sich die israelischen Siedler um Hebron immer mehr einigeln, von der Außenwelt abkapseln und starrsinnig ihren Überzeugungen fröhnen, als Irrweg. Eine Zukunft der israelischen Besiedlung Judäas kann er sich nur vorstellen, wenn die orthodox-jüdischen Siedler sich nicht in ein inneres Exil zurückziehen. Beziehungen zu den palästinensischen Nachbarn sind für den sephardischen Juden, der aus Nordafrika stammt, selbstverständlich. Nicht so für viele seiner Glaubensgenossen, die ihn wegen seiner palästinensischen Freunde schneiden. Fatal ist aus Dodis Sicht, dass die führenden Rabbiner nichts gegen die Sympathien für den Rabin-Mörder Jigal Amir zu sagen wagen.

Jechiel aus Beit Haggai, das am südlichen Stadtrand von Hebron vollkommen isoliert von palästinensischen Dörfern umgeben liegt, hat Hoffnung. "Es wird alles so kommen, wie die Heilige Schrift es vorausgesagt hat", meint der Sicherheitsexperte zuversichtlich. Nicht politische Überlegungen oder gar Visionen geben ihm Zuversicht, sondern einzig der Glaube daran, dass der Gott Israels den Lauf der Geschichte lenkt. Weltweit ist er mit seiner Firma für den Schutz von gefährdeten Persönlichkeiten verantwortlich, so etwa für den jüdischen Nobelpreisträger Eli Wiesel. Auch im Blick auf die Stellung der national-religiösen Gemeinschaft innerhalb der säkularen israelischen Gesellschaft, sieht er sich nicht auf verlorenem Posten. Sein Schwager, der im Erziehungsministerium arbeitet, hat ihm verraten, dass 60 Prozent der jüdischen Erstklässler in Israel orthodox sind: "In 15 Jahren werden diese Leute in die Armee kommen – wo heute schon die Offizierskurse von unseren Leuten dominiert werden."

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